Interview mit Benni von Flowing Tears

FLOWING TEARS melden sich nach längerer Pause und einem Labelwechsel mit dem besonderen Livealbum „Invanity“ zurück, aufgenommen in der Berliner Passionskirche. Wie es dazu kam und wie es weitergeht, verrät Gitarrist Benni.

Hy Benni, schön, dass wir mal wieder die Gelegenheit zu einem Gespräch haben. Es war lange Zeit ziemlich still um Euch. Kannst Du kurz die Gründe erläutern und erzählen, was Ihr sonst so getrieben habt?
Wir haben für unser letztes Album „Razorbliss“ sehr viel getourt, und waren am Ende sehr müde vom Touren, so dass wir uns nach dem Ende der letzten Tour dazu entschlossen haben, ein paar Monate Pause einzulegen, um neue Kraft und Ispiration zu tanken. Aus den paar Monaten wurden einige Monate mehr, was zwar nach aussen hin wie eine Pause wirkte, für uns als Musiker aber sehr wertvoll war, weil wir einfach mal Zeit hatten zu experimentieren und neues zu entdecken. Zudem haben wir in der Zwischenzeit das Label gewechselt, und solche Dinge nehmen immer sehr viel Zeit in Anspruch, Zeit, in der man als Band mehr oder weniger gezwungen ist zu warten. Aber auch das war für uns notwendig und letztendlich sehr motivierend. Im Nachhinein denke ich, war es schon gut so mit der langen Pause, denn jetzt, wo wir nach langer Zeit wieder als Band an neuen Songs arbeiten, fühlen wir uns kreativer denn je. Hätten wir damals gleich im Anschluss an die Razorbliss-Touren ein neues Album geschrieben, wäre es wohl nicht viel mehr geworden, als ein weiteres Album, dass man halt so schreibt, weil es das Business verlangt, dass bald ein neues Album kommt – und das sollte nie der Grund sein, Musik zu schreiben. Man sollte als Band dann ein Album schreiben, wenn man etwas zu sagen hat, und nicht, weil das Label drängelt. Wenn ich mir ansehe, wie viele Alben jeden Monat auf den Markt kommen, würde ich mir wünschen, dass sich mehr Bands zeit lassen mit ihren Alben, dann käme weniger raus, und die Qualität wäre höher, das würde unserer Szene sehr gut tun.

„Invanity – Live in Berlin“ ist Eure erste Live-CD, aber wie so oft bei FLOWING TEARS ist es gleich etwas ganz Besonderes…

Nun, es ist keine gewöhnliche Live CD, denn es wäre langweilig gewesen, einfach nur die Songs in Liveversionen zu veröffentlichen. Die Aufnahmen stammen von unserer Semi Akustik Tour 2004, und die Versionen der Songs auf dem Album sind komplett umarrangiert und neu gestaltet.

Wie kam es, dass Ihr in der Passionskirche in Berlin gespielt habt. So mancher Metaller nutzt Kirchen ja leider nur zum Anzünden.
Da hatten wir wenig Einfluß drauf. Die Tour wurde damals so gebucht. Natürlich ist es etwas ganz besonderes in einer Kirche zu spielen. Wir hatten zwar vorher schon einmal in einer Kirche in Holland gespielt, damals aber ein reguläres Konzert. Das Konzert in der Passionskirche war schon etwas sehr spezielles, denn man kann eine Kirche von der Atmosphäre und von der Akustik her natürlich nicht mit einem normalen Club oder einer Halle vergleichen. Der Altar der Kirche war die Bühne, Publikum und Band saßen, und es hatte wenig mit einem Metal oder Rockkonzert gemein, was man dem Album ja auch anhört. Jedenfalls war es eins der Konzerte, die man als Musiker niemals vergesen wird…

Von wie langer Hand war das Live-Album geplant? Dient es jetzt „nur“ aufgrund des Labelwechsels der Überbrückung oder hättet Ihr es auch bei Century Media veröffentlicht?
Nein, wir hätten das Livealbum so oder so veröffentlicht. Im Grunde wollten wir es schon viel früher veröffentlichen, leider haben sich die Verhandlungen wegen der Rechte sehr lange hingezogen, so dass das Album lange Zeit auf Eis lag.

