Interview mit Süd von Hämatom

Zehn Jahre Hämatom sind ins Land gezogen. Zu diesem Anlass stellte sich Schlagzeuger Süd erneut unseren Fragen und ließ die letzten Jahre Revue passieren. Lest hier, wie sich die vier Himmelsrichtungen trotz aller Widerstände ihren Weg gebahnt haben – und was euch auf dem Best-Of „X“ erwartet. Dazu spricht Süd über eigene Fehler, unterschätzte Qualitäten und die Unterschiede von Eisbrecher und Rammstein.

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Hallo Süd! Für was steht Hämatom für dich nach zehn Jahren, fünf Studioalben und unzähligen Liveauftritten?
Wir haben auf jeden Fall wahnsinnig viel erlebt. Sind nun erfahrener, professioneller und haben uns über den ein oder anderen Umweg selbst gefunden. Vor allem die ersten fünf Jahre waren eine große Suche nach unserem Sound und Inhalt. Von daher gibt es für mich Hämatom jetzt zwar schon seit zehn Jahren, aber die ausgereifte, nicht mehr suchende Formation, die bei sich selbst angekommen ist, existiert erst seit ungefähr fünf Jahren.

Wie bewertest du eure Anfangszeit mit den Singles „Butzemann“ und „Häschen“ im Vergleich zu heute mit „X“ oder auch „Keinzeitmensch“?
Die Anfangszeit war im Nachhinein nicht unbedingt der richtige Weg. Zwar war sie bestimmt notwendig, damit wir nun da stehen, wo wir stehen, aber wir schauen nicht auf alle Aktionen / Songs stolz zurück. Man muss auch sagen, dass generell unser Versuch, Gesellschaftskritik in Kinderlieder zu packen, von vielen Zuhörern nicht verstanden wurde, was natürlich auch an unserer Umsetzung gelegen hat. Dennoch gibt es Songs aus unserer Anfangszeit, wie eben Butzemann, die ich immernoch sehr gerne höre.

Auf eurem Best-Of „X“ habt ihr sowohl einige alte Songs neu aufgenommen als Metal-Coverversionen von bekannten Hits integriert. Wie entstand die Idee, diese beiden Ansätze zu mischen?
Wir wollten unbedingt eine Veröffentlichung zu unserem Jubiläum machen und haben dann eben unsere Köpfe zusammen gesteckt, wie auch rübergeguckt, was unsere Musikerkollegen so achen. Ein reines Best-Of-Album war uns dabei zu wenig. Wobei wir unbedingt unsere Lieblingssongs gerne nochmal neu aufnehmen wollten, vor allem die aus der Anfangszeit, als wir mit unseren Produktionen soundtechnisch noch nicht so zufrieden waren. Und weil wir das eben nicht ausreichend fanden, nicht von den Fans als „Geldmacherei“ kritisiert werden wollten, haben wir noch zwei neue Songs dazugepackt und uns zusammengesetzt, um Coverversionen zu probieren. Letzteres hat dann auch noch soviel Spaß gemacht, dass wir nun das wohl wertigste Produkt der Welt auf den Markt schmeißen (lacht). Und wem das noch nicht genug ist, kann sich die Freak-Box mit exklusivem limitiertem Fotobuch und DVD bestellen. Bei diesem Fan-Paket verdienen wir übrigens keinen Cent, weil die Produktion so teuer war. Alle CDs und das Buch sind übrigens auch noch in tollen Metallboxen verpackt.

Haematom_Band-2Wie habt ihr das Hämatom-eigene Best-Of-Material ermittelt? Jeder Fan und vielleicht auch jedes Bandmitglied dürfte seine eigene Meinung haben…
Ganz genau, da gibt’s dann eine lange Diskussion und am Ende hat man eben die zehn Songs durch demokratische Abstimmung ermittelt. Natürlich gibt’s dabei Tracks, bei denen sich alle einig sind und eben welche, wo dann der Mehrheitsbeschluss entscheidet.

Eure Coverversionen beinhalten unter anderem Songs von Sido, Jan Delay und Fettes Brot. Wieso habt ihr euch für eben jenes Material entschieden?
Wir fanden es witzlos, als Metalband harte oder Metalsongs zu interpretieren. Also haben wir Lieder gesucht, die im Idealfall sogar keine E-Gitarre, geschweige denn Double-Bass beinhalten. Auf dieser Suche landet man dann schnell bei eben zum Beispiel Hip-Hop oder Schlager, wobei letzteres für uns nicht in Betracht gezogen wurde, da zu schnulzig.

Callejon haben eben das Konzept der Metalcover bereits in der Vergangenheit populär gemacht. Greift ihr diesen Ansatz auf oder worin seht ihr die Unterschiede?
Callejon haben dieses Konzept gemacht, das ist richtig. Und vor Callejon haben es Dick Brave oder auch Apocalyptica und viele mehr gemacht: im eigenen Stil neu interpretieren. Das finden wir ja gerade das spannende. Jede Band hat ihren eigenen Sound und es macht Spaß bekannte Hits eben in dieser neuen Interpretation zu hören, da ist es egal, wer als erster diese Idee hatte. Auch der Jazz Pianist Jamie Cullum hat eine super Interpretaion von Rihanna veröffentlicht.

