Interview mit J.J. von Harakiri For The Sky

Mit „Aokigahara“ präsentieren die österreischischen Post-Metal-Senkrechtstarter HARAKIRI FOR THE SKY bereits das zweite Album in der noch jungen Bandgeschichte. Alle Hintergründe dazu erfahrt ihr im folgenden Interview mit Sänger / Texter J.J., der nicht nur über Songwriting, lyrische Konzepte und Einflüsse der Band zu berichten weiß, sondern auch eine prägnante Analyse der derzeitigen Szene gibt und sogar eine fundierte politische Ansicht vertritt.

HarakiriFTS-Logo

Die aktuelle Platte ist jetzt schon ein paar Tage veröffentlicht, ist mit dem Release alles glatt gegangen?
Hey. Ja ist schlussendlich dann alles gut gegangen. Platten, CD’s als auch die Shirts waren pünktlich zum Veröffentlichungstermin und der anstehenden Tour bei uns. Eine Album Tour ohne Album wäre ja doch ziemlich scheiße gewesen…

Die zweite Veröffentlichung hat nach dem Debüt nicht lange auf sich warten lassen. War vielleicht schon Material fertig und ist noch vom Songwriting von „Harakiri For The Sky“ übrig geblieben?
Ich kann an dieser Stelle nur für mich selber sprechen. In meinem Fall gab es auf jeden Fall schon diverse Textfragmente, die später für „Aokigahara“ verarbeitet wurden, da ich mir ständig Notizen mache, wenn mir etwas einfällt. Was M.S. betrifft, gehe ich ebenfalls davon aus, dass ihm der ein oder andere Riff schon kurz nach Vollendung unseres ersten Albums in den Sinn kam. Prinzipiell entstand der Großteil der Songs jedoch in konstanten Schritten über das letzte Jahr verteilt.

Die Musik ist (wieder) ausgesprochen düster gehalten. Wie sehr entspricht das eurem Naturell? Kanalisiert ihr damit (temporäre) negative Gemütszustände?
Was die Texte betrifft auf jeden Fall. Ich würde mich im wesentlichen Sinn schon als Melancholiker bezeichnen, somit kannst du das Textkonzept hinter HARAKIRI FOR THE SKY grundsätzlich als ein autobiografisches betrachten. Und ja, ich empfinde Texte zu schreiben und Musik zu machen im Allgemeinen durchaus als Ventil um negative Gefühle zu kanalisieren. Bei mir geht das Texte schreiben zu 90% Hand in Hand mit dem Konsum von Alkohol und schwerer Musik, welche ich in diesem Fall ebenfalls konsumiere um negative Gefühlszustände zu kompensieren.

Harakiri For The Sky - Interview 2014 I

Da ihr betont, dass du für das lyrische Konzept zuständig bist, kann ich mir vorstellen, dass da mehr dahintersteckt als 08/15-Texte. Sag doch mal etwas zu den Worten neben der Musik, der Albumtitel („Aokigahara“ = „Der Wald der Selbstmörder“) oder der Song „69 Dead Birds For Utøya“, welcher thematische Nähe zu Anders Breivik nahelegt, klingen beispielsweise sehr interessant.
Das Konzept von „69 Dead Birds For Utøya“ bezieht sich im weiteren Sinn tatsächlich auf den Amoklauf von Anders Breivik. Der Inhalt des Songs kann jedoch aber leicht auf andere Geschehnisse in der nicht allzu nahen Vergangenheit ausgelegt werden. So wurde er etwa auf unserer letzten Tour kurzzeitig in „17 Dead Birds For Erfurt“ umbenannt, wenn du verstehst worauf ich hinaus will (Gemeint ist der Amoklauf von Erfurt im Jahr 2002, Anm. d. Red.). Wenn man sich etwas genauer mit den Texten zu „Aokigahara“ beschäftigt, kann man, denke ich, recht gut erkennen, um was es in den jeweiligen Songs geht. Wie im Fall von „69 Dead Birds For Utøya“ oder „Jhator“ deutet manchmal auch schon der jeweilige Titel darauf hin. Jeder Song bezieht sich auf andere, meist negativ behaftete Facetten unseres Lebens wie etwa der Entfremdung. Dass bei HARAKIRI FOR THE SKY bloß Suizidgedanken verarbeitet werden, wie in diversen Internetberichten nicht selten zu lesen ist, ist Schwachsinn. Tendenziell werden eher die Hintergründe thematisiert, aus denen sich diese negativen Gemütszustände zusammensetzen.

