Review Nucleus Torn – Golden Age

Ein NUCLEUS TORN-Album ist eine harte Nuss, zum Hören und erst recht zum Rezensieren, das hat sich so eingebürgert. Es ist eben oft wirklich nicht einfach, den Ideen Fredy Schnyders auf die Schliche zu kommen – Harmonien, Songstrukturen, selbst eine Gesangslinie will vielfach gedreht und gewendet sein, bis man erkennt, warum sie ihren Platz auf dem Album hat und welche Funktion sie im Song erfüllt. Von „Golden Age“ erwartet man in dieser Hinsicht also nichts Neues, ist sich der Schweizer mit diesem Ansatz doch spätestens seit „Nihil“ treu. Und dennoch ist eine gewisse Grundspannung vorhanden, wo es nach der mit „Andromeda Awaiting“ abgeschlossen Trilogie hingehen soll, funktionierten diese Alben doch durchaus aus sich selbst heraus, entfalteten ihre eigentliche Aussage aber erst im Kontext ihrer Vorgänger und/oder Nachfolger.

„Golden Age“ soll konzeptionell nun das Prequel eben dieser Trilogie sein, und selbst wenn man dies nicht beachtet, fühlt man sich beim Hören wie von selbst versucht, Parallelen zu früheren Alben zu ziehen. Logisch, ist der Stil des Projekts doch, so schwierig er sein mag, ebenso einzigartig wie in sich geschlossen. Setzt man dies als gegeben, ist „Golden Age“ vermutlich zugleich das repräsentativste und das einsteigerfreundlichste Album, das NUCLEUS TORN in ihrem avantgardistischen Folk-Kosmos bisher veröffentlichten. Warum das so ist, ist indes schwierig zu erklären, vielleicht bricht Schnyder diesmal einfach nicht so drastisch mit den Gewohnheiten des Hörers, was Melodien angeht. Die Musik geht jedenfalls nach deutlich weniger Durchläufen ins Ohr als zuvor, obwohl keine Trademarks NUCLEUS TORNs vernachlässigt werden: Immer noch heben sich die Gesangsstimmen deutlich von der Musik ab und wollen erst einmal als zugehörig akzeptiert werden. Immer noch ist es unsinnig, einen Einzelsong herauszugreifen – keine einzige Nummer scheint auf irgendeinen Höhepunkt hinzuarbeiten, viel mehr scheinen diese zwischen den Songs verschoben und lassen sich eher bei der Betrachtung des gesamten Albums ausmachen. Und immer noch sind die Harmonien, wenn sie sich denn mal entfalten, immer so unglaublich schön und stilvoll in Szene gesetzt, dass es eine Freude ist. Akustikgitarre, Violine, Saxophon oder E-Gitarre (man konsultiere zur Komplettierung der Aufzählung die Besetzungsliste), jedes Instrument schafft für sich verzaubernde, intime, schmeichelnde, oder auch verstörende, aggressive Momente, um nach seinem Auftritt übergangslos an das Nächste abzugeben, das die Musik unerwartet, aber doch viel plausibler weiterführt, als jegliches klassisches Songkonstrukt dies jemals könnte. „Golden Age“ strahlt, wie seine Vorgänger, in seiner Individualität so viel Selbstbewusstsein aus, dass schon dieser Umstand selbst für Verwirrung beim Hörer sorgen kann – Wie geht es, das alles, was hier geboten wird, absolut unvergleichlich klingt und dennoch in sich so perfekt funktioniert?

NUCLEUS TORN sind nicht nur ein Garant für anspruchsvolle Musik, sondern auch für Musik, die trotz dieses Anspruchs natürlich und nie verkopft wirkt. Es gibt sicher viele Alben, die man schnell als Gesamtkunstwerk bezeichnet, im Vergleich zu NUCLEUS TORN-Alben müssen sie dennoch simpel oder zumindest konstruiert wirken. „Golden Age“ ist hierfür ein weiteres Paradebeispiel. Naturgemäß besitzt es nicht ganz so großen Tiefgang wie die Trilogie am Stück, trotzdem ist es zweifellos mal wieder das gehaltvollste Album in Sicht, wenn es um den etwas anderen Hörgenuss geht und ist zudem für sich wohl etwas aussagekräftiger, als etwa „Knell“ oder „Andromeda Awaiting“.
Trotz allem: Um zu erfahren, wie NUCLEUS TORN klingen, muss man sie anhören. Beschreiben kann es nicht.

Wertung: 9 / 10

Publiziert am von Marius Mutz

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