Interview mit den Mitgliedern von Elster Silberflug

Weit vor Corvus Corax, weit vor Qntal und weit vor vielen anderen Bands, die sich teilweise damit brüsten, seit den späten 80er Jahren die Väter der heutigen Mittelalterszene zu sein, begannen ELSTER SILBERFLUG bereits in den 70er Jahren mit ihrem emsigen Markttreiben und haben damit bis heute nicht aufgehört, obwohl die letzte VÖ der Band doch nun schon etwas länger zurück liegt. Dies war allerdings kein Grund, um sie aus unserem Spezial auszuschließen. Im Gegenteil, die Einblicke in die allerersten Anfänge der MA-Szene und besonders der Vergleich zu heute könnten für einige Historiker durchaus interessant sein.

Beschreibt kurz euren musikalischen Werdegang: In welchen Bereichen liegen die Wurzeln der einzelnen Bandmitglieder?
Das ist eine lange Geschichte, die Band besteht seit 1971 und geht sozusagen in die zweite Generation. Angefangen hat das mit drei Leuten auf dem Weg nach Indien. Ulrich Freise, Hartmut Hoffmann und Thomas Ziebarth. Ausgerüstet mit Gitarre, Mandoline und einem Sortiment Flöten machten sie sich auf, um nach Indien zu trampen und unterwegs ihre Reise mit Musik zu verdienen. Mit dabei, und das war ganz wichtig, ein Buch mit deutschen Volksliedern. Keine der üblichen Sammlungen sondern Lieder, ausgesucht nach der Originalität der Melodien. Die Sammlung bewegt sich in einem Zeitraum von etwa 800 Jahren, also vom frühen Mittelalter bis in die Romantik.
Die vier Tramper erreichten Indien und kehrten nach einem knappen Jahr mit eben diesen Liedern im Repertoire nach Deutschland zurück. ELSTER SILBERFLUG war geboren.
Die Gruppe wurde um drei Mitglieder (Barbara Grosse , Gesang und Perkussion, Lutz Berger, Geige, und Diethard Hess, Bassguitarron und Flöten) erweitert und machte sich daran auf Strassen und Plätzen zu musizieren. Das Hauptquartier der Gruppe war Heidelberg.
Nach einem knappen Jahr wurden die „Elstern“ so bekannt, dass sie in ganz Deutschland Konzerte gaben, Theater spielten, ein Musical komponierten und aufführten, Platten produzierten und im Rundfunk und im Fernsehen auftraten.
Auf den großen deutschen Folkfestivals, die damals hauptsächlich nicht-heimische Folklore auf die Bühne brachten, trafen die Elstern Kollegen aus aller Welt, die sie ermutigten ihr deutsches Programm zu spielen (war nicht so einfach seinerzeit). Kollegen aus Deutschland, die bis dato irisches, schottisches oder anderes europäisches Material bearbeiteten, wurden angeregt im eigenen Fundus zu stöbern, was sie dann zum Teil auch taten („Liederjahn“, „FidelMichel“ „Zupfgeigenhansel“).
Eine Art Folkrevival mit deutscher Folklore setzte ein, es gab Folktourneen, Festivals und Konzerte noch und nöcher. Eine reiche Zeit von 1970 bis 1980 etwa.
Die „Elstern“ spielten ein bunt gemischtes Programm von Villon bis Brecht, von Mittelalter bis in die anbrechende Neuzeit. Stärke waren die schweren, bordunbetonten Mittelalterballaden einerseits und lyrische Lieder auf der anderen Seite.
Kaarel Siniveer, Autor des Rowolth-Folklexikons, beschrieb 1981 „Elster Silberflug“ als „eine der wichtigsten Stationen auf dem Weg zur Wiederbelebung der deutschen Volksmusik“.
Nach einer knapp 10jährigen Pause formierten sich die „Elstern“ 1988 neu. Von der „alten“ Besetzung waren Hartmut Hoffmann, Ulrich Freise und Barbara Grosse mit dabei. Neu hinzugekommen waren Holger Funke, Schlüsselfiedel, Sackpfeife und allerhand mehr, Dorle Ferber, Geige und Gesang sowie Christian Vogel, Gitarre.
Die inzwischen reichlich sprießende Mittelalterszene war ein dankbares Publikum und die „Elstern“ spielten auf Mittelaltermärkten, bei Tafeleien, gaben Konzerte und bereisten Festivals. Schwerpunkt der Musik war das Mittelalter mit Bordunmusik, Madrigalen, Spielmannsmusik und Balladen.
„ELSTER SILBERFLUG“ 2006 setzt sich folgendermaßen zusammen:
Ulrich Freise: Gründer von „Elster Silberflug“, von Haus aus mit Musik vertraut, spielt Gitarre, Bouzouki, Akkordeon und Flöten, hatte 1960 seine erste Band mit Skiffle-Musik, später dann Folkmusik, 1968 erste LP mit Vertonungen von Heinrich Heine und 48iger Liedern zusammen mit Fredrik Vahle, spielte auf der Waldeck in Studentenclubs und auf Demonstrationen. Später dann experimentelle Musik mit AKFAL (Aktionskreis für aufgelöste Liedkultur) mit Sound- und Textkollagen, 1971 dann „Elster Silberflug“.
Barbara Grosse: Deutsch-Amerikanerin mit traditioneller Gesangsausbildung und Opernerfahrung, stieß 1973 zu den „Elstern“ und brachte ihre klare ausdrucksstarke Stimme in die bisher ausschließlich männliche Musikerwelt. Neben dem Gesang war sie mit Tambourin, Trommel und Autoharp in der Gruppe tätig. Zusammen mit Ulrich Freise machte sie drei Soloplatten unter dem Namen „Zeitenwende“
Dorle Ferber: Aufgewachsen in Mannheim und ausgestattet mit einem klassischen Musikstudium, unterwegs auf ausgedehnter Musikwanderschaft. Als überzeugende Frontfrau stand sie mit ‚Cochise‘ über 400 mal auf der Bühne, macht Musik für Theaterstücke und ist eine gefragte Musikerin bei verschiedenen musikalischen und künstlerischen Projekten sowohl live, als auch im Studio. Auftritte mit ‚Tour de Coulör‘, Hans Reffert, Mani Neumeier, Donata Höffer, Lesung mit Marianne Sägebrecht und natürlich Auftritte seit nunmehr fast 20 Jahren mit „Elster Silberflug“
Moritz vom See (Gesang, Bouzouki, Gitarre, Stabspiel): Musiker der neuen Generation mit vielen Talenten. Aufgewachsen in einem Musikerhaushalt stand Moritz schon mit sechs Jahren mit seiner Ukulele vor Publikum und hatte wenig später seine eigene Band. Durch seinen frühen Umgang mit Computern dauert es nicht lange bis zu ersten eigenen Aufnahmen. Heute ist er Komponist für Film und Fernsehn (Musik u.a. zu „Emil und die Detektive“, „Bibi Blocksberg“, „Löwenzahn“) und betreibt sein eigenes Studio („Ohrkonfekt“).

