Review Riverside – Rapid Eye Movement

Die polnischen Progrocker RIVERSIDE sehen sich nach zwei hervorragenden Alben, einer im Vorhinein veröffentlichten EP und einer Tour im Vorprogramm von Dream Theater einem enormen Druck ausgesetzt. Es ist mit Sicherheit nicht einfach, nach einem beinahe raketenhaften Aufstieg die Erwartungen der Fans und Kritiker zu erfüllen. Wie also schlägt sich der dritte Teil der „Reality Dream“-Triologie, „Rapid Eye Movement“, im Vergleich zu seinen Vorgängern?

Die Antwort auf diese Frage bedarf einiger Ausführungen und lässt sich nicht partout geben. Zunächst einmal enthält das neue Album ebenso wie seine zwei Vorgänger neun Tracks, die sich hier in zwei Abschnitte gliedern. Part I heißt „Fearless“ und umfasst die ersten fünf Tracks, Teil II hört auf den Namen „Fearland“ und wird von den vier restlichen Songs gebildet. Mit „Beyond The Eyelids“, „Parasomnia“ und dem abschließenden „Ultimate Trip“ gibt es auch wieder längere Nummern, die sich hier zwischen acht bis dreizehn Minuten bewegen. Alle anderen Songs spielen sich zwischen drei bis fünf Minuten ab. Für das Artwork zeichnet sich wieder einmal Travis Smith verantwortlich. Es ist wieder wunderschön geworden, führt den Hörer auf beeindruckende Art und Weise in den Soundkosmos des Albums ein und passt dabei logischerweise thematisch zu den anderen Teilen der Konzept-Trilogie.

Musikalisch startet das neue Album nach einem kurzen atmosphärischen Intro mit „Beyond The Eyelids“ wieder RIVERSIDE-typisch. Hier muss nicht auf die bekannten Frickelparts verzichtet werden. Marius Duda haucht zu Beginn langgezogen und äußerst psychedelisch „we are none of us“ und hat dann nach dem ersten Instrumentalpart bei etwa 3 ½ Minuten seinen ersten richtigen Einsatz, singt dabei mit Stimmverzehrer. Auffällig ist bereits bei diesem Track, dass das Keyboard mehr Raum bekommt und sich zu den üblichen Hammondorgel-Sounds nun auch zunehmend elektronische, teilweise gar ein wenig ambientartige Keyboardtöne gesellen. Außerdem gibt es eine sehr orientalisch anmutende Leitmelodie aus der Instrumentenbank von Michal Lapaj. Die essentiellen melodischen Gitarrenlicks von Piotr Grudzinski ertönen erst zum Schluss und werden dort sehr knapp gehalten. Nach diesem erwartungsgemäßen Einstieg folgt mit dem 3 ½-minütigen „Rainbow Box“ der kürzeste Song der Platte. Hier hat man eindeutig bei Porcupine Tree abgekupfert. Es gibt recht stumpfes und plattes Drumming, psychedelische, wieder einmal verfremdete Vocals und einen wenig überzeugenden Refrain, teils etwas Doublebass und industrielles Gestampfe aus der Dose. Überzeugt mich nicht, passt (wie wir gleich sehen werden) überhaupt nicht aufs Album, ist meiner Ansicht nach nicht einmal fertig komponiert. Der schlechteste RIVERSIDE-Song überhaupt. „02 Panic Room“ kennen eingefleischte Fans schon von der vorab veröffentlichen Single. Im Kontext des Albums wirkt er wesentlich gelungener und passender. Die monotonen Gitarrenriffs, die kühle Atmosphäre und das wieder einmal sehr an Industrial angelehnte Drumming bilden eine geniale Einheit. Auch hier gibt es wieder jede Menge Synthigewaber. Die Strophenmelodie ist absolut großartig, der Refrain in Verhältnis dazu beinahe etwas matt. Im Gegensatz zur EP-Version gibt es hier noch einen ruhigen, nur von Piano und Gesang getragenen Part, der zwar etwas lieblos an den Song angeklatscht wurde, aber stimmungstechnisch gut passt. Ein Highlight des Albums!

