Interview mit Dominik Thoma von No End In Sight

Als 2012 das zweite Album der Stuttgarter Band NO END IN SIGHT erschien, konnte man noch von einem hochklassigen Metal-/Hardcore-Release sprechen. Der Nachfolger „Black Clouds“ setzt anno 2015 ungeachtet dessen neue Maßstäbe: Die fünfköpfige Truppe um Frontmann und Interviewpartner Dominik Thoma feuert dem Hörer einen Hochkaräter nach dem anderen um die Ohren: Von rasenden Black-Metal-Drums und wuchtigen Death-Metal-Rhythmen bis zu geradlinigen Thrash-Granaten, groovenden Hardcore-Parts und nicht zuletzt irrsinnig guter Gitarrenarbeit dürfte da für so ziemlich jeden was dabei sein. Darüber hinaus scheut sich die Band nicht, kompromisslos soziale Missstände anzuprangern und Schreibtischtäter, Neonazis und rechtsoffene Bürger und Politiker scharf anzugreifen.

noendinsight2015-01

Hi Dominik. Alles klar bei euch zur Zeit? „Black Clouds“ ist jetzt zwei Monate draußen. Wie ist es bisher bei den Leuten angekommen?
Hey Pascal, aktuell ist es ruhig bei uns. Die heiße Phase des Release war im April und Mai. Die Resonanz auf die neue Platte war bisher überwältigend. Wir haben innerhalb kürzester Zeit mehr LPs verkauft, wofür wir beim vorherigen Release ein Jahr benötigt haben. Wir haben sehr viel positives Feedback bekommen, was uns unheimlich freut.

Werdet ihr nochmal Vinyls oder Tapes nachordern bzw. bestellen?
Die Veröffentlichung auf Tape ist eine limitierte Special Edition, die auf Bound By Modern Age erschien. Es gab anfangs 70 Stück. Was weg ist, ist weg. Dabei gehen alle Einnahmen zu 100% an Animal Equality. Besten Dank an dieser Stelle an Tim von B.B.M.A. für die Unterstützung. Vinyl werden wir vorerst nicht nachbestellen müssen, da es sich um ein DIY-Release handelt, haben wir noch genug auf Lager.

Ihr habt zwischenzeitlich sehr lange nach einem neuen Gitarristen gesucht – war es denn so schwierig, Leute zu finden, die gut genug sind? Oder habt ihr einfach nicht genug Anfragen bekommen?
Eineinhalb Jahre, um genau zu sein. Wir hatten immer wieder Leute, die vorgespielt haben, die Bock auf die Band hatten, aber dann gemerkt haben, dass es ihnen zu viel Aufwand ist oder sie nicht gut genug spielten. Darüber hinaus waren wir auch sehr wählerisch bei der Suche nach einem passenden Ersatz.

noendinsight2015_02Hat die Tatsache, dass ihr jemanden gesucht habt, der auch eine vegane/vegetarische Lebensweise pflegt, die Suche erschwert?
Ja, leider. Daher hatten wir uns auch irgendwann entschieden, dieses Kriterium zu vernachlässigen. Wir sind aber auch zu der Einsicht gekommen, dass wir in diesem Punkt über den Tellerrand hinausschauen müssen. Es ist kontraproduktiv, Leute aufgrund ihrer Ernährung auszuschließen, wenn man für eine Welt kämpft, in der die Rechte aller fühlenden Wesen respektiert werden. Es ist ja nicht Sinn der Sache, eine Art Parallelgesellschaft aus VeganerInnen und VegetarierInnen neben der fleischkonsumierenden Mehrheit zu bilden, sondern Menschen dazu einzuladen, sich diesem Gedanken zu öffnen. Man kann nur etwas erreichen und verändern, indem man aufeinander zugeht und sich die Hand reicht, nicht indem man neue Mauern errichtet. Als wir Jan in die Band aufgenommen haben, war er weder vegan noch vegetarisch. Allerdings hat er sich schon in einem Umdenkprozess befunden und mittlerweile verzichtet er auch auf Fleisch.

Hat euer neuer Gitarrist Jan noch an den neuen Songs mitgewirkt? Oder stand bereits alles, als er dazu gekommen ist?
An „Black Clouds“ hat er nicht mitgewirkt. Die Aufnahmen waren bereits im Kasten, als er bei uns eingestiegen ist.

