Review Flowing Tears – Thy Kingdom Gone

Es ist nichts Ungewöhnliches dabei, wenn eine Band nach fünf Alben mal sagt: eine Pause muss her. Zudem ist es durchaus normal, dass es bis zur nächsten Veröffentlichung dann über vier Jahre dauert. Bei vielen Bands wäre das egal, bei FLOWING TEARS kommt dies aus Fansicht einer Katastrophe gleich, bescherte diese – unverständlicherweise – immer noch recht kleine Band aus dem Saarland doch in regelmäßigen Abständen gefühlvoll-schöne Momente. Glücklicherweise ist die schöpferische Neufindungsphase nun vorbei und Thy Kingdom Gone steht in den Regalen.

„Wieder mehr in Richtung Jade“. Mit dieser Werbebotschaft schickte das Label nun den neuen Output auf die Reise. Natürlich stellt sich die Frage, ob ein Album sich überhaupt mit diesem Highlight messen lassen kann oder muss. Vorweg: was die Ausrichtung der Songs angeht, stimmt dieser Slogan durchaus, die elektronischen Elemente, die noch Serpentine und Razorbliss prägten, wurden größtenteils entfernt, stattdessen setzt man auf den ursprünglichen Gothicsound mit mächtigen Riffs, treibend-fettem Bass und zügigem Drumming. So startet der Opener Orchidfire noch kurz mit einer Pianomelodie, um dann direkt loszubrechen. Ganz ehrlich, einen solchen Start hatte ich gar nicht erwartet und auch wenn Orchidfire keineswegs zu den eingängigsten Songs zu zählen ist, versprüht er gleich wieder dieses Wohlfühlflair, was der geneigte Hörer bei den Saarländern so schätzt. In gewisser Weise ist der Opener auch schon ziemlich repräsentativ für das gesamte Album, denn auch Pain Has Taken Over oder For My Enemies schlagen in die gleiche Kerbe und fahren mitunter heftige Doublebassattacken auf, der von Samaels Vorph gesungene Titeltrack kleidet sich ebenfalls in einen sehr harten Sound und auch sonst sind softe Momente eher die Ausnahme. Dabei ist es sehr überraschend, dass die Songs dennoch sehr berührend daherkommen, obwohl mit Kismet an sich nur eine wirkliche Ballade am Start ist. Miss Fortune gibt sich zwar auch fast durchgehend sehr akustisch (Piano), aber als Ballade würde ich es nicht bezeichnen, vielmehr ist es das Lied, welches die dickste Sonnebrille, das meiste Gel und die teuersten Designerklamotten trägt, kurz: der Coolheitsfaktor ist hier einfach enorm.

Die wirklichen Perlen sind aber andere, es sind diese Songs, die ob ihrer Natürlichkeit zunächst einmal gar nicht groß auffallen. Vorne weg marschiert dabei Words Before You Leave, vielleicht der Song, der am ehesten noch auf Jade hätte stehen können. Da stimmt die Mischung einfach zwischen einem recht einfachen Aufbau, eingängigen Melodien, Gänsehautfeeling und den typischen gefühlvollen Texten. Alleine wegen diesem Lied hat sich die Wartezeit gelohnt, definitiv DAS Highlight im Jahre 2008!!! Souls Of The Neon Reign ist dabei fast in einem Atemzug zu nennen, Verstärkung für diese Nummer holte man sich in Person von Sascha Blach von Transit Poetry, was sich einerseits wirklich gut ergänzt, andererseits kommt einem – und das vielleicht als kleiner Kritikpunkt – die Abmischung des männlichen Gesangsparts doch etwas schmal vor, da hätte man mit etwas mehr Lautstärke sicher noch einiges rausholen können. Dennoch ein weiterer absoluter Anspieltipp, vor allem das Gitarrensolo hört sich wirklich wunderbar an. Denn auch in diesem Bereich gibt es eine eindeutige Weiterentwicklung: verzichtete man in der Vergangenheit häufiger auf die Soloarbeit, ist sie diesmal nicht nur allgegenwärtig, sondern auch sehr ausgereift.

Über allem schwebt natürlich – und das ist ja eigentlich immer so – der ausgesprochen variable Gesang von Helen. FLOWING TEARS bestach in der Female-fronted-gothic-scene ja schon immer dadurch, dass der weibliche Gesang nicht sirenenhaft hoch, sondern fast männlich tief interpretiert wurde. Helen setzt dem Ganzen noch eins oben drauf und singt teilweise sehr tief, manchmal höher, manchmal grunzt sie aber auch wie ein wilder Stier, was doch für ordentlich Abwechselung sorgt und zeigt, dass man mit ihr die richtige Wahl fürs Mikro getroffen hat.

Ein Wort noch zum Drumherum: am Sound gibt es gar nichts zu meckern, alle Instrumente kommen sehr präsent aus den Boxen, dazu klingt alles sehr fett, ein Umstand, der zuletzt in der Gothicszene zum Glück häufiger zu beobachten war, auch die traurigsten Lieder dürfen ruhig ordentlich knallen. Abgerundet wird das nahezu perfekte Gesamtpaket durch das düstere Artwork von Seth Siro Anton. Dieser Künstler fiel bereits positiv durch seine Arbeiten für Moonspell und The Foreshadowing auf und wie er sich hier erneut präsentiert, muss man ihn für zukünftige Taten sehr wohl auf der Rechnung haben.

Dass eine relativ unbekannte Band im Metal1-Soundcheck direkt mal den zweiten Platz in der Monatsalbumsauswahl belegt, spricht ja eigentlich für sich, dass sie dies zurecht erreichte, noch viel mehr. Wer gerne gefühlsbetonte Musik ohne den Hang zum Kitsch oder Klischee hören möchte, der ist bei FLOWING TEARS genau richtig. Mit diesem Album haben Winterdepressionen keine Chance, hier heißt es einfach zurücklehnen und genießen.

Wertung: 9.5 / 10

Publiziert am von Jan Müller

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