Danach bleibt es erstmal ruhig: „Schizophrenic Prayer“ ist ein tänzelnder Song mit interessanter, für RIVERSIDE neuartiger Percussionarbeit. Beginnt mit Akustikgitarre, aber die E-Klampfe übernimmt im Songverlauf. Klingt wieder ein wenig ethnomäßig, hat schöne Harmonien, bleibt aber im Prinzip über die gesamte Spielzeit sehr gleichförmig und wird nur durch zusätzliche Percussionarbeit und starke Stimmeffekte gegen Ende noch gesteigert. Ein Song, der keineswegs schlecht ist, der aber wenig echtes Songwriting enthält, dafür jedoch im Studio aufgebohrt wurde. Ruhig bleibt es anfangs auch bei „Parasomnia“, das nur von Marius’ Duda einfühlsamer Stimme eingeleitet wird. Nach diesem stimmigen und unter die Haut gehenden Einstieg folgt die zweite richtige RIVERSIDE-Nummer. Ausladend, dramatisch, mitreißend. In diesen acht Minuten schafft die Band es erstmals auf „Rapid Eye Movement“, die Magie der ersten zwei Platten zu kreieren. Es gibt groovige, beinahe metallische Parts, Growls, atmosphärische Zwischenteile. Nach 4 ½ Minuten setzt ein wunderschöner melodischer Mittelteil ein, bei dem Piotr Grudzinski endlich wieder beherzt mit seinen Seiten weinen kann. Großartig! Leider war diese Intensität auf den Vorgängern an der Tagesordnung, hier finden wir sie allerdings nur äußerst selten.

Der zweite Teil „Fearland“ startet mit gleich zwei Balladen am Stück ebenso äußerst ruhig. „Through The Other Side“ und „Embryonic“ klingen wie Material von der ruhigen, aber enorm atmosphärischen EP „Voices In My Head“. Während das erstgenannte noch über vier Minuten recht eintönig und trist vor sich hin schmachtet und wir das Lagerfeuer und die Bongos schon vor unserem inneren Auge sehen, erwarten uns in „Embryonic“ wieder jene Gitarren, die die Riverside-Balladen-Welt bedeuten. Fantastischer Song, absoluter Gänsehautgesang und Tränenzieher-Garantie. Toll auch die sanften Synthiflächen. Was „I Believe“ und „Conceiving You“ auf den Vorgängern besaßen, besitzt auch „Embryotic“. Danke! „Cybernetic Pillow“ testete die Band bereits auf ein paar Konzerten im März dieses Jahres. War es bereits dort eine Abgehnummer aller erster Güte, entwickelt es auf dem Album eine ganz besondere Eigendynamik und holt den leicht benebelten Zuhörer wieder zurück aus der Traumwelt. Geile Riffs, druckvoller Bass und eine unheimlich dichte Atmosphäre, die in einem melodischen Refrain gipfelt. Mit dem dreizehnminütigen „Ultimate Trip“, rollendem Schlagzeug und jubilierenden Gitarren sowie wieder dem charakteristischen Duda-Bassspiel beginnt das Ende der Odyssee ins eigene Ich. Ein Song, der zwar kompositorisch nicht mit dem Titeltrack des Vorgängers „Second Life Syndrome“ mithalten kann und atmosphärisch auch hinter dem Longtrack des Debüts, „The Same River“, liegt, dafür aber mehr musikalischen Inhalt hat und nicht so sehr auf Stimmungen rumreitet. Eine ziemlich kurzweilige Nummer, bei der mich allerdings das Ende enorm nervt. Für ein Epic und den Abschluss einer dreiteiligen Trilogie hätte es schon etwas dramatischer und lauter seien dürfen, meine Herren! So endet „Ultimate Trip“ und die „Reality Dream“-Trilogie leider etwas arg psychedelisch, verträumt und mit einer Melodie, die nun wirklich mal ziemlich schwach ist. Da hilft es auch nichts, dass nach 13 Minuten noch mal das Radio ertönt, das vor Jahren mal das erste Album eröffnete und nun den Kreis der Geschichte schließt.

