Review Riverside – Second Life Syndrome

RIVERSIDE sind seit dem Release ihres Debüts „Out Of Myself“ so ziemlich der heißeste Geheimtipp in der Szene. Um so erstaunlicher, dass ich bisher einen Bogen um die polnische Band gemacht habe und demzufolge ihr zweiter Longplayer „Second Life Syndrome“ mein erster wirklicher Kontakt mit den Jungs ist. Wollen wir also mal sehen, was dran ist an dem Hype, der immer größere Dimensionen annimmt und vor dem sich kein Fachmagazin-Leser retten kann.

Los geht’s mit dem kurzen „After“, einem atmosphärischen, ziemlich dunklen Intro mit gehauchten Sprechpassagen und einer Art Ethnogesang von Marius Duda. Streicher und allerlei Percussion unterstreichen hier die Atmosphäre. Gegen Ende kommt noch eine sanft solierende Gitarre dazu. Als Song kann man diese ersten 3 ½ Minuten sicherlich nicht bezeichnen, es ist lediglich eine Einstimmung auf den Grundsound des Albums und als solche sehr gut gemacht.

Mit „Volte-Face“ folgt dann sogleich der erste von insgesamt drei Longtracks. Nach einem verhaltenen Beginn, springt uns sogleich ein äußerst einprägsames Gitarrenriff entgegen. Aber ehe man das verarbeitet hat, schalten die Jungs wieder eine Stufe zurück. Sehr schön, wie der Bass immer die folgende Passage ankündigt und vorwegnimmt. Die Ideendichte ist beeindruckend. Denkt man zu Beginn des Songs noch an gutgemachten Neoprog, wechseln RIVERSIDE plötzlich über in verhalten-progmetallische Gefilde, um dann mal eben wieder in elegante, atmosphärische Gesangspassagen umzuschwingen. Der Gesang von Mariusz Duda ist dabei stets äußerst variabel, er kann genauso gut leise hauchen, wie unheimlich ausdrucksvoll singen. Gelegentlich garniert er die Songs noch mit leichten Growls, was der Musik unheimlich gut zu Gesicht steht. Keine Frage, er ist ein wichtiges Aushängeschild für die Band. Mindestens genauso wichtig ist jedoch Gitarrist Piotr Grundzinski, der es tatsächlich schafft, sein Instrument so stilvoll einzusetzen, dass es in genau dem richtigen Moment im Vordergrund steht, in den leisen Passagen jedoch auch einfach nur eine weitere Komponente zur farbenfrohen Musik der Band beiträgt. Dynamik und große Abwechslung ist mit Sicherheit einer der Grundcharakteristika der hier vorliegenden Songs. Besonders groß geschrieben werden aber auch Atmosphäre und Emotionen. Jedem Bandmitglied kann man anmerken, dass dies ihnen besonders wichtig ist. Sehr schön deutlich wird das z.B. im nachfolgenden „Conceiving You“, welches meine persönliche Ballade des Jahres darstellt. Die perlenden Pianoläufe, die sanfte, arg mollgeprägte Melodie, präzises, schon fast streichelndes Schlagzeug, verhalten agierender Bass und dann – die Gitarrenlicks ab 1:18! Einfach fantastisch!!

Stilistisch lassen sich RIVERSIDE einfach in keine Schublade einordnen. Ich bevorzuge den Begriff „New Artrock“. Wirklich vergleichbare Bands gibt es nicht! Stellt euch Porcupine Tree vor, addiert eine Schippe Neoprog und Progmetal und ein bisschen mehr Pink Floyd. Das alles verpackt in einer äußerst druckvollen, modernen Produktion. Dann habt ihr eine ungefähre Ahnung, was euch hier erwartet.

Mein persönliches Highlight der Platte folgt dann auch sogleich mit dem 15-minütigen Titeltrack, dessen Beginn doch arg an eben jene Pink Floyd erinnert. Nach dem Intro: Bass, Schlagzeug und Gitarren spielen krümme Rhythmen, während Duda ganz beruhigend singt. Erst im Refrain wird man endgültig harmonisch. Wieder schöne Neoprog-Gitarren gefolgt von wilden Stakkatoattacken. Und die heißgeliebte Hammond hat auch wieder einen Auftritt. Ab Minute Sechs denken wir dann alle an Porcupine Tree. Nur müssen sich RIVERSIDE kompositorisch nicht hinter Steven Wilson und Co. Verstecken! Die Melodien sind wieder wunderschön ergreifend, wenn auch für manch Zartbesaiteten vielleicht etwas herunterziehend. Der natürliche Fluss des Tracks ist schon unglaublich. Beeindruckend, wie man es schafft so homogen zu komponieren. Es gibt keine Stelle, die anders klingen könnte.

„Artificial Smile“ und „I Turned You Down“ sind nun zwei etwas kürzere, sehr kompakte Songs, die den vorherigen Tracks aber in Nichts nachstehen und etwas direkter rüberkommen. Mit „Reality Dream III“ gibt es zudem ein sehr schönes Instrumentalstück auf die Ohren. Die Parts I und II gibt es auf dem Vorgänger zu hören. Hier sollte vielleicht auch mal erwähnt werden, dass es sich bei „Second Life Syndrome“ um ein Konzeptwerk handelt, dass den zweiten Teil einer drei Alben umfassenden Story darstellt. Teil 1 ist natürlich das Debüt „Out Of Myself“. „Reality Dream III“ gehört auch zu der Liste an Songs, die man unbedingt mal gehört haben sollte. Wahnwitzige Sprünge und Ideen, fantastische Soli und packende Atmosphäre zeichnen dieses Stück aus.

Man merkt vielleicht, dass es sehr schwer ist, die Musik von RIVERSIDE im Detail zu beschreiben. Es passiert einfach zu viel, als dass man es einfach in Worte fassen könnte. Fakt ist: „Second Life Syndrome“ gehört für mich neben „The Art Of Navigating By The Stars“ von Sieges Even zu den überraschendsten, packendsten und kompositorisch und emotional mitreißendsten Werken, die dieses Jahr erschienen sind. Solchen Bands gehört die progressive Zukunft, solche Bands treiben den Progressive Rock wirklich voran und bleiben nicht an alten Mustern und Klischees kleben.

Reinhör- und Kaufpflicht! Der Hype ist berechtigt!

Wertung: 9 / 10

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