Werdet ihr auch einige eurer Versionen auf eurer Jubliläumstour im Winter live spielen?
Natürlich! Welche das genau sind, ist noch nicht klar. Klar ist aber, dass Hämatom-Songs überwiegen. Das ist jetzt keine Coverversionen-Tour. Es ist die Hämatom-Jubiläumstour.

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Um Weihnachten herum tretet ihr bei einem besonderen Jahresabschlusskonzert zusammen mit Knorkator auf. Was gefällt euch besonders an den Berlinern und wieso passen sie zu Hämatom?
Wir mochten sie alle schon, bevor es Hämatom gab. Sich nicht zu ernst nehmen und krass sein, im Publikum auch unschön anzuecken, sozusagen über die Stränge schlagen und den Zuhörer herausfordern, das mögen wir. Knorkator sind kein gefälliger Hollywood-Blockbuster, das findet man eher bei Helene Fischer, und genau deshalb lieben wir sie!

Wie sehr plant ihr eure Zukunft? Lasst ihr das meiste einfach auf euch zukommen oder habt ihr konkrete Vorstellungen, wann ihr wie weit kommen wollt?
Wir planen viel und es kommt dann immer alles ganz anders. Da muss man beim Musizieren immer locker und aufgeschlossen für alles neue sein, sonst wirst du verrückt.

Sind „Teufelsweib“ und „Leichen pflastern unsern Weg“ ein Vorgeschmack auf euer nächstes Album?
Ja, könnte ich mir vorstellen, wobei wir so weit mit der Planung nicht sind. Wir wollten zwei neue Songs zu „X“ veröffentlichen und Ost hatte diese beiden Ideen, die wir spontan alle super fanden. Schön dabei ist, dass sie auch unterschiedlich sind, also einmal „Haudraufnummer“ und einmal getragener, was eine schöne Abwechslung in unseren Doppel-Silberling bringt.

In „Totgesagt Doch Neugeboren – Teil 3“ präsentiert ihr eine Coverversion von einem eurer größten Hits, mehrheitlich getragen von Piano und Nords Stimme. Wie ist die Idee dazu entstanden?
Ich würde es auch nicht als Coverversion beschreiben, sondern als Pianoversion. Die Idee stammt von mir, nachdem ich mich mit einer alten Bekannten, die Klavier studiert, getroffen hatte. Ich wollte unbedingt diesen Song auf diese CD. Die Gastsänger waren aber schon auf unserem Album „Wenn man vom Teufel spricht“ mit dabei und wohl kaum zu toppen in dieser Interpretation. Also musste ein anderer Ansatz her, und der war dann das Klavier.

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Seid ihr der Meinung, dass Nord für seine gesanglichen Qualitäten unterschätzt wird?
Möglicherweise ja, weil das Feedback auf diese Pianoversion echt super ist. Wir als Bandmitglieer wussten ja alle, dass er auch so kann, aber die Leute da draußen dachten wohl, dass er nur ein „Schreihals“ ist.

Gibt es bestimmte Zeitpunkte oder Ereignisse, von denen du denkst, dass sie maßgeblich zu eurem jetzigen Erfolg beigetragen haben?
Unser Wechsel zum Label Rookies and Kings war auf jeden Fall ein Karriereschub. Ansonsten ist es die Summe aus den zahlreichen Festivals, Supportshows, unsere Videos und vieles mehr.

Ihr seid letztes Jahr in Sofia im Vorprogramm von Rammstein aufgetreten und wart mit Eisbrecher oder auch Megaherz unterwegs. Wie groß sind die Unterschiede sowohl was die Locations als auch das Zwischenmenschliche betrifft?
Eisbrecher, Megaherz, Die Apokalyptischen Reiter und J.B.O. sind alles sehr nette Bands. Man sitzt zusammen, tauscht sich aus, begutachtet gegenseitig die Konzerte usw. Das sind natürlich intensivere Beziehungen als zu Rammstein. Wobei wir da auch ein gemeinsames Fotoshooting hatten und das Catering geteilt haben. Ohne lange, tiefergehende Gespräche war unser Eindruck, dass Rammstein eine sehr sympathische, gar nicht abgehobene, eher bodenständige Band sind. Die Location und ganze Logistik um ein Konzert von Rammstein ist natürlich eine ganz andere Liga als bei den anderen Bands.

Wie sehr greifen bei euren Liveauftritten Automatismen und inwiefern ist jeder Auftritt – abgesehen von wechselnden Zuhörern und Orten – individuell verschieden?
Ich denke, dass jeder Auftritt anders ist. Schließlich ist jede Location und jedes Publikum unterschiedlich. Wir spielen zwar immer das Gleiche innerhalb einer Tour, aber die Reaktionen sind oft unterschiedlich, es passieren nicht vorhersehbare Dinge. Also ein Liveauftritt ist eine Momentaufnahme, die für sich steht und nicht wieder nachgebaut werden kann.

