Review WETO – Das 2weite Ich

  • Label: F.A.M.E.
  • Veröffentlicht: 2006
  • Spielart: Rock

Die Allerwenigsten wissen, dass sich hinter WETO der Ursprung für die heutige Mittelalter-Folk-Rock-Kombo Schandmaul verbirgt. Denn bevor es für die sechs Mäuler mit Geige, Flöte und Dudelsack zum Durchbruch reichte, tingelte Lead-Sänger Thomas Lindner zusammen mit Gitarrist Martin „Ducky“ Duckstein und einigen anderen Musikern durch den Münchner Raum, um fernab der großen Hallen sehr persönliche und vor allem direkte Musik zu machen. Nach dem neuesten Schandmaul-Werk „Mit Leib und Seele“ entschloss man sich bandintern, dieses fast vergessene Projekt wieder aufleben zu lassen und mit einer veränderten Besetzung eine CD auf den Markt zu bringen. Da das Gute manchmal recht nahe liegt, rückte Stefan Brunner ans Schlagzeug und Matthias Richter an den Bass, um die inzwischen in anderen Bereichen unentbehrlichen (Ex-)Mitglieder zu ersetzen. Fans kennen die beiden ebenfalls von Schandmaul. So viel zur Vorgeschichte.

Nachdem das Album letztendlich noch einmal von „Tiefgang“ in „Das 2weite Ich“ umbenannt wurde, stand dem Release Ende 2006 und damit ca. sieben Jahre nach der letzten EP „Scherben im Kopf“ nichts mehr im Wege. Beim ersten Hördurchgang fällt direkt auf, wie gut die einzelnen Stücke auf der CD angeordnet sind – ein Punkt, der von vielen anderen Bands unterschätzt wird. So kann man die Platte, die mit 47 Minuten eine recht moderate Gesamtlänge hat, an einem Stück hören, ohne ins Stocken zu geraten oder die Lust zu verlieren, da sie einerseits abwechslungsreich geraten ist und andererseits konstant einen Weg verfolgt, ohne dabei zu sehr zu experimentieren. Ebenfalls ein Wagnis, das viele Bands eingehen und nur den wenigsten gelingt. „Tief“ repräsentiert direkt alles, wofür WETO steht: Krachende und doch melodiöse Gitarren sowie offen-ehrliche Texte bzw. Geschichten aus dem Alltag, die durch Thomas‘ Stimme zum Leben erweckt werden. Wird im Opener noch eine Vergewaltigung und ihre psychischen sowie physischen Auswirkungen detailliert thematisiert, geht es später weiter mit selbstverletzendem Verhalten („Phantasie“), manischen Depressionen („Irrlicht“), einer schlimmen zwanghaften Beziehung („Ein Lächeln lang“) und der Angst vor bestimmten Situationen („Koma“). Lediglich in „Flucht“ wird die zugrunde liegende Thematik Heroinabhängigkeit in einer verschlüsselten Botschaft in Form einer Liebesgeschichte mitgeteilt. Ansonsten gehen WETO erfolgreich mit dem Kopf durch die Wand direkt auf den Hörer und seine Gedankenwelt. Während „Irrlicht“ wirklich wie der Hilferuf eines verzweifelten Menschen klingt, der sich selbst verloren hat, ertönt zu Beginn von „Koma“ passend das bedrohliche Geräusch eines Herzfrequenzmessers sowie die Atmung eines Menschen, der unter einer Sauerstoffmaske liegt. Grundsätzlich handelt es sich hier und mit „Flucht“ um die beiden Highlights und Herzstücke der Platte, da in „Koma“ besonders die Ohnmacht und Verzweiflung des Beinahetoten vermittelt wird, während bei „Flucht“ wirklich das Gefühl einer Verfolgungsjagd entsteht, wozu besonders der in kurzen Teilen leicht verzerrte Gesang und die schnelle Melodieführung beitragen.

Die Produktion übertrifft vieles von dem, was andere „Nebenprojekte“ für gewöhnlich abliefern.. Dafür steht vor allem der Name Thomas Heimann-Trosien, der bereits einige Erfahrungen mit In Extremo, Saltatio Mortis und eben Schandmaul hat. Grundsätzlich kann man dem Album eines nicht vorwerfen, nämlich Eintönigkeit. Die Arrangements gleichen sich zwar grundsätzlich, doch gehen in völlig andere Richtungen bei der genauen Ausarbeitung. Sie erscheinen jedoch stets passend und durchdacht für das besungene Thema. Im Gegensatz zu „Mit Leib und Seele“ gibt es kein Stück, das qualitätsmäßig aus der Reihe tanzt. Lediglich mit „Wolfsherz“ und „Das Tier“ kann ich persönlich weniger anfangen.
Dafür verdient der Bonustrack „In unserer Mitte“ ein dickes Lob: Selten gefühlvoll setzt Thomas hier seine Stimme ein, um den Tod eines Freundes zu besingen, wobei die Instrumente die Thematik perfekt untermalen und ich persönlich kein besseres „Trauerlied“ kenne, das nicht auf der Depri-Schiene fährt.

Kurzum: Wem Schandmaul immer zu eintönig, fröhlich oder langweilig waren, der könnte mit WETO seinen Frieden finden. Die Texte sind aus dem Leben gegriffen und beinahe perfekt umgesetzt. Die Höchstwertung verkneife ich mir lediglich deswegen, weil ich denke, dass es da in Zukunft noch eine kleine Steigerung geben kann und wird, wenn die Jungs sich auf den Weg zu neuen Ufern machen. Ähnlichkeiten zu Schandmaul sind allein durch Thomas’ Stimme naheliegend und berechtigt. Allerdings gehen WETO einen anderen Weg. Ob dies Fans, Medien, usw. erkennen, kommt letztendlich darauf an, ob sie in dem Projekt die Eigenständigkeit sehen, die es hat und die es verdient, denn „Schandmaul 2“ ist das mit Sicherheit nicht. Im Gegenteil, es ist sogar weit besser als das.

Wertung: 9.5 / 10

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