Nun sind 55 Minuten vorbei. Und der Fan von RIVERSIDE wird nach dem ersten Hördurchgang zwar nicht enttäuscht sein, aber auch keine Freudensprünge machen. Hierzu bleibt zu sagen, dass man sich das Album erarbeiten muss und es auf keinen Fall direkt mit seinen Vorgängern vergleichen darf. Es kann den Vergleich nur verlieren. Doch eigentlich haben die Jungs doch gar nichts falsch gemacht: Mit „Beyond The Eyelids“, „Parasomnia“ und „Ultimate Trip“ gibt es klassische Riverside-Progkost, die zwar diesmal weniger heavy und gitarrenbetont, dafür aber deutlich psychedelischer und getragener daherkommt. Mit „Through The Other Side“ und „Embryonic“ gibt es zwei typische Balladen, „Cybernetic Pillow“ übernimmt die Abrock-Funktion eines „Artificial Smile“. Und sogar experimentell waren die Jungs unterwegs, haben wohl etwas Trip-Hop und Ambient gehört, um dann „02 Panic Room“ und „Schizophrenic Prayer“ aufzunehmen und einzelne Parts, die an diese Stile erinnern, in die anderen Songs einzustreuen.

Neben der Tatsache, dass die Ideen an sich diesmal nicht immer so überzeugend sind wie auf den Vorgängern, fehlt es „Rapid Eye Movement“ vor allem an magischen, emotional ergreifenden Momenten. Diese fehlen sowohl im Gesangsbereich, als auch in Form von ergreifenden Gitarrensoli. Statt der Überportion Prog auf „Second Life Syndrome“ gibt es nun eben einen Mix aus den ersten beiden Alben und einigen neuen Sounds und Experimenten. Hätte alles gut gehen können, wenn das Album etwas anders aufgebaut worden wäre. Zunächst einmal hat „Rainbow Box“ hier nichts verloren, dafür hätte logischerweise das Instrumental „Lucid Dream IV“, das auf der Vorab-EP zu hören ist, auf das Album gehört. Schließlich gibt es auch auf den beiden Vorgängern Instrumentalsongs. Und um die Linie zu waren, wäre das doch toll gewesen. Leider bricht „Rainbow Box“ meiner Ansicht nach die Stimmung des Albums entzwei, zieht den Hörer völlig weg von den inneren Gefühlswelten, die die Band vertont und besingt. Auch die zwei Balladen zu Beginn von Teil II erscheinen wenig logisch und tun dem Spannungs- und Stimmungsaufbau von „Rapid Eye Movement“, der das Hauptproblem der Platte ist, leider nicht besonders gut. Eine andere Songreihenfolge und der oben beschriebene Songaustausch, sowie ein etwas spannenderes, würdigeres Ende beim „Ultimate Trip“ hätten das dritte Werk der Polen problemlos in Augenhöhe mit seinen Brüdern gebracht.

So bleibt der Eindruck eines guten Albums mit guten Songs, die lieber einzeln, als am Stück genossen werden sollten. „Rapid Eye Movement“ ist nicht schlecht, aber eben auch nicht magisch. Es kann die hohen Erwartungen nicht vollends erfüllen. Das tut mir, der große Hoffnungen in RIVERSIDE legt, beinahe ein bisschen weh. Schade.

Es gibt übrigens auch eine Doppel-CD-Variante, die auf der zweiten Scheibe im Prinzip die komplette „02 Panic Room“-EP und noch zwei weitere unveröffentlichte Songs beinhaltet.

Wertung: 8 / 10

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