Wie würdet ihr Neulingen mittelalterliche Musik erklären?
In der Zeit vor der sogenannten „klassischen Musik“ gab es eine Epoche etwa von 1000 bis 1500, zu Zeiten des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“, in der eine äußerst interessante und kraftvolle Musik gemacht wurde. Mit Instrumenten wie Laute, Fidel, Harfe, Dudelsack und Drehleier wurden an den Höfen Minnemusik und Vagantenlieder gespielt, auf dem Lande Spielmannstänze und in den Kirchen Gregorianik. Es entwickelte sich die Notenschrift die uns heute die Musik zugänglich macht. Außerdem ereignete sich in dieser Zeit der Umbruch von einstimmiger, bordunbegleiteter Tanz- und Liedmusik hin zu mehrstimmigen, „harmonischen“ Madrigalen und Instrumentalstücken. (Mittelalter-Renaissance). Die MA-Musik vermittelt in all ihren Schattierungen ein vielfarbiges Lebensgefühl, das viele, von inhaltsloser Konsum-Musik überschwemmte Menschen in seinen Bann zieht.

Wie kann man ihnen diese Art von Musik zugänglich machen außer durch moderne Einflüsse?
Kindertagesstätten sind an uns herangetreten und haben uns gebeten MA-Musik in ihren Einrichtungen zu lehren. Wir haben Erzieherinnen gezeigt, wie einfach es sein kann mit Kindern mittelalterlich zu musizieren. Wir haben einfache Instrumente gebaute, Melodien und Texte szenisch umgesetzt und kleine Orchester gebildet. Die ganze Sache war ein großer Erfolg und scheint mir eine der besten Methoden zu sein, MA-Musik schon in sehr frühen Jahren verständlich zu machen.

Wo liegen die Unterschiede von Euch zu anderen Mittelalterbands und was sorgt für Wiedererkennungswert bei eurer Musik?
Die „Elstern“ haben ihren eigenen „Sound“ schon lange gefunden und entwickelt. Es ist schwer Musik in Worte zu fassen, aber sagen wir, die „Elstern“ sind eine psychedelische Folk-Rock Band mit einer eigenen Auffassung von MA-Musik. Wir versuchen nicht, oder ausgesprochen selten, historisch getreu zu spielen, eher versuchen wir das Lebensgefühl unserer Kollegen aus dem MA zu verstehen und mit unseren Mitteln in den Gegenwart zu übertragen. Dabei sehen wir uns in der Tradition der Vaganten von Archipoeta über Villon bis hin zu Brecht.

