Interview mit Jan Hoffmann von Long Distance Calling

Am 22.02.11 beehrten LONG DISTANCE CALLING das Münchner Feierwerk. Vor der Show gab Bassist Jan Hoffmann eine Stunde lang bereitwillig Auskunft über seine Auffassung von Musik, Modern Talking und nicht zuletzt auch zum neuen, selbstbetitelten Album. Das einstündige Gespräch brachte auch Erkenntnisse über die Einstellung der Band zu Lena, Bandhomepages und Tourbus-Exzessen.

Grüß dich Jan, danke dir für das Interview erstmal. Wie läuft die Tour bisher?
Ganz gut, wir hatten echt nicht mit so vielen Leuten gerechnet.

Ja, ihr habt ja auch relativ viel getourt die letzten Jahre…
Genau, eigentlich war die erste Tour schon bevor wir die erste Platte raus hatten, mit dem Demo, aber das war nie so richtig konsequent. Die letzten zwei – zweieinhalb Jahre spielen wir aber wirklich relativ viel, inzwischen auch europaweit.

Hattet ihr das Gefühl, dass sich in deutschen Städten, wo ihr in letzter Zeit öfter wart, eine gewisse Übersättigung einstellt?
Ne, überhaupt nicht eigentlich, bisher wird es in den Städten eher mehr. Karlsruhe, Stuttgart, Köln war unglaublich mit fast 500 Leuten, das waren letztes mal eher 200. Und Münster, gut, das zählt nicht so richtig, weils ja die Heimshow ist, aber da waren auch über 600 Leute da, fast doppelt so viel wie letztes mal, das merkt man natürlich schon. Dabei ist es in der Heimstadt oft sogar schwieriger.

Ich hab euch hier jetzt auch schon öfter gesehen, im 59:1 vor zwei Jahren, im Backstage letztes Jahr mit Katatonia. Wie unterscheiden sich die Locations für euch, welche hat euch am besten gefallen hier in München?
Backstage ist schon immer cool. Hier waren wir zwar noch nie, aber den Laden find ich ganz nett bisher. Ampere fand ich immer ein bisschen strange vom Ambiente. Am beeindruckendsten in München war allein aufgrund der Größe Dredg damals, in der Muffathalle.

Kommen wir mal zu LONG DISTANCE CALLING sich. Wie funktioniert das Songwriting bei euch? Nehmt ihr ihr selbst zu Hause Sachen auf und schickt die dann immer rum oder „erjamt“ ihr euch alles im Proberaum?
Bislang immer fast ausschließlich im Jam. Jetzt auf der neuen Platte auch zu 80%, aber es gab ein paar Gelegenheiten, wo jemand was in den Proberaum mitgebracht hat. Im letzten Song kommen ja auch die ersten zwei-drei Minuten reine Elektronik, das hat Reimut alleine in Berlin gemacht und sich dann dort mit Flo, unserm einen Gitarristen getroffen und das mit dem fertig ausgearbeitet. Aber ansonsten entsteht schon das meiste im Jam.

Wie früh im Songwriting nehmt ihr Demos der Songs auf? Werden die im Proberaum erst komplett fertig gemacht und dann einmal im Studio aufgenommen, oder zieht ihr immer wieder Zwischenbilanzen?
Also, wir jammen halt, und sobald wir das Gefühl haben, dass es auf einem guten Weg ist, ein Song zu werden, nehmen wir eine Rohversion auf. Die unterscheidet sich vom finalen Song dann manchmal fast gar nicht und manchmal extrem, das ist dann sehr verschieden. Aber wir komponieren schon auch einzelne Parts, die wir dann später zusammensetzen. Wenn wir ins Studio ist allerdings alles zu 90% fertig.

Wählt ihr Songtitel erst aus wenn die Musik schon steht oder schreibt ihr auch manchmal mit Songtiteln im Kopf eure Songs?
Beides. Meistens ist der Fall, dass der Song an sich steht und wir dann einen Namen suchen. Aber natürlich gibt es auch Gelegenheiten, wo man ein Wort hat, das einem nicht mehr aus dem Kopf geht und man darum den Song erbastelt.

Wir würdest du sagen, haben sich LONG DISTANCE CALLING> musikalisch seit „Satellite Bay“ verändert?
Von einer relativ typischen Post Rock-Band zu keiner Post Rock-Band mehr, meiner Meinung nach. Also es sind immer noch solche Einflüsse vorhanden. Es heißt ja auch öfter, dass wir uns da so dagegen wehren, das stimmt gar nicht, Post Rock ist ja auch kein Schimpfwort. Ich glaube aber, es greift zu wenig. Wir haben Post Rock-Elemente, aber es ist inzwischen viel viel mehr Rock in allen seinen Schattierungen vorhanden, Classic Rock, Heavy Rock. Instrumentaler Rock wär so die Beschreibung, die ich nehmen würde.

Glaubst du, das trifft es? Instrumentaler Rock könnte schließlich auch Blues sein. Wie könnte man die Platte denn bewerben, mit welchem Stil?
Hm, stimmt, für Außenstehende stimmt das. Unsere Plattenfirma hat es als „Organischen Instrumentalrock der Grenzen sprengt“ beworben, was – finde ich – auch relativ gut passt. Vielleicht etwas umständlich, aber das trifft die Sache dafür halbwegs, ein einzelnes Wort dafür gibt es glaube ich nicht. Außer halt Post Rock, aber das hatten wir ja schon.

Wie ist die Resonanz zum Album denn bisher? Habt ihr schon Rezensionen gelesen?
Die Presse ist wirklich überwältigend. Man hat als Band ja immer ein Gefühl, wie eine Platte geworden ist, das war schon sehr gut, aber es heißt ja dann noch nicht, dass Fans und Presse es auch annehmen. Es gibt einen Verriss in einem norwegischen Magazin, ansonsten ist alles, wenn man es überschlägt bei 8.5/10 Punkten im Durchschnitt. Metal Hammer Platz 2, Rock Hard Platz 6, auch jeweils 6/7 oder 9/10 Punkten, das ist schon durch die Bank cool.