Hattet Ihr die Songauswahl bereits im Vorfeld getroffen oder habt Ihr die Lieder genommen, die sich letztlich einfach am Besten anhörten (oder auch am wenigsten Fehler enthielten)?
Auf dem Album ist das komplette Konzert aus Berlin zu hören. Ich werde im Moment oft gefragt, warum das Album so kurz ist – nun, es ist so kurz, weil wir auf dieser Tour nur so kurz spielten. Wir waren damals ja als Support von The Gathering unterwegs, und als Support ist man leider was die Spielzeit angeht recht beschränkt. Wir haben also nichts weggelassen. Spielfahler gibt es auch so einige zu hören, aber ich denke, die gehören zu einem Livealbum auch dazu. Die Songauswahl für diese Konzerte hatten wir vorher getroffen, als wir die Songs umschrieben, denn natürlich haben nicht alle Flowing Tears Songs in dem semiakustischen Gewand funktioniert.

Als wir das letzte Mal miteinander gesprochen haben (Metal For Mercy 2005 in Bochum), meintest Du, dass es durchaus möglich sei, dass Ihr Euer „Joyparade“-Album noch einmal veröffentlichen würdet. Leider ist von dem Album kein Lied auf „Invanity“ vorhanden. Wäre es nicht eine gute Möglichkeit gewesen, mal anzutesten, wie dieses ältere Material ankommt? Songs wie „Odium“ oder „Spirals Meet The Sea“ hätten sich sicher sehr gut angehört.
Ja, das wäre keine schlechte Idee gewesen, daran hatten wir gar nicht gedacht… die Songs hätten in der Tat sicherlich interessant geklungen. Der Nachteil wäre aber gewesen, dass nur sehr wenige Leute die Songs gekannt hätten. Naja, aber die Idee ist vorgemerkt, falls wir mal wieder semiakustisch unterwegs sein sollten… ;-)

In meiner Review habe ich schon angesprochen, dass ich von der Wirkung der „Serpentine“-Stücke am meisten überrascht war. Gänsehaut pur bei den Liedern, die von dem für mich wenigsten guten FLOWING-TEARS-Album stammen.
Nun, das ist Geschmackssache. Ich mag „Serpentine“ sehr, weil es ein sehr experimentelles Album war zu seiner Zeit, und es eine sehr spannende Zeit für uns als Band war. Aber du hast schon recht, gerade songs wie „Portsall“ sind wie geschrieben für eine akustische Version. Es war ohnehin sehr spannend, alte Songs für diese Tour neu zu arrangieren, denn wir sind dabei den Songs viel näher gekommen, als jemals zuvor. In den reduzierten Versionen ist viel mehr Platz für Emotionen und Atmosphären zwischen den Tönen, auch die Texte bekommen mehr Platz. Gerade deshalb finde ich die Versionen auf dem Livealbum auch sehr emotional und vor allem sehr ehrlich. Auf Studioalben kommen irgendwann massenhaft Spuren und Instrumente dazu und teilweise entfernt man sich dabei von der Intention des Songs, von dem ursprünglichen Gefühl, das einen dazu bewegt hat, den Song zu schreiben. Als wir die Songs für die Tour neu arrangierten kam vieles davon wieder zu Tage und gab den Songs etwas sehr persönliches.