Als Zwei-Mann-Projekt bzw. -Band gibt es sicher Vor- und Nachteile. Schildert mal, wie sich das in der Praxis darstellt und warum ihr nicht auf eine Komplettbesetzung aufstockt.
Ein Vorteil einer Zwei-Mann Band ist sicherlich, dass man relativ unabhängig von anderen agieren kann und nicht auf die Verlässlichkeit und das Entgegenkommen von dritten angewiesen ist. Zudem sind die Aufgaben in einer so kleinen Band, wie etwa in unserem Fall, ziemlich klar verteilt. Man kann sich zudem auch schnell und einfach arrangieren. Der Nachteil ist sicher, dass die Arbeit, die in so einer Band anfällt und sich sonst auf mehrere Leute verteilt von zwei Leuten bewältigt werden muss. Zumindest was das Booking der Shows betrifft, hilft uns jedoch unser Live-Gitarrist Marrok schon sehr weiter. So bleibt zumindest diese Komponente des Bandalltags nicht auch noch an uns hängen.

Postrockender Metal ist nach wie vor sehr angesagt. Hast du eine Erklärung dafür? Wird es vielleicht für junge Bands zunehmend schwieriger, weil der Markt allmählich übersättigt ist? Nutzen zu viele den Hype und bringen nicht die notwendige Qualität mit sich, was sich demnächst in der Szene auswirken könnte?
Buh, das ist eine schwierige Frage… Ich kann nicht sagen, ob meine Argumente allgemeine Gültigkeit haben, aber ich mag diesen Stil halt vor allem deswegen, weil er einer Erweiterung bzw. Ergänzung des Sounds darstellt, den wir von den 90ern her kennen. Irgendwann 2007/08 herum war bei mir der Zeitpunkt da, nachdem ich Jahre lang fast nur Black Metal gehört hatte, an dem ich mich nach neuer und komplexerer Musik umsah. Und was ich dabei fand, hat mich sprichwörtlich umgehauen, denn Post-Rock hatte all das, was ich im Black Metal so oft vermisst habe, noch nie zuvor hatte ich Musik mit so viel Tiefgang gehört. Es dauerte auch nicht lange und andere Leute entdeckten diesen Stil für sich. Dann kam auch schon die erste Amesoeurs-EP und der Grundstein für den Post-Black-Metal, wie wir ihn heute kennen, war gelegt. Was in den Folgejahren abging, muss ich an dieser Stelle wahrscheinlich nicht lang und breit erwähnen.
Harakiri For The Sky - Interview 2014 IIUnd du hast sicher Recht, von Jahr zu Jahr haben immer mehr Bands diesen Stil adaptiert und in ihr Songwriting einfließen lassen. So richtig schlechte Post-Black-Metal-Bands sind mir aber bisher nicht wirklich viele untergekommen, obwohl ich mir sicher bin, dass es nicht mehr lange dauern wird. Wie auch in der, ich weiß nicht wie ich es ausdrücken soll, ursprünglichen Black-Metal-Szene, wird der ureigene Charakter dieses Stils aber irgendwann durch hunderttausende Bands, die nichts von Musik verstehen, verwaschen werden und man wird sich die Perlen mühselig herauspicken müssen. Prinzipiell bin ich aber ein großer Befürworter von der Vermischung des Black Metals mit anderen Stilen. Eine der intensivsten und kraftvollsten Musikspielarten wird so noch um eine oder mehrere Komponenten erweitert, woraus Teils gewaltige, wenn nicht monumentale Werke entstehen. Mittlerweile scheint dies auch vielen anderen aufgefallen zu sein, denn umsonst gibt es nicht Bands wie Altar Of Plagues oder Deafheaven, die eigentlich aus der Hardcore/Crust Ecke kommen, sich schlussendlich jedoch im Black Metal wiedergefunden haben. Nimmt man etwa das letzte Russian-Circles-Album, so kann man gut hören, dass sich mittlerweile sogar altgediente Post-Rock-Bands in diesen Stil verliebt haben.

Was macht für dich einen guten Post-Rock- / -Metal-Song aus?
Ich glaube nicht, dass man das so einfach definieren kann, was einen guten Song im Allgemeinen ausmacht. Es gibt Lieder mit nur knapp zwei Minuten Spielzeit, die alle haben, was nötig ist, um sie zu einem hervorragenden Song zu machen, aber auch welche mit 20 Minuten, die sich Schritt für Schritt zur Ekstase spielen. Was Metal und Post Rock betrifft, bin ich aber schon eher ein Fan von den langen, ausschweifenden Sachen, die immer wieder entschleunigen, um im Verlauf des Songs stets weitere Höhepunkte zu erreichen.

Die neue Platte hat wesentlich mehr Spielzeit als das Debüt. Brauchte das Konzept so viel Material oder hattet ihr einfach so viel Stoff?
Naja, prinzipiell war es nicht geplant, ein so langes Album zu schreiben, das hat sich einfach so ergeben. Ich finde aber schon, dass 70 Minuten Spielzeit für diese Art der Musik durchaus in Ordnung gehen.

Kann man denn auch zukünftig auf eine solche Veröffentlichungsgeschwindigkeit hoffen?
Ich denke schon, denn wir sind jung, kreativ und sehr motiviert, diese Band stetig voran zu treiben. Wenn uns also nichts Gravierendes in diesem Vorhaben behindern sollte, kann mit einer weiteren Veröffentlichung in den nächsten ein bis zwei Jahren durchaus zu rechnen sein.

Vielleicht kannst du noch etwas zu dem stimmungsvollen Coverartwork sagen, wie fügt es sich in das Konzept aus Musik und Texten ein?
Das Coverartwork wurde, wie auch beim ersten Album, von meinem guten Freund Tristan entworfen, den ich schon seit Kindertagen kenne. Wie der auf dem Waldboden verendete Fuchs ins Gesamtbild der Band passt, sollte aber eigentlich klar sein. Für mich hat das Artwork (der Fuchs, sowie die beiden „Hirschfänger“ auf der Hinterseite der Platte) im entfernten Sinn aber auch einen heimatlichen Bezug zu der ländlichen Gegend, aus der ich komme. Das Layout fügt sich meiner Meinung nach daher ausgezeichnet in die Symbiose von Musik und Texten.

Der Bandname ist alles andere als alltäglich, klingt er für euch einfach nur cool oder hat er eine tiefere Bedeutung?
Der Name ist auf meinem Mist gewachsen und ich weiß, er ist recht eigentümlich. Er hat aber für mich schon eine tiefere Bedeutung. Jahrelang habe ich nach einem Begriff gesucht, der das Gefühl, diese Ohnmacht wiedergibt, die mich etwa Musik oder gewisse Umstände meines Lebens empfinden lassen. Als würde man so schnell man kann über Wiesen und Felder rennen, um sich am Höhepunkt des Songs von einer Klippe ins Meer zu stürzen. Sieh dir das Video zu „Glosoli“ von Sigur Ros an und du weißt, was ich meine. HARAKIRI FOR THE SKY kommt diesem Begriff noch am ähnlichsten.

Harakiri For The Sky - Aokigahara

Kaum eine Band verzichtet heute noch auf eine Facebook-Seite, MySpace hingegen entpuppt sich mehr und mehr als eine nur recht kurzfristige Angelegenheit. Wie wichtig und hilfreich sind soziale Netzwerke für euch?
Soziale Netzwerke wie Facebook, Youtube oder Bandcamp sind heutzutage sehr wichtig für das Vorankommen einer Band, ohne die geht gar nix. Um eine Band heutzutage halbwegs bekannt zu machen ist Internetpräsenz das Non-plus-Ultra. MySpace entpuppt sich meiner Meinung nach jedoch nicht mehr nur als kurzfristige Angelegenheit, sondern ist für mich schon seit nun fast fünf Jahren tot (ok, das wollte ich wohl etwas zu diplomatisch ausdrücken – Anm. d. Red.)

Wie sieht es mit Live-Aktivitäten aus? Mit zwei hochklassigen Alben im Gepäck könnte man doch recht gut rumkommen, oder?
Wir spielen dieses Jahr drei Touren und zudem einige Weekender, sowie Festival-Auftritte. Unsere Album-Release-Tour von Ende April (mit Fäulnis und Eis) haben wir schon hinter uns. Ende Mai geht’s für ein paar Tage nach Schweden, wo wir mit den Bands Vanhelga und Kall touren, die beide aus den Trümmern von Lifelover geformt wurden. Danach spielen wir, wie gesagt, auf einigen Festivals, wie etwa dem Wolfszeit oder dem Eine-in-Teich-Festival. Ende Oktober sind wir dann für zehn Konzerte mit der Band Agrypnie unterwegs. Es kommt also in nächster Zeit noch einiges auf uns zu.

So, mit den Fragen wären wir durch, machen wir zum Schluss noch das beliebte Metal1-Wortspiel, deine ersten Gedanken zu den folgenden Begriffen:
Ukraine: Ich muss sagen, dass mich dieses Thema die letzten paar Monate schon sehr beschäftigt hat. Die Unruhen vom 20. Februar am Majdan haben mich in meinen Grundfeste erschüttert, da ich so etwas in Europa nie für möglich gehalten hätte. In Syrien oder anderswo ja, aber nicht 600 km Luftlinie von Wien entfernt. Die darauffolgende Absetzung von Janukowytsch und die anschließende Freilassung von Julija Tymoschenko waren die ersten Schritte in die richtige Richtung, da ich ebenfalls für eine schrittweise Annäherung an Europa weg von Russland plädiere. Was sich danach auf der Krim und mittlerweile auch im Osten des Landes abspielt, grenzt jedoch an eine Farce, einfach unglaublich. Wahlen zur Autonomie gewisser Landstriche, die vom Ablauf her an jene Hierzulande vor dem Anschluss 1938 erinnern? Das ist nicht euer Ernst. Diese Thematik hat mittlerweile jedoch Ausmaße angenommen, die es mir sehr schwierig machen, diese Streitfrage in diesem Interview angemessen zu besprechen, deshalb werde ich es bei dem Gesagten belassen. Mal sehen, was die Zukunft in dieser Hinsicht noch bringt.
Bier: Sollte mindestens 5% haben, sonst taugt es nichts.
Klima: Ich würde lieber in einer gemäßigteren Klima-Zone leben, da ich den Winter abgrundtief hasse. In Wien liegt niemals Schnee, es ist nur scheißkalt und matschig, einfach beschissen.
Literatur: Ich muss leider zugeben, dass ich abseits meines Studiums und der Tageszeitung nur sehr wenig lese. Wenn, dann aber eher abgedrehtes Zeug wie Charles Bukowski oder Henry Miller. Früher auch oft philosophisches Zeug wie Nietzsche oder Schopenhauer. Auch „Into The Wild“ von Jon Krakauer habe ich gerne gelesen. Ach ja, und ich hasse Kafka. Die Verwandlung? Was soll der Scheiß?
Fußball-Weltmeisterschaft: Ist wie Fußball im Allgemeinen eine der größten Niederlagen der Menschheit.

Das war es endgültig, aber die letzten Worte gehören natürlich dir.
Danke für das Interview, ich hoffe meine Antworten haben etwas Licht in die Sache gebracht.

Publiziert am von Jan Müller

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