Hat sich durch seinen Beitritt zur Band für euch etwas geändert? Und wie schwierig ist es im Allgemeinen für euch, ein neues Bandmitglied zu integrieren – auch was Organisatorisches anbelangt?
Anfangs ist so etwas immer schwierig, bis ein neuer ins Rudel integriert wurde, bis man sich angenähert hat und jegliche Hemmungen beseitigt wurden. Ich denke aus organisatorischer Sicht ist Jan auf jeden Fall eine große Unterstützung. Er hat schon zwei neue Songs geschrieben. Wer weiß, vielleicht sitzt er grade schon am dritten.

Ist es schwieriger geworden, viel Zeit für die Band zu finden, seit einige von euch berufstätig und keine Studenten mehr sind?
Berufstätig bin eigentlich nur ich. Jan verdient sich – nachdem er seinen Job als Krankenpfleger geschmissen hat – mit Gas-Wasser-Scheiße seine Brötchen. Die anderen hängen seit Jahren im Studium fest.

In mehreren Songs (In „Yesterday Is Overtaking“, „Between Life And Death“ und „Question Everything“?) sind Gastsänger zu hören. Wie habt ihr sie gefunden beziehungsweise wie ist es dazu gekommen, dass sie bei den jeweiligen Songs mitgewirkt haben?
Alle Gastsänger sind sehr gute Freunde von uns. Wir haben sie einfach gefragt und jeder hatte sofort Bock, Teil der Platte zu werden. Es macht uns stolz, so viele gute Gastsänger auf „Black Clouds“ zu haben. Vier von fünf sind übrigens ebenfalls Sänger von Stuttgarter Bands. Stefan (Nametaker), Jochen (Fortress Black), Edgar (Wolfenstein) und Jogges (Empowerment). Dazu kommt noch Jörn von But We Try It aus Wuppertal.

noendinsight2015-05„Black Clouds“ ist insgesamt deutlich düsterer geworden als das letzte Album. Die Themen Tod, Zerstörung und Dunkelheit sind vorherrschend. Stellen der Albumtitel und die Songs des Albums auch ein wenig euren momentanen Blick auf die Welt dar?
Ja, durchaus. Die Lyrics sind zwar in erster Linie meine Gedanken und Gefühle. Aber es stimmt schon, dass sich hier keine Hoffnungen für eine blumige Zukunft spiegeln. Im Gegenteil – die Menschheit und ihr Handeln richtet diesen Planeten zugrunde. Der Zerstörungsdrang ist unaufhaltsam und die resultierenden Schäden irreparabel.

Insgesamt sind meiner Ansicht nach viel mehr musikalische Einflüsse zu hören, zum Beispiel Blastbeats, die ihr auf dem letzten Album gar nicht eingesetzt habt. Woran liegt das? Wolltet ihr etwas Neues ausprobieren? Euren Sound erweitern?
Wir haben uns die Kritik, die bei „Consequences“ – dem Vorgänger von „Black Clouds“ – geäußert wurde zu Herzen genommen und versucht den musikalischen Horizont von NO END IN SIGHT zu erweitern. Wir haben uns an Thrash- und Black Metal-Elementen bedient und diese mit dem bekannten Grundgerüst vereint, um so etwas Neues und doch Vertrautes zu schaffen. Ich denke, das ist uns gelungen.

Auf dem Album befinden sich mit „Born To Bleed“ und „Battlefields“ zwei Lieder, in denen ihr explizit und ausschließlich das Thema/Problem der Massentierhaltung/des Fleischkonsums thematisiert. Ist das Thema deiner Meinung nach gesellschaftlich noch wichtiger geworden?
Das Problem ist schon lange an der Tagesordnung. Langsam kommt das Thema auch in der Mitte der Gesellschaft an, was mich natürlich sehr freut. Doch in Zeiten in denen Veganismus zum Konsum-Trend und zu einer Massenbewegung wird, 30-Tages-Challenges abgefeiert werden und danach trotzdem wieder munter in einen BigMac gebissen wird, sollte man sich dennoch bewusst sein, dass Mainstream-Bewegungen nur eine geringe Halbwertszeit besitzen. Der Kampf um die Befreiung von Mensch und Tier geht also weiter.

