Review Dornenreich – In Luft geritzt

Waren DORNENREICH seit eh und je eine Band für Liebhaber, die sich auch von einem verschrobene Album wie „Her von welken Nächten“ nicht verschrecken lassen, scheiden sich an den Österreichern seit „Hexenwind“ auch innerhalb des Fanlagers die Geister: Während die einen in dem Akustik-Werk und seinem Nachfolger „Durch den Traum“ eine Offenbarung sehen, können andere dem vertonten Purismus wenig abgewinnen. Letztere müssen jetzt stark sein – alle anderen können sich vorfreudig-gespannt zurücklehnen.

Auf den ersten Blick macht „In Luft geritzt“ da weiter, wo DORNENREICH mit „Durch den Traum“ aufgehört haben: Mystische Texte, die eben erst den Tiefen einer rastlosen Seele entsprungen zu sein scheinen, gebettet in expressiv akzentuiertes Akustik-Gitarrenspiel und melancholisch-betörende Geigenmelodien. „Geigenmelodien? Das ist doch neu!“ mag nun so mancher denken. Und damit hat er recht. Doch Inves Geige ist so elegant und natürlich in die Songs eingeflochten, dass man sie von der ersten Minute an als typisches DORNENREICH-Element anerkennt, viel mehr noch, sie sich schon bald gar nicht mehr wegzudenken vermag und erst bei genauerer Betrachtung daran erinnert wird, dass sie nicht schon seit eh und je fester Bestandteil von DORNENREICH ist. Hatte man bei den ersten Akustik-Shows noch den Eindruck, die Geige sei eher ein akzentuierendes Melodie-Instrument, ist sie auf „In Luft geritzt“ nahezu omnipräsent: Ganz gleich, ob sie die Gitarrenspur doppelt oder sich, von ihr losgelöst, zu bezaubernden Melodien erhebt – stets zieht sie die Aufmerksamkeit auf sich, so dass dagegen bisweilen selbst Evigas ausdrucksstarkes Gitarrenspiel beinahe begleitend wirkt.

Die Stimmung, die dabei entsteht ist bei weitem melancholischer und packender, als alles, was DORNENREICH an akustischer Musik bislang vorgelegt haben. Der Berufsgeiger Inve weiß sein Instrument perfekt einzusetzen und so die unterschiedlichsten Gefühle zu erzeugen: Mal verführt er mit eingängigen, fesselnden Melodieläufen, die das Herz berühren und sich dort festsetzen, ein andermal mit vertrackten Tonfolgen, die sich nur mühsam ins Gedächtnis graben, jedoch mit jedem Hören tiefer eindringen, bis auch sie sich unauslöschlich eingebrannt haben. Angenehm fällt dabei der erdige Klang des Streichinstruments auf, das dadurch nie aufdringlich grell oder näselnd tönt, sondern stets mit einem angenehm weichen Ton aufwartet, der perfekt mit der Gitarre harmoniert. Generell ist die Atmosphäre der Platte nahezu einzigartig: Live in den alten Gemäuern der „Villa Stapf“ eingespielt, weist sie eine mitreißende Eigendynamik auf – und das, obwohl sich die perkussive Instrumentierung einzig auf Evigas von Zeit zu Zeit eingesetzte Fußschellen beschränkt.

Gesanglich ist Eviga mehr denn je über alle Zweifel erhaben: Neben dem mittlerweile perfektionierten typischen DORNENREICH-Flüstern kommen diesmal vermehrt auch diverse andere Arten des Fauchens, Hauchens und Sprechens zum Einsatz, so dass die Texte inbrünstiger und mitreißender vorgetragen wirken als auf den beiden Alben zuvor. Effekte wie die bebende Stimme und die mehrfach eingesungen und übereinander geschichteten Gesangsspuren in „Unruhe“ sind zwar nur kleine Details, jedoch exemplarisch für diesen wiedergekehrten Facettenreichtum des Gesangs. Diese Ausdrucksstärke der Gesangspassagen ist auch von Nöten, sind diese doch auf „In Luft geritzt“ so stark reduziert, dass zumeist nur vereinzelte Wörter über die Melodien und Akkorde gelegt werden – der Text zu „Jagd“ beispielsweise beschränkt sich auf nur fünf kurze Verse. Ob es sich ob dieser Tatsache rentiert, die Luxus-Edition der CD zu erstehen, der als Bonus das komplette Album als Instrumental-Version beiliegt, muss jeder für sich entscheiden – zumal Text und Musik grade im Fall von DORNENREICH eine meiner Meinung nach nahezu untrennbare Allianz bilden.

Waren „Hexenwind“ und „Durch den Traum“ starke erste Schritte im Bereich (nahezu) rein akustischer Musik, die zu Überbieten eine Herausforderung darstellt. Die Erweiterung der Besetzung um ein so vielseitiges Instrument wie eine Geige stellt sich dabei als geschickter Zug heraus, um der Gefahr des sich Wiederholens zu entgehen, ohne den Kurs komplett zu ändern. Das Resultat? Mit „In Luft geritzt“ haben sich DORNENREICH so grandios weiterentwickelt, ohne dabei die seit den letzten Alben typischen Merkmale über Bord zu werfen, dass man rückblickend fast bedauern muss, dass Inve nicht schon „Durch den Traum“ mit seinem Spiel bereichert hat.

Wertung: 10 / 10

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