Review The Gathering – Mandylion

Eigentlich hat ja jede Band einen eigenen Klassiker, ein Album, an dem sie sich noch nach zehn oder zwanzig Jahren messen lassen müssen, eine Platte, die irgendwie die ganze Band definiert und die vielleicht sogar über Genregrenzen bekannt geworden ist. Im Falle der niederländischen Gotiker THE GATHERING ist dies beinahe zweifellos das dritte Album „Mandylion“ – recht passend, denn nicht umsonst gilt für das dritte Album einer Band „Make It Or Break It“.

Auch wenn eine Karriere über bislang neun Alben geht und weitere Highlights wie „Nighttime Birds“ dabei sind, lege ich mich fest: der Karrierehöhepunklt der Niederländer erfolgte schon früh, nämlich im Jahr 1995. Was macht „Mandylion“ so stark? Gemeinhin steht und fällt eine Band mit der Frontstimme. Fraglos hat Anneke van Giersbergen eine bemerkenswerte Stimme, trotzdem ist dies in meinen Augen zu einfach gedacht und würde vor allem dem Schaffen der musikalischen Fraktion nicht gerecht. Alleine die Tatsache, dass sämtliche Songs eine stattliche Länge einnehmen, spricht dafür, die Instrumente stricken nicht einfach einen flachen Teppich, auf dem die Sängerin nur noch ihre Ware feilbieten muss. Jeder Songs hat instrumentale Momente, die jeden für sich zu einem kleinen Leckerbissen machen. So bekommt beispielsweise der Bass in „Eleanor“ sehr viel Raum, um den ganzen Song mit einer eingängigen Linie zu dominieren, die Gitarren weisen den Weg durch das vom ureigensten niederländischen Meer-Thema geprägten „Fear The Sea“. Besonders löblich sind die hervorragenden Arrangements in den Songs: jede Melodie passt hervorragend zu der vorherigen und zur nachfolgenden, selbst wenn – wie im angesprochenen „Fear The Sea“ – lediglich ein kurzes Riff ohne jegliche Widerholung zur Überleitung verwendet wird.
Die augesprochene Homogenität des Albums macht es freilich schwer, ein oder zwei Anspieltipps zu nennen. Man macht praktisch mit keiner Nummer irgendwas falsch. Dies ist aber höchstens aus vermarktungstechnischer Sicht ein Problem. Klar wäre es leichter, die Platte mit einer herausstechenden Single zu bewerben, man hat es hier mit „Strange Machines“ versucht, wobei ich fast geneigt bin zu sagen, dass es von den acht Liedern das unspektakulärste ist. Nun, andere Bands würden sich über solche Luxusprobleme freuen, das Niveau liegt einfach insgesamt sehr hoch, auch der zu Beginn exotisch anmutende Titeltrack ist eine Perle der metallischen Schreibkunst.

Die meisten werden „Mandylion“ ihr eigen nennen, wenn sie nur entfernt mit Gothic Metal oder THE GATHERING anfangen können. Allen anderen sei dieses großartige Album ans Herz gelegt, auch wenn es – was aus heutiger Sicht schwer zu beurteilen ist – vielleicht ein paar Durchläufe braucht, um seine volle Pracht zu entfalten. Songwriterisch ist dies schon fast eine Pionierarbeit, wenn man dann das Glück hat, eine ähnlich gute Stimme an der Front zu haben, dann kommt eben ein Meisterwerk wie „Mandylion“ dabei heraus.

Wertung: 9 / 10

Publiziert am von Jan Müller

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