Noch besser als zu „Avoid The Light“? Das ist ja damals auch ziemlich eingeschlagen.
Ja, weiß nicht, da war die Presse ja auch schon sehr gut, aber ich hab schon zu den Jungs gesagt, dass ich im Nachhinein finde, dass die Noten, die die Platte bekommen hat, ein bisschen zu viel des Guten waren. Ich finde, wir haben mir der neuen Scheibe echt nochmal einen Schritt nach vorne gemacht, da finde ich die Noten gerechtfertigt. Und Punktzahlen lassen sich natürlich irgendwann nicht mehr steigern, deswegen ist der Vergleich da schwierig.

Habt ihr das Gefühl, dass auch „Satellite Bay“ durch den Erfolg der beiden neuen Alben wieder in den Fokus rückt?
Schon, aber die Leute, die uns jetzt mit der neuen erst kennenlernen, finden, glaube ich, schwieriger Zugang zu „Satellite Bay“. Die reinen Post Rock-Fans haben wiederum vermutlich ein Problem mit der neuen Platte, aber das wird sich noch zeigen.

Mir kam es so vor, als gäbe es auf dem neuen Album durchaus einige Funk-Momente zu verzeichnen.
Bei einem Song auf jeden Fall, der ist auch eher durch Zufall entstanden. Die anderen sind zu spät gekommen und Janosch, unser Schlagzeuger, und ich haben einfach ein bisschen Sachen rumgejamt, die mit LONG DISTANCE CALLING eigentlich überhaupt nichts zu tun haben. Als die anderen dann reingekommen sind, fanden sie es aber geil, dann haben wir den restlichen Song da noch drumherum gestrickt. „Timesbends“ ist das. Aber generell stimmt das schon, ja, was wohl auch daran liegt, dass unser Schlagzeuger nicht komplett, aber doch ziemlich vom Metal abgerückt ist und jetzt sehr viel Blues, Jazz und Funk hört. Billy Cobham zum Beispiel. Und das merkt man schon, wir haben uns da schon geöffnet. Wir werden nie eine Hip Hop- oder Techno-Platte machen, das wollen wir auch nicht, aber wir werden definitiv offener. Es hängt ja auch alles irgendwo zusammen, Jazz, Blues, Funk, Rock, Metal, ist ja alles irgendwie dasselbe, mit verschiedenen Sounds und verschiedenen Rhythmen halt.

Würdest du sagen, dass die einzelnen Instrumente einen individuelleren Charakter bekommen haben? Wenn der Bass sein Funk-Solo spielt beispielsweise, früher hat ja alles eher noch als Einheit gewirkt.
Stimmt schon, ja. Für mich persönlich kann ich sagen, als wir mit der Band angefangen haben, bin ich den Gitarren gefolgt. Auf der neuen Platte hab ich sehr aufgepasst, fast nur mit dem Schlagzeug zusammenzuspielen. Dadurch ist das Ganze glaube ich etwas dynamischer geworden und jedes Instrument hat mehr Platz. Es ist zwar auch mehr Elektronik dabei, aber es passiert trotzdem mehr an den Gitarren. Dennoch ist das die reduzierteste Platte, die wir je aufgenommen haben, wie wir im Studio festgestellt haben. Da ist links eine Gitarre, rechts eine, fertig. Nicht mehr links viermal und rechts viermal, das ist alles etwas aufgeräumter.

Kommen wir mal zu den Gastsängern. Kannst du ein paar Worte sagen, wie ihr jeweils auf die kommt? Haben die immer Lust mitzumachen oder hatten auch schon Leute keine Lust?
Jein. Die Leute, die keine Lust haben, antworten dir halt gar nicht. Ne, aber bisher… Für die erste Platte haben wir nur Peter gefragt, der hat zugesagt, für die zweite nur Jonas, der hat auch zugesagt. Und für die neue Platte hatten wir eine Liste mit Namen, wo dann auch völlig unrealistische Sachen draufstanden, wo uns klar war, dass das nichts werden würde… Dazu hat eigentlich auch John Bush gehört, aber der hat nach einer Woche geantwortet und gesagt er ist dabei. Äußerst nett und unkompliziert und überraschend, dass sowas klappt. Er hat ja auch einen Text für die Presse geschrieben, was für uns dann auch noch ziemlich große Wertschätzung war: Die Größe der Band ist ihm egal, er hat sich nicht mal Infos durchgelesen oder Fotos angeschaut, er hat sich ausschließlich die Musik als Maßstab angehört und die ist der einzige Grund, warum er das macht. Und klar, er hat das ja auch nicht nötig. Für ihn war es dann natürlich auch spannend, mal zu einem 8-Minuten-Song zu singen.

Gibt es Kriterien, nach welchen die Sänger jeweils ausgesucht wurden?
Bauchgefühl. Oder je nach Phase gerade, damals haben wir alle die „Great Cold Distance“ von Katatonia rauf und runter gehört, da war das naheliegend, Jonas zu fragen. Bei Peter Dolving war es damals so, dass ich bei einem Label gearbeitet habe, wo The Haunted unter Vertrag sind, Promotour und so. Ich habe ihn dann mit einem der Björler-Brüder, ich weiß gar nicht mehr, ob Jonas oder Anders, nachts zum Flughafen gefahren. Da hatten wir gerade das Demo aufgenommen, ich hatte das zugeschickt bekommen, auf CD gebrannt und es dann nachts eben angehört. Peter war erst ruhig, meinte dann aber irgendwann „Wer ist das? Was ist das? Ich würde jetzt am liebsten dazu singen!“, so grob. Ich meinte „Klar, lässt sich einrichten für die nächste Platte.“

Schreibt ihr die Songs für Gesang oder entscheidet ihr erst im Nachhinein welcher Song Gesang braucht?
Nö, also sobald feststeht, wer Gastsänger sein wird und wir Zusage haben, fangen wir an, den Song zu schreiben. Erstaunlicherweise sind das immer die, die uns am leichtesten fallen. Obwohl wir ja eine Instrumental-Band sind, aber für den John Bush-Song haben wir zwei Proben gebraucht und er war fertig.