War der Aufwand des Umarangierens der Stücke eigentlich vergleichbar mit dem Schreiben eines ganz neuen Albums?
Irgendwie schon. Es war uns von vornherein klar, dass es uns zu langweilig sein würde, einfach nur die verzerrten Gitarren weg zu lassen, und die Songs ansonsten so zu spielen, wie immer. Wir entschieden uns damals, alles zur Disposition zu stellen: wir nahmen jeden Song komplett auseinander und bauten ihn neu zusammen. Die Version von „Lovesong for a dead child“ zum Beispiel hat fast nichts mit der Version auf „Jade“ zu tun, und gerade das machte den Reiz aus.

Bemängeln muss ich die knappe Spielzeit. Hätten nicht noch zwei oder drei Lieder vom großartigen „Jade“-Album Platz gefunden? Ich denke dabei an die genialen „Sistersun“ und „Radio Heroine“.
Ja, wie gesagt, unser Auftritt war nicht länger, weil wir als Support nicht mehr Zeit zur verfügung hatten. Klar hätten wir gerne mehr Songs gespielt, und gerade „Radio Heroine“ wäre auch einer meiner Favoriten gewesen, aber wir mussten uns auf wenige Songs beschränken, und mussten demokratisch abstimmen, und da fiel so mancher Song raus.

Ein paar Worte zum brandneu aufgenommenen Studio-Track „The Weeping Song“. Als Nick-Cave-Fan war es für Dich sicher eine Ehrensache, diesen tollen Song des Meisters zu covern.
Es war eine sehr spontane Idee. Wir sind gut mit Johan von Tiamat befreundet, und planen schon seit Jahren, mal etwas zusammen aufzunehmen. Bisher kamen aber immer die Zeitplanungen der beiden Bands dazwischen – oder wir arbeiteten an einem Song, den dann plötzlich jemand anderes veröffentlichte, denn wir wollten eigentlich „Summerwine“ von Nancy Sinatra covern, was bekanntlich dann jemand anderes tat… wie auch immer: „The Weeping Song“ ist einer meiner Lieblingssongs, und er passte von der Instumentierung her perfekt auf das Livealbum, weil er im Original mit fast den gleichen Mitteln gespielt wurde, mit denen wir auf der Akustiktour arbeiteten. Ich erzählte Johan von der Idee, und er war sofort davon begeistert, da er auch ein großer Nick Cave Fan ist… Johan nahm noch in der gleichen Nacht einen Gesang auf…

Ich finde die Umsetzung wirklich ausgesprochen gelungen, vor allem der Wechselgesang Frau-Mann unterstreicht sehr schön die Dynamik des Liedes. Allerdings finde ich, dass sich Johan Edlund (Tiamat) doch sehr wie Cave im Original anhört.
Ja, er hat sich sehr stark am Original orientiert. Ein wenig ist unsere Coverversion ja auch eine Hommage, daher finde ich dass Johan\’s Interpretation super passt, auch wenn ich finde, dass man durchaus eine typische Johan Edlund Note heraushört.

Spannend finde ich die Auswahl des zweiten Coverliedes „Dead Skin Mask“ von Slayer. Warum gerade dieses Lied bei einem semiakustischen Auftritt?
Eine spontane Idee, und auch ein wenig Provokation. Denn niemand würde erwarten, dass eine band wie Flowing Tears – noch dazu auf einer Akustiktour – Slayer covern würde. Wir spielten den Song während der Proben zu der Tour mehr aus Spaß, merkten aber schnell, dass es eine spannende Idee ist, den Drumloop von Massive Attacks „Teardrop“ mit dem Riffing von „Dead skin mask“ zu verbinden. Wir spielten den Song dann beim ersten Konzert der Tour, um zu testen, wie er ankam – und es war sehr lustig, die Reaktionen des Publikums zu beobachten, als sie erkannten, dass wir da einen Slayer Song verwursteten, haha… es ist aber auch ein wenig Statement, dass wir auf dem Album sowohl Slayer als auch Nick Cave covern, denn das zeigt ganz gut, dass wir ein recht breites Spektrum an Einflüssen verarbeiten. Für Metalpuristen und Die Hard Slayer fans ist unsere Version natürlich weniger geeigent, haha, die werden uns dafür hassen. Immerhin fand Bruce Dickinson die Version so gut, dass er sie vor Kurzem in seiner Radioshow gespielt hat, was uns sehr ehrt…

Auf Eurer Homepage wird ein neues Album für 2008/09 angekündigt. Habt Ihr mit dem Songwriting bereits begonnen oder kannst Du zumindest scheon mal was zur Richtung sagen?
Wir sind mitten in der Vorproduktion, und etwa die Hälfte der Songs sind schon fertig geschrieben. Von der Richtung her würde ich die songs ganz grob als eine Fortsetzung von „Jade“ beschreiben. Sprich: wieder sehr viel atmosphärischer, wir haben fast alle Keyboards über Bord geworfen, dafür wird es auf dem Album mehr Gitarren geben, als auf unseren beiden letzten zusammen. Und es wird ein sehr textbetontes album. „Razorbliss“ war ein sehr direktes, rockiges, unkompliziertes Album, und das war damals auch das, was wir wollten – im Nachhinein aber etwas zu oberflächlich, denn geradlinige rocksongs schreiben viele bands, das was Flowing tears ausmacht, ist die Atmosphäre, und die kam auf „Razorbliss“ zu kurz. Ich habe mich in der letzten Zeit wieder viel mit Bands beschäftigt, die mich vor langer Zeit sehr inspiriert hatten, wie Anathema, Katatonia oder mittelalte Paradise Lost. Diese Bands sind für mich persönlich Meister im Kreieren von melancholischen Stimmungen, und definitiv ein sehr deutlicher Einfluss auf das, was ich im Moment schreibe. Aber natürlich ist es noch zu früh, etwas über den definitiven Sound des Albums zu sagen, denn da wird natürlich auch die Wahl des Produzenten etc. eine Rolle spielen….

Wie sieht es mit Liveaktivitäten aus? In der Vergangenheit ward Ihr immer mal wieder auf längeren Touren durch Deutschland und das nähere europäische Ausland, zuletzt habt Ihr Euch aber etwas rar gemacht.
Und das bewusst. Eine Band, die man alle drei Wochen an jeder Ecke sehen kann, wird irgendwann uninteressant. Wir hatten kein neues Album, also machte es auch keinen Sinn zu touren. Natürlich haben wir uns hier und da blicken lassen, vor einigen Wochen waren wir in Brüssel auf dem „Metal Female Voices Festival“, und es bereitete uns schon die ein oder andere Gänsehaut, zu sehen, wie wir da nach so langer Zeit empfangen wurden. Das ist schön, und eine Besonderheit in der Metalszene. Wir planen aber dennoch, wieder vermehrt live zu spielen, wenn wir ein neues Studioalbum am Start haben.

Die gute Tradition des Wortspiels soll auch in diesem Gespräch nicht gebrochen werden. Sage schnell, was Dir spontan zu den folgenden Begriffen einfällt.

Religion: eine sehr weise Band sagte einmal „Metal is Religion“.

Tod: ist eine der wenigen Dinge im Leben, die sicher sind.

Soziales Engagement: ist wichtig. Leider heute nicht mehr selbstverständlich.

Vergangenheit: ist das Bild, das man in sich trägt.

Zukunft: sind die Wünsche und Ängste, die einen zu dem motivieren, was man in der Gegenwart tut.

Metal1.info: ist eine feine Seite. Ich habe sie ehrlich gesagt erst durch dieses Interview kennen gelernt – aber mir gefällt, was ich gesehen und gelesen habe – wird definitiv auf meiner Cookieliste landen….

Vielen Dank, Benni, dass Du Dir Zeit für das Interview genommen hast. Euch alles Gute und hoffentlich bis bald mal wieder.

Publiziert am von Jan Müller

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