Hältst du es für vorstellbar, dass ein Bandmitglied irgendwann sagt „Ich habe es satt, vegetarisch/vegan zu leben, ich esse ab sofort wieder Milch/Eier/Fleisch“ und weiterhin mit euch in der Band verbleibt? Oder wäre das ein Ausschlusskriterium?
Das wäre zwar enttäuschend, allerdings schreibe ich niemandem etwas vor, wie er/sie zu leben hat. Diese Band hat sich nicht als Vegan Metal Band gegründet. Es wurde im Laufe der Zeit allerdings sehr viel Bewusstsein geschaffen und die Mitglieder haben sich nacheinander für den Boykott von Fleisch entschieden.

In „Life In Chains“ singst du „A life in uniform is a life in chains“. Wie genau kommst du zu dieser Aussage (ich gehe mal davon aus, dass es ein Zitat ist, wenn ja – von wem?)?
Die Zeile ist kein Zitat. Jedenfalls kein bewusst gesetztes.

noendinsight2015-04Wie stellt ihr euch eine Gesellschaft vor, in der es keine Uniformträger und keine Autoritäten gibt? Was macht eine solche Gesellschaft besser?
In erster Linie ist der Song gegen Soldaten gerichtet, die blind ihren Befehlen gehorchen, Leid über andere bringen, Familien zerstören und die Umwelt verpesten. Ich gestehe mir aber ein, dass der Song auf jegliche Art von Uniform übertragbar ist. Egal, ob eine Bullenuniform oder Schlips und Kragen. In meinen Augen sind das alle Marionetten des Systems. Eine Uniform soll Macht symbolisieren, Macht, die eine Person über andere hat. In einer Gesellschaft, in der keine Uniformen, keine willkürlich eingesetzten Mächte existieren, sind alle Menschen gleich. Es gibt keine Maske, hinter der sich eigentlich kleine Würmer verstecken können, keinen Schutzhelm, der die Hohlbirne vor dem eigenen Tränengas oder vor wütenden Demonstranten schützt.

Ich nehme mal an, dass es in „Yesterday Is Overtaking“ um die Gefahr durch Neonazis geht. Bezieht sich der Titel auf die Ausländerfeindlichkeit der PEGIDA-Bewegung, oder seht ihr eher einen allgemeinen Trend in der Bevölkerung, insbesondere auch im Hinblick auf die neuerlichen Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte? Und inwiefern ist daran auch die deutsche und europäische Flüchtlingspolitik schuld?
Den Text habe ich lange vor der PEGIDA-Bewegung geschrieben. Das Entstehen dieser „bürgerlichen“ Bewegung ist genau das, wovor ich Monate zuvor mit „Yesterday is Overtaking“ gewarnt habe. Der Rechtsextremismus hat längst die Mitte der Gesellschaft erreicht. Mit stumpfen Parolen und verlogenen Argumenten agieren hier wenige Drahtzieher als Rattenfänger. Und am Ende gruppiert sich ein Haufen aus gefährlichen Neo-Nazis, senilen Rentnern und Menschen, die die PEGIDA-Propaganda schlucken. Durch die Panikmache und das Hassschüren entstehen Tragödien, wie beschmierte oder im schlimmsten Fall brennende Flüchtlingsheime. Der Großteil der Bevölkerung schaut weg, nur ein Bruchteil kämpft auf den Straßen gegen diesen Wahnsinn. Die Deutsche bzw. Europäische Flüchtlingspolitik trägt zum vorherrschenden Rassismus bei.

Wie habt ihr als Stuttgarter die Ausschreitungen bei den Blockupy-Protesten wahrgenommen? Hältst du es für kontraproduktiv, dass es bei solchen Veranstaltungen immer wieder zu gewalttätigen Szenen kommt (im Hinblick darauf, dass die friedlichen Veranstaltungen in den Hintergrund treten?
Wahrgenommen haben wir, dass etwa 20.000 Menschen gegen die Sparpolitik der EU demonstriert haben. In erster Linie finde ich Gewalt scheiße. Nur ist es leider oft der Fall, dass Polizisten im Einsatz gerne Demonstranten provozieren und schikanieren, um genau solche Eskalationen hervorzurufen. Das Resultat: Viele störende Kapitalismus-Kritiker werden inhaftiert.