Würden die Songs jeweils trotzdem auch ohne Gesang funktionieren?
Tendenziell ja. Die ersten beiden auf jeden Fall, beim Neuen, da ist halt fast sowas wie ein Refrain drinnen, das wär vielleicht ein bisschen strange, aber sonst, klar, ist ja auch ein normaler LONG DISTANCE CALLING-Song.

Wenn du sagst, es ist einfacher für euch, Songs für Gesang zu schreiben, würde das auch auf ein Album zutreffen und wäre nicht die logische Konsequenz, dauerhaft auf Gesang zu setzen?
Das fragen immer viele Leute, wir sind an sich da für alles offen, aber im Moment sind wir glaube ich alle auf dem gleichen Nenner, dass wir es so, wie wir es bisher gemacht haben, auch weiter machen wollen. Aktuell funktionieren wir als Instrumental-Band einfach besser, was aber nicht bedeutet, dass wir nicht irgendwann mal eine Platte mit mehreren Sängern machen. Vielleicht sind auf der nächsten Platte auch gar keine Vocals mehr, wir lassen das auf uns zukommen. Da kommt es drauf an, wie sich die nächste Platte beim Songwriting anfühlt, wo die Reise hingeht.

Habt ihr auch schonmal überlegt, Gastinstrumentalisten anzusprechen? Wenn euch einfällt „Woa, da wär ein Saxophon-Solo jetzt geil!“?
Saxophon jetzt vielleicht nicht, aber es gibt manchmal Gelegenheiten, dass man sagt „Es wär geil, wenn Mikael Akerfeldt ein Solo einspielen würde“, klar, sowas schon. Aber dann ist das nicht essenziell für den Song.

Der Special Edition liegt ja eine Liveshow bei, kannst du dazu ein paar Worte sagen? Warum habt ihr gerade dieses Show gewählt, wollte das Label dieses Bonus-Feature?
Ne, wir wollten das, wir wollten eine Limited Edition, die darüber hinausgeht, einen Bonustrack zu haben und sonst nix, nur um ne Limited zu haben. Wir wollten eine schöne Verpackung und eine extra CD, da stellt sich natürlich irgendwann die Frage, was draufkommt. Wir sind auch keine Band, die 10 Songs schreibt und sieben aufnimmt, sondern wir schreiben sieben und nehmen sieben auf, es gibt keine Ausschussware. Das Roadburn ist für experimentellere Musik halt einfach DAS Festival und die nehmen da kategorisch alle Shows von allen Bands auf. Und weil die Show extrem cool war haben wir gesagt „lass uns doch einfach die Roadburn-Show nehmen“, mit dem Nebeneffekt, womit wir jetzt aber gar nicht beworben haben, dass da jetzt ein Live-Bonustrack drauf ist den wir gejamt haben. Den fanden wir so gut, dass wir ihn da mit draufgepackt haben.

Wie siehts allgemein mit Jams live aus? Und finden die wenn dann nur außerhalb der Songs statt?
Generell machen wir das schon manchmal. Meistens außerhalb der Songs, aber ab und zu experimentieren wir auch innerhalb. Im Normalfall sagen wir aber einfach „Wir spielen jetzt irgendwas in A“ und schauen dann, was herauskommt. Das kann natürlich auch nach hinten losgehen, wenn man mal einen schlechten Tag hat, aber ich glaube, da ist das Glück bei uns, dass wir zusammen so gut funktionieren. Ich meine, jeder von uns beherrscht sein Instrument, aber wir sind keine spielerisch extrem gute Band. Das besondere kommt erst durch das Zusammenspiel zwischen uns. Jeder Musiker für sich würde glaube ich nicht funktionieren.

Kannst du ein paar Worte zum Konzept des Albums sagen? Und wie unterscheidet es sich von dem der letzten Alben?
Wir hatten eigentlich nie ein richtiges Konzept. Das neue ist auch kein Konzeptalbum, aber es gibt einen großen Überbau mit den Begriffen Zeit – Raum – Entfernung, Entfernung passt ja auch sehr gut zum Bandnamen, was auch der Grund ist, warum die Platte selftitled ist. Ein Science-Fiction-Name wär uns auch ein bisschen zu cheesy gewesen. Aber es gibt kein wirkliches Konzept, über das man sich den Kopf zerbrechen müsste.

Der Umstand, dass das Album selftitled ist, suggeriert ja irgendwo, dass ihr das Album als DIE ultimative Platte von euch anseht, bei vielen anderen Bands ist das ja tatsächlich der Sinn hinter so einer Namensgebung. Trifft das auf LONG DISTANCE CALLING auch zu?
Ich hoffe nicht, weil das würde ja heißen, dass unser Pulver jetzt schon verschossen ist. Ist ein bisschen schwierig, aber vom Sound würde ich sagen, repräsentiert uns das am ehesten so, wie wir tatsächlich klingen. Die ersten beiden Platten hatten auf ihre Weise auch einen coolen Sound, aber wir klingen live und im Proberaum halt echt anders. Hier sind wir dem sehr nahe gekommen.

Ist der Rückschluss dann, dass es bei den letzten Alben tatsächlich nicht geklappt hat, den Proberaum-Sound auf die Platten zu bringen?
Im Endeffekt schon. Ich finde den Sound von „Avoid The Light“ immer noch gut, aber es ist eigentlich nicht unser Sound. Das ist im Studio irgendwie immer so, du hast anderes Equipment, einen Aufnahmeleiter und manchmal einen Produzent dabei. Das verändert das Ergebnis immer ein bisschen. Bei den neuen Songs live hört man da jetzt glaube ich, dass das sehr ähnlich wie auf dem Album klingt, was sicher auch daran liegt, dass wir sehr darauf geachtet haben, dass wir alles, was auf dem Album ist, live auch haargenau so spielen können.

Ihr habt ja zum Beispiel am Summer Breeze schon neue Songs gespielt, wie sind die angekommen?
Sehr gut, das war schon überraschend. Ist auf der Tour jetzt aber sowieso so eine Sache, wir knallen den Leuten fast die komplette neue Platte vor den Latz, die die meisten Leute eben noch nicht kennen. Bis auf „Middleville“ spielen wir alle neuen Songs, in Münster auf der ersten Show haben wir das komplett als Block an den Anfang gesetzt, was für das Publikum natürlich schon ein harter Brocken war. Aber das ist halt jetzt die Tour zur Veröffentlichung und wir wollen, dass die Leute die Platte auch hören und nicht nur einen neuen Song schulterzuckend zur Kenntnis nehmen.

Wie viel Zeit bleibt dann noch für alte Songs, wie viel „Satellite Bay“ und wie viel „Avoid The Light“ kommt?
Hm, da muss ich jetzt echt überlegen… Wir spielen zwei von „Satellite Bay“, „Fire“ und „Aurora“, dann zwei von „Avoid The Light“ und einen von der EP, „Metulsky“ eben, es gibt glaube ich noch kein Konzert, wo wir den Song nicht gespielt haben.

Wie kommt es eigentlich dazu, dass der Revisited ist?
Der war auf dem ersten Demo drauf, hat es aber nicht auf „Satellite Bay“ geschafft, weil wir mit der Nummer überhaupt nicht zufrieden waren und sie für eine der schlechtesten hielten. Unser altes Label hat uns dann überredet, diese Split-EP mit Leech zu machen, dann standen wir natürlich da. Wir hatten nix Neues und wollten im Vorfeld auch nicht das Pulver für „Avoid The Light“ verschießen. Da haben wir uns gedacht, dass wir doch die beiden Songs nehmen könnten, die es nicht auf „Satellite Bay“ geschafft haben, und die nochmal komplett umschreiben. Das haben wir getan und bei „Metulsky Curse (Revisited)“ hat das nur eine Probe gebraucht und ich finde, das ist immer noch einer unserer stärksten Songs. Ursprünglich mal der schwächste.

Mich wundert es, dass der Song absolut immer kommt, obwohl die Resonanz im Publikum immer nicht sooo groß zu sein scheint, was wohl daran liegt, dass der Song eben einfach nur auf der Split zu haben ist, die im Endeffekt aber vermutlich doch kein Mensch kauft. Warum kommt er trotzdem immer?
Weil wir da extrem Bock drauf haben und es sehr viel Spaß macht, den zu spielen. Ich meine, klar reagiert man als Band auf das Publikum, aber wir sind auch eine Band, die ihr Ding eben durchzieht, was auch absolut nötig ist, um glaubwürdig zu existieren. Und deshalb spielen wir die Songs, auf die wir Bock haben.

Sind schon Songs rausgeflogen, auf die ihr dann irgendwann auch keinen Bock mehr hattet?
Ja, klar. Es gibt immer Leute, die sich „Very Last Day“ wünschen. Das ist atmosphärisch auch ein cooler Song, aber nicht so richtig livetauglich, find ich. Das einzige, wo wir jetzt neulich wieder festgestellt haben, dass der Song eigentlich echt auch ganz cool ist, ist „Aurora“. Den haben wir bestimmt anderthalb Jahre nicht gespielt, wurden aber immer bedrängt, das doch zu tun. Dann haben wir ihn irgendwann wieder geprobt und gar nicht mehr verstanden, warum wir da keine Lust mehr drauf hatten.

Und „Fire In The Mountain“ ist immer der „Klassiker“?
Genau, für mich ist das so die alte Bandhymne, der die alte Band am besten repräsentiert. Der Song, der live jetzt am besten ankommt, ist „Arecibo“, der fünfte auf der Platte. Das ist auch ein totaler Live-Song, war schon beim Schreiben klar.

Wie kam es denn jetzt zur Tour mit Maybeshewill? Habt ihr die eingeladen, habt ihr schonmal mit denen gespielt und wie war die Kommunikation so?
Sehr entspannte Jungs, passen ganz gut zu uns und sind von den, ich sag mal, „typischen“ Post Rock-Bands eine der besten auf jeden Fall. Sehr gute Liveband auch. Zustande gekommen ist das dadurch, dass wir den selben England-Booker haben wie die Jungs. Wir haben dann sozusagen ein Tauschgeschäft gemacht, wir nehmen die hier in Deutschland mit und dafür können wir dann auch mit nach England kommen ab Donnerstag, für acht Tage. War ja dann auch relativ naheliegend.

Bei Katatonia seid ihr aber damals eingeladen worden, oder?
Ja, von Jonas, der hat seinem Booking-Agenten quasi nahegelegt, dass er uns gerne hätte. Das war schon auch sehr cool.