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Wie hat sich die Technik im Laufe der Jahre entwickelt und wie hat sich das auf die Produktion der einzelnen Alben ausgewirkt?
Nein, nicht wirklich. Schon vor zehn Jahren haben wir mit Harddisk-Recording aufgenommen und die Software, die unser Produzent Kohle für dieses Album verwendet hat, war bestimmt auch schon sieben Jahre alt. Die Technik ist da inzwischen zweitrangig, weil das Niveau generell schon so hoch ist. Früher haben wir noch gleichzeitig eingespielt, das machen wir inzwischen nacheinander. Das ist aber eine Entscheidung, die man unabhängig von der Technik trifft. Live hingegen arbeiten wir jetzt mit Videoanimationen, die in dieser Form wohl vor zehn Jahren nicht möglich gewesen wären.

Haben sich das Verhalten der Fans und ihre Ansprüche im Laufe der Zeit geändert?
Ich glaube nicht wirklich. Ein guter Song, ein gutes Album findet seinen Weg. Wobei man die Leute natürlich in der permanenten Reizüberflutung darüber informieren muss, dass es etwas Neues gibt. Man muss kreativ auf sich aufmerksam machen. Alle ballern mit Infos herum und gefühlt gibt’s ja mehr Bands als Fans (lacht)

Fühlt ihr euch genügend respektiert und geachtet für eure Arbeit, sowohl von den Fans als auch von den anderen Medien?
Von den Fans auf jeden Fall. Viele Medien nehmen erst seit ca. vier Jahren – würde ich sagen – die Band Hämatom ernst. Vorher waren das unangenehme Machtspielchen, die sich aber inzwischen glücklicherweise gelegt haben. Wie gesagt, wir glauben daran, dass gute Musik in der Regel ihren Weg findet. Wächst der Fankreis, wirst du auch von den Medien nicht mehr umschifft.

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Welcher Gastmusiker konnte im Laufe der Jahre am meisten zu euerer Musik beitragen?
Wohl der Pat von Fiddler’s Green. Er hat nicht nur bei „Totgesagt doch neugeboren“, dem heimlichen Hämatom-Hit, mitgewirkt, sondern auch auf „Keinzeitmensch“ viele Backings gesungen und wird auch immer wieder in Videos verbraten (lacht)

10 Mal rückblickend betrachtet…
Dein persönliches Hämatom-Lieblingslied (und warum): Der Song „Warum“, weil ich ihn so oft wie keinen anderen angehört habe
Dein Lieblingsalbum (und warum): Bis jetzt das Album „X“, weil das alles beinhaltet, was Hämatom ausmacht
Dein Lieblingsliveauftritt (und warum): Alpen Flair 2014. Da hat alles gestimmt: ein Auftritt bei Dunkelheit vor 10 000 Zuschauern, die unsere Show in vollen Zügen genossen haben
Deine Lieblingstour: Keinzeitmensch 2013
Dein schönstes Tourerlebnis: Support von Rammstein in Sofia
Eure Highlights fernab der Musik: Erklimmung des höchsten Berges Nordafrikas auf über 4000 Meter.
Eure persönlichen Tiefpunkte: Die Tour mit Ektomorf – so eine Scheiße!
Euer schönstes Fangeschenk: Oh, da gab’s schon viele: tolle Hämatom-Schals aus Berlin, Hämatom-Handyhüllen. Aber natürlich ist das schönste Geschenk eine volle Bude mit vielen Fans, die hohldrehen!
Eure größte Hoffnung: Hämatom als Hauptberuf, alles andere zum Gelderwerb Notwendige kann man bleiben lassen
Was du immer schon einmal mitteilen wolltest, aber bis jetzt in keinem Interview gesagt hast:
Haltet Ausschau nach dem brennenden „X“

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Zum Jubiläum gibt es für dich abschließend noch 10 Mal unser bekanntes Brainstorming:
20 Jahre Hämatom:
Ist schneller da als man denkt
Adam sucht Eva: Adam sollte lieber die Finger davon lassen
Frei.Wild: Chefs der Deutschrockszene
Politik in der Musik: Schwer ganz vermeidbar
Kommerz: Ein Begriff, den es genauer zu diskutieren gilt
Lieblingsarschloch: Wechselt bei mir täglich
Masken und Schminke: Unser täglich Brot
Kompass: Lebensnotwendig
Alex Wesselsky: Coole Sau
Heidi Klum: Sie bessert sich

Welche Frage kannst du inzwischen nicht mehr hören, obwohl sie dir immer wieder gestellt wird?
„Warum verwendet ihr Masken?“ – obwohl ich sie weiterhin gerne beantworten werde!

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