Wodurch wird eure Musik am meisten beeinflusst (Vorbilder, Stilrichtungen, Kulturen, Religionen, usw.)?
„The Incredible String Band“, „Fairport Convention“, „Pentangle“, „Tir Na Nog“, „Les Musiciens De Provence“, „Musica Reservata“, etc. – was Bands betrifft.
Dann waren das 68iger Gedankengut und die „psychedelische“ Wundertüte der Hippies nicht ganz unwichtig.

Wie erklärt ihr euch die wachsende Akzeptanz eurer Musik in Deutschland auf der einen Seite und die ablehnende Haltung der Radiostationen, TV Sender, etc. auf der anderen?
Die Leute sind vielleicht ganz froh, mal nicht den Mainstream-Mampf von „volkstümlich“ bis hin zum Kommerzpop hören zu müssen. MA-Musik spricht direkter an, berührt irgendetwas „Ursprüngliches“ und ist seltsam vertraut.
Die Medien sind gekauft von der Musikindustrie (da gäbe es allerhand zu recherchieren). Die Sendezeit ist aufgeteilt unter den Giganten, die ihre Produkte in sogenannten „Paketen“ an die Sender verscherbeln die die dann abspielen müssen. Da gibt es wenig Raum für Neues. Auch eine Quote brächte uns nicht weiter. Die würde zugunsten der „Herzbuben“ angewendet.

Wie kann man allgemein und wie könnt ihr selbst Vorurteile wie z.B. Eintönigkeit und mangelnde Abwechslung gegenüber mittelalterlicher Musik widerlegen?
Da kann man nur Abhilfe schaffen, indem man „vieltönig“ und abwechslungsreich wird.
Langweilige Musik kann niemand gebrauchen.

Welche Zielgruppen sind eurer Meinung nach besonders geeignet für Drehleiern, Dudelsäcke, Geigen, Flöten, usw.?
Da müsste man differenzieren. Eine Drehleier kann die Hölle sein, wenn sie schlecht gespielt wird, ebenso wie jedes andere Instrument. Gut gespielte Instrumente sind für jeden Musikliebhaber interessant. Schubladen wie: Sackpfeifen für die Einfältigen und Harfen für die Intelligenz sind mir zu blöd.
Es gibt ein Problem für leise Gruppen auf MA-Märkten: man hört sie kaum. Da kommen Gruppen mit Säcken, Bombarden und Trommeln besser zum Zuge. Mittelweile ist das Problem aber erkannt und PA-Verstärkung setzt sich langsam durch.

Welches sind die größten Irrtümer, die man leichtfertig in Verbindung mit Mittelaltermusik bringt?
Über die MA-Märkte ist die neue Musikszene ins Rollen gekommen, da hat letztlich die Sache angefangen. Besonders KZK unter der Leitung von Jürgen Körber wäre da zu nennen
(natürlich auch Burgen auf denen Gelage abgehalten wurden hatten ihren Anteil). Der Multiplikator aber waren die Märkte. Liedmaterial wurde ausgetauscht, Instrumente verglichen und Aufführungspraxis studiert. Musikanten fanden Nischen, in denen sie überleben konnten. Und was verblüffend ist: Die Märkte waren keine Eintagsfliege, sondern ein Trend, der schon weit über 20 Jahre anhält. Also ein Hoch den Märkten und ihren Pionieren….

Welche Veränderungen habt ihr in all den Jahren erlebt?
Es stimmt, früher war die Musik nicht so laut, man musste dichter rangehen, um was zu hören. Die Märkte wurden populär und viele Menschen kamen und mit ihnen die Dudelsacktruppen. Auch gut, wenn auch manchmal nicht sehr abwechslungsreich, wenn 10 Gruppen das gleiche Repertoire spielen. Macht aber nichts, die Szene wandelt sich, es wird mal wieder interessant. Neue Synthesen zwischen Mittelalter und Neuem finden statt.
Ich find es spannend, mir eine Musik vorzustellen (und sie auch zu machen), die musikalisches Schubladendenken sprengt und übergreifend die Klangvorstellung von vielen Fans bedient. Vom Mittelalterpuristen über den Heavyadepten bis hin zum psychedelischen Fantasyträumer. Das geht, wir sind dran…..

Kommen wir zum Schluss noch zu unserem Wortspiel
Corvus Corax: Vorbild für viele Nachahmer. Rabenvögel wie die Elstern (Pica Pica)
Schandmaul: Die Schlacht ist gewonnen, wir haben gesiegt
In Extremo: Nomen est omen (Traum verwirklicht)
Subway to Sally: Die wissen, wies geht
Spielmänner und Spielmannsleben: Die Musik will gespielt, das Leben gelebt werden
Tradition und Fortschritt: könnte von der SPD sein
Plugged oder unplugged: nach wie auch immer – Hauptsache, es fährt ab
Tokio Hotel: hoffen wir, dass sie da heil hinauskommen

Geschrieben am von Metal1.info

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