War das geplant, nach der Tour mit Katatonia, wo ihr ja vermutlich doch vor euch relativ neuem Publikum gespielt habt, wieder dem Post Rock-Publikum die volle Breitseite zu geben?
Ne, ganz ursprünglich gab es für diese Band auch nie eine Regel, wir haben nie versucht, uns irgendwas vorzunehmen, sondern es einfach passieren zu lassen. Das einzige, was wir von Anfang an nicht wollten war, eine typische Post Rock-Band zu sein, indem wir den einfachen Weg gehen und nur mit Bands aus dem selben Genre spielen. Wir sind den härteren und längeren Weg gegangen, der jetzt aber glaube ich aufgeht, indem wir versucht haben, Leute zu erschließen, die mit der Musik erstmal nichts anfangen können. Das hat sehr gut funktioniert, deshalb haben wir die Freiheit jetzt auch mal eine Post Rock-Tour zu machen, das ist kein Kalkül. Zumal ich glaube, dass die neue Platte vielen Post Rockern zu krass ist. Dieses Genre-Denken finde ich langweilig, wir wollen primär mit guten Bands zusammenspielen, sowohl wenn wir als Support spielen als auch wenn wir jemanden mitnehmen. Da ist es egal, ob das eine Rockband ist, eine experimentelle Metalband oder eine Post Rock-Band, solang sie gut ist, ist das okay.

Wenn ihr auf Tour seid, was sind dann die drei wichtigsten nichtmusikalischen Dinge, die im LONG DISTANCE CALLING-Tourbus nicht fehlen dürfen?
Hmm, CDs zählen wohl nicht, was? Materielle Dinge? Hm, auf jeden Fall DVDs von lustigen und schlechten Filmen… Viele Bücher… Und Computer auf jeden Fall. Eigentlich permanenter Informationsterror.

Und was schmerzt am meisten, wenn es nicht dabei ist?
Bei mir persönlich der Computer. Wir haben gestern noch drüber geredet, wie das Bands vor 20 Jahren gemacht haben. Offensichtlich gings ja auch irgendwie, aber man hat sich da doch sehr dran gewöhnt. Uns ist das schon wichtig, dass man quasi auch ein Stück von zu Hause mitnehmen und sich auf Tour dann gewisse Rituale einrichten kann.

Klingt, als würds bei euch im Tourbus eher beschaulich zugehen. Wird da überhaupt mal gefeiert?
Schon auch mal, ja. Wir sind keine pseudointellektuelle Band, wir sind auch keine Vollassis, aber wir lassen es schon auch mal krachen.

Nachdem ihr ja doch relativ viel mit LONG DISTANCE CALLING spielt und offenbar auch probt, bleibt da überhaupt noch Zeit für andere Bands?
Reimut, unser Elektro-Mann macht noch was anderes, also nicht in Bands, aber der wird nächstes Jahr nochmal eine rein elektronische Platte veröffentlichen, wie vor anderthalb Jahren schon. Janosch und Flo machen so zum Spaß mal immer ein bisschen Krach, aber nichts konkretes. Ich hab dafür sowieso keine Zeit, aber mir reicht das auch, ich will das gar nicht. Wenn ich Musik mache, will ich mich auf diese Band konzentrieren.

Diese beiden hier kennst du ja vermutlich noch? (Die Rede ist von den limitierten Metall-Boxen von „Satellite Bay“ und „090208“, die über Viva Hate Records erschienen)
Oh, ja, die stehen bei mir zu Hause auf meinem Schrein (lacht)

Das war ja damals doch noch so ein bisschen was anderes. Da wart ihr zum Beispiel noch bei Viva Hate unter Vertrag. Wie kam es denn im Endeffekt zum Vertrag mit Superball?
Die klassische Geschichte eigentlich. Wir haben damals bei Thomas unterschrieben, für eine Platte, das war schonmal total cool, für uns, weil wir ein Album rausbringen konnten und für ihn, weil unser Demo davor ja auch schon ganz gute Presse hatte. Demo des Monats im Visions und im Rock Hard. Deswegen haben wir das halt mal gemacht, aber wir wollten uns da nicht langfristig binden. Wir wussten damals gar nicht, ob wir überhaupt eine richtige Band werden, das war ein reines Spaßding eigentlich. Als die „Satellite Bay“ dann raus war, haben wir gemerkt, dass es auch noch andere Labels gibt, die interessiert sind, dann haben wir als Abschiedsgeschenk für seinen Einsatz am Anfang, wo er ja schon ein ziemliches Risiko getragen hat mit der Platte, noch die EP gemacht. Als der Vertrag dann ausgelaufen war, ist einem von uns irgendwann eine Promo von Oceansize in die Hand gefallen, da haben wir dann hinten draufgeschaut und eben das Label Superball gesehen. Wir haben dann ein bisschen recherchiert und festgestellt, dass InsideOut, das coolste Proglabel überhaupt, dahintersteht. „Apparitions“, den ersten Song von „Avoid The Light“, haben wir dann extra geschrieben, um uns damit zu bewerben, die Reaktionen waren gut, obwohl wir eine deutsche Band sind, was ja sehr sehr schwierig ist.

Echt?
Ja, ist tatsächlich so. Engländer und Amis werden bevorzugt, weil die mehr spielen können und deutsche Band immer als ein bisschen doof und unselbständig hingestellt werden. Die hatten uns dann aber tatsächlich aufm Schirm gehabt und waren auch interessiert, wollten uns aber nochmal live sehen. Bei Dredg in Köln war dann der Chef da und direkt nach der Show hat er uns gesagt, dass das klar geht.

Wie unterscheidet sich jetzt die Zusammenarbeit mit Viva Hate von der mit Superball? Das eine dürfte ja schon deutlich persönlicher gewesen sein.
Ja klar, das triffts schon. Es ist einfach sehr viel größer, gehört ja jetzt auch noch zu Century Media dazu, also weltweit. Beim Ansprechpartner dauert es dann natürlich auch mal länger, bis man eine Antwort hat, aber ingesamt ist es schon… Hm, besser ist ein blödes Wort, aber es ist einfach mehr machbar. Mehr Werbung, mehr von dem ganzen Zeug was halt dazugehört.

Gibt es Sachen, welchen man dann nachtrauert? Ich meine, grad so eine Box hier war natürlich schon was sehr spezielles.
Klar, das sind dann Sachen, die bei einem kleinen Label cooler sind. Erstaunlicherweise sind wir aber auch so in der Position, dass wir im Normalfall an Verpackung das bekommen, was wir wollen, da achten wir auch sehr drauf. Das Artwork ist, glaube ich, irgendwas zwischen einem halben und einem Jahr am Stück entstanden.

Ihr selber?
Ein Bekannter aus Münster, der da wirklich wahnsinnig viel Arbeit reingesteckt hat. Ne, also was das angeht, sind wir schon echt Qualitäts-Nazis, wenn wir da was in Angriff nehmen, dann machen wir es richtig.

Wie lief es denn bei den Vorgängern jeweils mit Artworks?
Vielleicht war das sogar ich, ich weiß gar nicht mehr so genau… Bei der ersten Platte habe ich irgendwie überlegt, wie sowas aussehen könnte und hab dann einfach mal gesucht und eben dieses Satellitenbild gefunden. Das haben wir dann einfach stumpf eingefärbt, dass es gut zum Namen gepasst hat. Seit der Split-EP arbeiten wir immer mit dem Tim zusammen, der macht für uns eigentlich alles, das „Avoid The Light“-Artwork, das neue hat er nach und nach zusammengeschraubt. Er designed auch immer die Anzeigenmotive und fast alle Shirtmotive. Unser Haus- und Hof-Grafiker quasi. Das Artwork an sich hat diesmal aber jemand anderes gemacht.

Was habt ihr euch bei dem T-Shirt-Motiv zur Limited Edition der „Satellite Bay“ damals gedacht?
Wir wollten ein organisches, lebendiges Motiv. Viele Insekten, viele Tiere… Genau wissen wir das auch nicht. Die Vorgabe war nur organisch und lebendig, das haben wir dann so geschickt bekommen und fandens cool. Aber was das genau ist…

Seit der Leech-Tour mit God Is An Astronaut hat man von den Jungs jetzt ja nicht mehr so wahnsinnig viel gehört. Habt ihr noch Kontakt zu ihnen?
Auf jeden Fall, da kommt jetzt auch bald was, die nehmen jetzt gerade auf. Zwei von denen hatten Babypause, das war eigentlich der Hauptgrund.

Aber an sich sind die auch noch voll dabei?
Klar, die sind ein bisschen langsamer als wir, sind halt Schweizer ;-) Aber da kommt wieder was. Und wir haben mindestens noch alle paar Wochen Kontakt, wir sind da schon eine sehr „treue“ Band.

Wenn man sich euren Werdegang die letzten Jahre anschaut, habt ihr ja schon massiv an Popularität zugelegt…
Weiß nicht, selber realisiert man sowas gar nicht so richtig, man hört das immer, aber selber nimmt man es nicht so richtig wahr. Man merkt natürlich, dass ein paar mehr Leute zum Konzert kommen und ein paar mehr CDs verkauft werden, aber was für Ausmaße das hat, können wir gar nicht richtig einschätzen. Was wir eher mitbekommen ist, dass sich unser Ruf langsam ein bisschen rumspricht, was die schönste Form von Werbung ist, weil es einfach am natürlichsten ist.

Hat sich das Publikum über die Jahre und abhängig von der jeweiligen Tour verändert?
Da haben wir auch gestern noch drüber gesprochen, dass uns das allen aufgefallen ist, vor allem auf den vier Shows bisher, dass sich das Publikum wirklich geändert hat. Es werden mehr Metal und Rock-Leute, mehr ältere Prog-Rock- und weniger Indie-Leute, die werden da wohl ein bisschen abgeschreckt. Auf Facebook haben wir auch mitbekommen, dass unser On-Stage-Verhalten da etwas polarisiert, aber das ist eben einfach natürlich so, Flo und ich machen das auch im Proberaum. Dass da manche Leute nicht drauf klarkommen ist auch okay, aber daran kann man dann eben auch nichts ändern.

Inwiefern würdest du sagen, konntet ihr am Erfolg mitarbeiten, bspw. eben durch Gigs oder hängt das vor allem mit dem Label zusammen?
Beides. Also es ist schon ein bisschen mehr Werbung, ein bisschen mehr Marketing jetzt, aber 70% waren sicher die Shows. Vor allem, dass wir so viele verschiedene Sachen gemacht haben. Wir hatten 65 Days Of Static, Trail of Dead, Dredg, Katatonia, Opeth, Deftones… Also wirklich total unterschiedliche Sachen, die aber insofern einen roten Faden hatten, als dass die Fans von allen diesen Bands glaube ich relativ offen sind, aber musikalisch eben sehr verschieden. Das war auch das, was ich vorher mit härteren Weg meinte, diese ganzen Fans muss man sich ja trotzdem erstmal erspielen, was ich als viel spannender empfinde, als vor einem Post Rock-Publikum zu stehen, das einen so oder so abfeiert. Es ist viel cooler, wenn die Leute während der ersten Songs noch ein bisschen verwirrt sind und man sie am Ende dann trotzdem kriegt.

Glaubst du, instrumentaler Rock ist im Allgemeinen populärer geworden oder ist das spezifisch für euch?
Ich glaube, wir haben von Anfang an sehr viel Glück gehabt, andererseits aber auch, dass sich Leute generell für die Musik öffnen. Ich meine, sogar mein Vater, der auf die 60 zugeht, hört jetzt Anathema und Dredg. Man rückt von den typischen Hörgewohnheiten ab und lässt sich leichter auch mal auf was anderes ein. Ich glaube, instrumentaler Rock ist auch Musik, wo man sich auf der einen Seite sehr gut reinfallen lassen kann, die man aber auch gut nebenbei zum Arbeiten laufen lassen kann. Das ist bei normaler Musik glaube ich anders. Trifft auch bei uns zu, denke ich: Man kann die Platte einfach so hören, aber gerade, wenn man sich konzentriert mit Kopfhörer hinsetzt, sind da eine Menge Details zu entdecken.

Vor zwei, drei Jahren hätte ich nach der Wichtigkeit der klassischen Bandhomepage im Vergleich zur MySpace-Seite gefragt. Nachdem MySpace sich aber mit diversen Designwechseln und Funktionsfehlern ins Abseits manövriert hat, ist jetzt eher die Frage: Ist die Bandhomepage wieder am Kommen?
Ja. Wir haben sie jetzt auch wieder, MySpace ist leider tatsächlich tot, das muss man ganz klar so sagen. Klicks gehen runter, Plays gehen runter… Facebook ist der heiße Scheiß, aber es ist halt einfach weder fanfreundlich noch informativ, da kann man weder Atmosphäre noch Image der Band richtig vermitteln. Für Feedback ist es dafür natürlich der Hammer. Wir haben jetzt aber wie gesagt wieder eine Homepage, ich glaube, das ist wichtiger.

Eine Zeit lang hatte MySpace ja eindeutig die Funktion der Bandhomepage übernommen.Ja, eine Zeit lang war die Homepage wirklich out und uncool – aber so schnell wendet sich das Blatt.
Ist natürlich schade, wenn Bands das nicht raffen und man jetzt vor nicht aktuellen MySpace-Seiten steht, auf der Homepage aber auch nur zurück zu MySpace geleitet wird…
Das war bei LONG DISTANCE CALLING bis vor einem halben Jahr ja genauso, longdistancecalling.de wurde direkt umgeroutet auf die MySpace-Seite, was aber am Anfang schlicht und ergreifend daran lag, dass wir es nicht auf die Reihe gebracht haben, eine gescheite Homepage fertigzustellen. Wir hatten die Domain, aber fanden es immer zu stressig, da tatsächlich was daraus zu machen. Erst mit der neuen Platte und deren Artwork haben wir uns dazu entschieden, dass wir auch eine richtige Seite dazu wollen. Fällt witzigerweise jetzt ja auch genau mit dem MySpace-Niedergang zusammen, das hat schon ganz gut gepasst. Aber interessante Frage, hat noch nie jemand gestellt.

Hattet ihr euch damals geärgert, als Lena euren Albumnamen genommen, diesen verkürzt und damit dann den Grand Prix gewonnen hat?
Ne, wir haben das Wort „Satellite“ ja auch nicht gepachtet (lacht). Aber lustigerweise, oder, eigentlich ist es auch erschreckend, waren wir letzte Woche unter den Platten der Woche bei focus.de, zusammen mit Lena Meyer-Landrut. Da schließt sich der Kreis!

Verfolgt ihr derartiges der Unterhaltungsebene eines Eurovision Song Contest im Allgemeinen?
Von uns glaube ich keiner. Ich bin großer Trash-TV-Fan, aber Sachen in der Richtung interessiert bei uns glaube ich wirklich niemanden. Wir sind totale Musik-Nerds, aber bei sowas dann irgendwie doch nicht. Aber ich kucke schon „Popstars“ oder „Bauer sucht Frau“, aber einfach, weil es oft extrem witzig ist. Eurovision Song Contest, ne… Aber wir informieren uns schon über Musik und sind da auch auf dem Laufenden, in eigentlich allen Sparten. Ich find das auch spannend zu beobachten, wie sich Musik entwickelt. Nicht von dem her, was gerade hip ist, sondern in welche Richtung Musik im Allgemeinen geht. Man denkt ja, dass es nahezu unmöglich ist, noch was Neues zu machen. Man kann sich kaum vorstellen, dass es in Zukunft beispielsweise noch maßgeblich härtere Musik geben wird als… ja, weiß nicht was. Aber so etwas finde ich spannend, Bands zu finden, die wieder Elemente kombinieren, die man in der Form noch nie zusammen gehört hat, was komplett Neues kann man ja kaum mehr machen. Das ist das einzige, was man heutzutage meiner Meinung nach noch geht. Musik ist für mich wie Lego. Neulich habe ich da wieder drüber nachgedacht, ich finde, das ist ein schönes Bild: Die Steine gibt es schon alle, das spannende ist, wie du sie zusammenbaust.

Habt ihr auf Tour jetzt von der Guttenberg-Affäre was mitbekommen?
Klar. Also Guttenberg, Gaddafi…. Wie gesagt, wir sind alle Informations-Junkies, sowas kriegen wir schon mit. Also wir sind jetzt keine Künstler-Typen, die dann sagen „Ach ne, lass mal“, wir sind da schon alle sehr interessiert. Wir sind jetzt auch nicht übermäßig politikinteressiert, aber wir informieren uns gerne alle.

Was ist dann deine Meinung zu den einzelnen Bereichen?
Das Thema Guttenberg ist meiner Meinung nach durch, davon kann er sich glaube ich nicht mehr holen. Ich glaube, sowas färbt einfach langfristig ab. Wie bei Westerwelle, der wurde einmal als doof abgestempelt, und das hängt ihm jetzt halt nach. Solche Sachen wirst du nicht mehr los, das hat jetzt erstmal nicht mal was mit seinem Job zu tun, aber das ist schon mega peinlich. Und zu Libyen, ja, da gibt’s glaube ich ja nur eine Meinung, alles andere wäre ja krank.

Und dass die Sache sogar in China zaghaft Anklang gefunden hat?
Ja, das ist schon ganz interessant, da haben wir gestern auch noch drüber geredet, das sind alles Länder, die man so gar nicht auf dem Zettel hatte. Es gibt ja genügend andere Krisenherde wo man dachte, dass es da als nächstes knallt.

Okay, dann hätte ich zum Schluss gerne noch deine Meinung zu ein paar Bands, ob nun Musik, Ära oder den Köpfen der Gruppe selber…
Gitarrist Flo gesellt sich dazu
Ah, da ist der Mann hier perfekt, der ist ein wandelndes Musiklexikon.

Dann hätten wir da zum ersten: Miles Davis
Flo: Spitzen Musiker, leider extrem auf Heroin und halt ziemlich fertig, ne. Ich bin jetzt selbst nicht so der Jazzer, aber der ist halt schon The Man.
Jan: Den Namen kennt man natürlich, aber mehr, als dass er Jazz macht und glaube ich Trompete gespielt hat, weiß ich jetzt gar nicht über den (lacht). Aber sicherlich ein wahnsinnig einflussreicher Musiker.
Flo: The Godfather of Jaaazz.

Chronologisch folgen dann die Beatles…
Jan: Tja, die größte der Band der Welt.
Flo: Muss ich ehrlich sagen, ich find die überbewertet, ist leider so. Ich mag viele Songs, aber ich hab nie nachvollziehen können, warum die Band DIE größte Band aller Zeiten geworden ist.
Jan: Die haben halt den Nerv der Zeit getroffen… Ich finde jetzt auch lang nicht alles gut, aber was die für eine Entwicklung durchgemacht haben, von der Teenie-Band zur totalen Drogen-Band, das ist schon spannend.
Flo: Haben ja glaube ich ’67 oder noch früher aufgehört Shows zu spielen, weil das Publikum so laut war, dass die sich gar nicht mehr hören konnten auf der Bühne und die sich dann entschieden haben, dass das so überhaupt gar keinen Sinn mehr macht. Und Paul McCartney ist natürlich ein wahnsinns Songwriter.
Jan: Also auf jeden Fall die Band, die die meisten Songwriting-Genies in einer Gruppe vereint hat.
Flo: Abgesehen von Ringo Starr…
Jan: Ja gut, aber die halt einfach unfassbar viele Hits geschrieben haben, die man auch sofort erkennt, das ist es ja. Aber sowas kann es heute meiner Meinung nach nicht mehr geben.
Flo: So als kleine Anekdote mal, ich habe vor kurzem eine Doku über den früheren Beatles-Drummer, also den Vorgänger von Ringo Starr, gesehen. Als die die erste Single im Studio aufgenommen haben, haben sie es nicht hinbekommen, wie der Produzent das haben wollte, worauf dieser der Band empfahl, ihn doch rauszuschmeißen und dann kam als Ersatz Ringo Starr. Ich glaube, der Kerl ist da nie drüber hinweggekommen, dass er wegen so einem Scheiß aus der erfolgreichsten Band aller Zeiten geschmissen wurde.

Joa, fänd ich auch ärgerlich.
Flo: Der Mann tut mir echt total leid, ist dann danach logischerweise total abgestürzt und konnte gar nix mehr. Das fand ich schon ziemlich heftig. Vor allem, als dann Ringo dabei war und sein Zeug einspielen sollte, hat er es auch nicht hinbekommen, aber dann meinten sie „Naja, jetzt ist es auch schon wurst.“
Jan: Ja, ist bitter.

Dann hätten wir noch im Angebot, weniger populär, aber musikalisch meiner Meinung nach mindestens gleichwertig, King Crimson.
Jan: Ja gut, King Crimson… Die Blaupause von Tool.
<Flo: Prog Rock par excellence
Jan: Für mich persönlich wohl ein Glücksfall, weil es meine Lieblingsband, eben Tool, ohne King Crimson nie gegeben hätte. Ich habe mich mit der Band auch mal ein bisschen beschäftigt, finde das auch echt spannend, aber mir ist es zum Teil einfach zu krass. Das ist mir zu weit draußen, klingt schon extrem verdrogt. Interessant finde ich hier aber wieder, dass ich ohne Tool wohl nie auf King Crimson gekommen wäre, man braucht also quasi erst die Kindergeneration, um wieder auf die Elterngeneration zu stoßen. Immer eine spannende Frage, wo Sachen eigentlich
herkommen.

Zuletzt hätten wir dann noch unsere Freunde von Modern Talking.
Jan: Einer der, hm, ich möchte das Wort „Musiker“ nicht in den Mund nehmen, aber einer der genialsten Menschen, die im Musikbusiness arbeiten, auf jeden Fall. Das ist eine große Kunst, so viele Hits rauszufeuern, die alle überhaupt keine Substanz haben. Also es ist meiner Meinung nach unfassbar schlecht, aber es ist eben erfolgreich und der Mann hat ein Gespür für Erfolg, das von einer Million Menschen vielleicht einer hat. Das muss man einfach so sagen.
Nö, also Modern Talking… Es gibt auf der Welt vermutlich wenig Menschen, außer vielleicht am Hindukusch oder so, die davon noch nichts gehört haben. Ungleich erfolgreicher, aber auch in dieser Art ist Stefan Raab, es gibt einfach Menschen, die ein Gespür dafür haben, aus Scheiße Gold zu machen. Dafür bewunder ich die schon, nicht für die Musik, aber diesen Blick für sowas zu haben. Und fette Props für die Klamotten und die Frisuren damals, das werd ich nie vergessen. Das sind Bilder, die sich so eingebrannt haben, diese Nora-Kette und alles, merkt man sich einfach. Wahrscheinlich noch um ein vielfaches bekannter selbst als Rammstein, was deutsche Bands angeht, und die sind schon verdammt erfolgreich. Amerika, England, Schweden, die Leute gehen überall steil auf Rammstein. Auch so eine Band, mit der ich am Anfang überhaupt nichts anfangen konnte, bis ich sie dann mal auf einem Festival gesehen habe, was mich dann total weggeblasen hat. Ich hör mir die zu Hause nicht an und besitze auch nichts von denen, aber auch wieder eine Band, vor der ich Respekt habe, weil sie wirklich etwas total eigenes macht. Extrem auf die Kacke hauen und das gnadenlos durchziehen, das ist schon cool.

Ja, inzwischen habe ich glaube ich dann auch genug Zeit beansprucht, danke dir auf jeden Fall!
Danke dir auch, waren coole Fragen dabei, man sieht sich dann später bei der Show.

Publiziert am von Marius Mutz

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