Wo liegt da die Verantwortung und was muss sich deiner Ansicht nach ändern, um so etwas zu verhindern?
Die Verantwortung liegt meiner Meinung nach an der Politik, die sich grundlegend ändern muss, damit Ausschreitungen wie diese nicht mehr entstehen. Vor allem müssen sich die Menschen aber auch ins Gedächtnis rufen, warum sie wütend sind. In den allermeisten Fällen ist die Unzufriedenheit auf die ungerechte Verteilung des Kapitals zurückzuführen. Und dann werden leider häufig die falschen Personen oder Personengruppen dafür an den Pranger gestellt. Viel zu oft liest man Sätze wie „das können wir uns nicht leisten“ in Zusammenhang mit Flüchtlingen, Sozial- oder Bildungssystemausgaben, wobei doch jeder insgeheim weiß, dass wir mehr als ausreichend Geld für alle im Umlauf haben. Den Geiern, die den Großteil davon zu Unrecht auf ihren privaten Konten horten, können aber nur einflussreiche Menschen wie zum Beispiel Politiker durch faire Steuerreformen auf den Schlips treten. Das wird aber nicht passieren, solange das Volk immer wieder aufs Neue dieselbe korrupte Regierung mit ausgetauschten Gesichtern wählt, weil es Angst vor einer tatsächlichen Veränderung hat. Man möchte ja nicht das, worüber man sich ständig beschwert, dass es zu wenig ist, aufs Spiel setzen…

Um nochmal auf Band-Aktivitäten zurückzukommen: Ihr habt letztes Jahr eine zweiwöchige Europa-Tournee absolviert. Was waren die besten Erlebnisse und Erfahrungen, die ihr von dieser Tour mitgenommen habt?
Also entweder wir alle waren während dieser Tour dermaßen volltrunken oder du hast einfach nur schlecht recherchiert. Wir können uns an keine Europa-Tour im letzten Jahr erinnern. (lacht)

noendinsight2015-03Was ist sonst noch an Konzerten für den Rest des Jahres geplant?
Wir spielen dieses Jahr noch ein paar Festivals. Mit Vorfreude schauen wir auf das Tolerance Festival in Ummerstadt, bei dem wir nun schon zum zweiten Mal mit dabei sein dürfen. Folgende Dates sind bis dato geplant:
14.08.2015 – tba – Hilfe benötigt!
15.08.2015 – Göppingen, Krypta
21.08.2015 – Wiernsheim, Riedler Open Air
28.08.2015 – Nürnberg, Zentralcafe K4
29.08.2015 – tba – Hilfe benötigt!
18.09.2015 – Ulm, Hexenhaus
19.09.2015 – Ludwigsburg, Villa BarRock
25.09.2015 – tba – Hilfe benötigt!
26.09.2015 – Ummerstadt, Tolerance Festival
30.10.2015 – tba – Hilfe benötigt!
31.10.2015 – Lauterbach, Crown

Okay, damit wären wir fast durch. Zum Abschluss noch das Metal1-Brainstorming. Ich nenne dir ein paar Begriffe, du sagst mir, was dir dazu einfällt:
Pegida:Wir sind die Mauer, das Volk muss weg!
Ukraine-Konflikt: Ich kann mich hier für keine Seite entscheiden. Weder für ein Land, in dem eine Horde Faschisten ihr Unwesen treiben, noch für ein Land in dem seit Ewigkeiten Homosexuelle verfolgt und eingesperrt werden.
Frontex: Frontex ist ein Verein herzloser Mörder, der verantwortlich für tausende tote Flüchtlinge im Mittelmeer ist. Destroy all borders!
Vegetarischer Schinkenspicker: Tofurky Oven Roasted. Der schmeeeeckt!
Metal 1.info: Die Metal-Hausaufgaben wurden leider nur zum Teil gemacht. Songtexte wurden schön durchleuchtet, dafür gibt es eine 1 Minus. Für die miserable Tourkalender-Recherche nur eine 5 Plus. Ansonsten alles spitzenmäßig.

Alles klar, das wars dann von meiner Seite. Danke dir für das Interview. Die letzten Worte gehören dir.
Vielen Dank für das ausführliche Interview, Pascal. Es hat mich sehr gefreut, deine knallharten Fragen zu beantworten. Ich hoffe man sieht sich bald mal wieder auf das ein oder andere Bier! Den Leserinnen und Lesern möchte ich gerne noch unsere Internetpräsenzen ans Herz legen:

www.facebook.com/noendinsightmetal
www.noendinsight.net
https://www.youtube.com/user/NOENDINSIGHT666

Publiziert am von Pascal Stieler

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert