Konzertbericht: Feuertanz Festival 2014 – Tag 2

20.06.2014 Burg Abenberg

Der zweite Tag auf Burg Abenberg ist 2014 – genau wie 2010 – geprägt von den Einflüssen der Fußballweltmeisterschaft. Das Billing wird kurzfristig ein wenig adaptiert, so dass alle fußballbegeisterten Festivalgänger die gesamte IN EXTREMO-Show sehen können, ohne das Spiel zwischen unserer Nationalelf und Ghana zu verpassen. Durch die Änderungen avanciert das Moderatoren-Duo DAS NIVEAU sozusagen zum Semi-Headliner des Abends. Dazu überzeugt der Samstag musikalisch insgesamt deutlich mehr als der Vortag, mit einer Ausnahme.

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Die Nordlichter von MR. HURLEY UND DIE PULVERAFFEN eröffnen den Tag mit ihrem in Bayern bis dato größtenteils unbekannten Grog’n’Roll. Dieser ist aber musikalisch so einprägsam geraten, dass es nur wenige Momente dauert, bis der Burghof erstmals in Wallung kommt. Es erklärt sich quasi von selbst, warum ein zweifelhafter „Musiker“ namens Tobee den größten Hit der Pulveraffen namens „Blau wie das Meer“ einfach dreist geklaut und zu seinem Mallorca-Hit gekürt hat. Eingängig, frisch und fröhlich kommen die Songs daher. Dazu bietet Ms. Ivy Cox noch etwas für das Auge, so dass immer mehr Frauen (und auch Männer) ihr Achterdeck im Takt schütteln. Zusammengefasst feiern Mr. Hurley und seine Crew das, was sie in einem Song selbst besingen: Schiffe, Schätze, Schlampen und Schnaps. Und das klingt nun niveauloser als es ist. Fans von Versengold und Knasterbart werden hier mit Sicherheit fündig. Alle anderen können sich im Rahmen des MPS oder auf dem TANZT! 2014 von den Qualitäten der Combo überzeugen.

SONY DSCNach mehrjähriger Abstinenz feiern die Frankfurter Folkmetaller NACHTGESCHREI anschließend ihr Comeback auf dem Feuertanz: Dass mit Sänger Martin LeMar inzwischen ein neuer Mann am Mikro steht, hat sich szeneweit herumgesprochen. Und der glatzköpfige Hüne beweist im Rahmen dieses Auftritts erneut seine stimmlichen Qualitäten, die nicht zu vergleichen sind mit seinem Vorgänger. Allgemein scheint der folkige Siebener nach den vergangenen beiden Jahren, die ganz im Zeichen des letzten Albums „Aus Schwärzester Nacht“ standen, nun vollständig emanzipiert von den Fesseln der Vergangenheit zu sein. Zwar leidet die Show unter technischen Problemen und einer von Seiten der Band etwas überambitionierten Animationsveruschen, doch Songs wie „Sirene“ vermixt mit Klassikern wie „Herzschlag“ und instrumentalen Einlagen im Stile von „Na Sdrowje!“ funktionieren auch auf Burg Abenberg. Kleinere Pannen kompensiert Martin am Mikro spielerisch durch seinen Charme und spätestens beim allerersten NACHTGESCHREI-Song „Der Meister“ gegen Ende des Sets feiert die Menge mit den Musikern. Im Vergleich zu vielen anderen Gruppen aus dem weit gefassten Genre des Folkrocks haben die Frankfurter mit ihrem Sängerwechsel alles richtig gemacht.

SONY DSCEben jenes Urteil lässt sich auch über die Bremer VERSENGOLD fällen. Auf eine erste erfolgreiche Clubtour 2013 folgte dieses Jahr mit der neuen EP „Auf in den Wind“ im Gepäck eine weitere. Nach zwei Support-Touren mit Feuerschwanz waren Snorre, Pinto und Co. letzten Winter wiederum mit Saltatio Mortis unterwegs. Im Juni 2014 kehren die Nordlichter nach einem ereignisreichen Jahr schließlich nach Abenberg zurück. Und wie im Vorjahr überraschen die Musiker bei ihrer Songauswahl, die besonders im Balladenteil wieder mit „Vom Zauber des Wildfräuleins“ anstatt des ähnlich ruhigen aktuellen EP-Titeltracks punktet. Im folkig-tanzbaren Block fügen sich die neuen „Seemannsgarn“ und „Meuterey“ munter bei den etablierten Livekrachern von „Im Namen des Folkes“ ein und die Stimmung entwickelt sich noch einmal spürbar besser als im Vorjahr. Die fröhlichen Markt- und Saufkompositionen wie „Drey Weyer“ und „Paules Beichtgang“ geraten textlich wie musikalisch noch einen Tacken ausgereifter und variabler als das Programm der Pulveraffen wenig zuvor. Als Abschluss darf „Ich und ein Fass voller Wein“ nicht fehlen und basierend auf dieser energiegeladenen Performance wäre es keine Überraschung, wenn VERSENGOLD 2015 erneut die fränkischen Burgfestivals unsicher machen.

SONY DSCNachdem die erste Tageshälfte mit den Pulveraffen und Versengold eher marktlastig gerät, schrauben TANZWUT mit ihrer „Höllenfahrt“ im Anschluss wieder am Härtegrad des Feuertanz Festivals 2014. Und Teufel zieht die Schrauben mit seinen elektronisch-verstärkten Mannen an Synthesizern, Keyboards und Sackpfeifen mächtig an. Das aktuelle Studioalbum nebst den festivalerprobten Songs des Vorgängers wie „Weiße Nächte“, „Folge deinem Herzen“ oder „Gift“ ergeben zusammen mit altbekannten TANZWUT-Klassikern von „Der Arzt“ bis „Ihr wolltet Spaß“ ein griffiges Brett, das von der Mischung über die gesamte Spielzeit von rund 75 Minuten bestens bei Laune hält. Auch der Gehörnte am Mikro erwischt stimmlich einen wirklich guten Tag, vielleicht sogar einen seiner besten, und so harmoniert der meist ausdifferenzierte Klangteppich hervorragend mit der Lead-Stimme des Fronters. Die Stimmung trägt ihr übriges dazu bei, dass TANZWUT sich für weitere Auftritte an gleicher Stätte empfehlen.

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Als offizieller Semi-Headliner bietet die LETZTE INSTANZ mit ihrer neuen Festivalhymne „Ganz egal“ einen ersten Live-Vorgeschmack auf das im August erscheinende Album „Im Auge des Sturms“. Und was mit dem überraschend starken Klassiker „Kalter Glanz“ sowie dem etwas moderneren „Flucht ins Glück“ mehr als vielversprechend beginnt, entwickelt sich ab dem vierten Lied in die musikalische Neuausrichtung der ostdeutschen Szeneveteranen, denen bestenfalls glühende Verehrer der Albentrilogie etwas abgewinnen können. Auch das neue „Ganz egal“ richtet sich mehr als deutlich an die neuen Fans, die dem tendenziell seichten Folk-Pop mit Streichernote etwas abgewinnen können. Anderen dürfte der Biss und auch ein bisschen die Energie der Anfangsjahre fehlen. Einzig „Sing“ und „Finsternis“ erinnern in Teilbereichen an die früheren Stärken der Instanz, die ohne Gründungsmitglied Holly D. noch ein wenig mehr nach Pop klingen. Am Ende besingt die Band nebst ihren Fans erwartungsgemäß erst „Rapunzel“, um dann nach einer mehr oder minder rockigen „Seven Nation Army“-Einlage als krönenden Abschluss die bandeigene Hymne an das gemeinsame Alleinsein anzustimmen. Die Best-Of-Show nach über 15 Jahren Brachialromantik zeigt klar, wo sich das Sextett anno 2014 selbst sieht. Und an diesem Punkt droht mehr denn je der Scheideweg mit den letzten verbliebenen Fans der ersten Stunde.

SONY DSCBevor In Extremo das Ende des Feuertanz Festivals 2014 einleiten, kämpfen Martin Spieß und Sören Vogelsang alias DAS NIVEAU nebst Gästen erfolgreich gegen die Fußball-WM und den damit einhergehenden Besucherschwund am Festivalgelände an. Wie gewohnt mischen die beiden wortgewandten Barden ihre Songs mit einer Niveauisation, bei der das Publikum das Genre, die Tonart und das Thema vorgibt, und viel Interaktion. So einigen sich schließlich alle Beteiligten darauf, keine Zwischenstände von Deutschland gegen Ghana in die Show einzubauen. Wohltuend, da sich das Duo somit auf seinen Auftritt konzentrieren kann, der mit Prinz Richard Hodenherz von Feuerschwanz und Mr. Hurley als Gäste aufwartet. Für alle, die keine Lust auf Fußball hatten, bietet DAS NIVEAU eine extrem kurzweilige Show, bei der wie immer gilt: Humor ist Geschmacksfrage. Und wer mit den teils derben Inhalten und Sprüchen ein Problem hat, findet rund um die Burg genügend alternative Beschäftigungsmöglichkeiten – auch ohne das schwarzweiße Leder.

SONY DSCSpätestens zu den ersten Takten von „Mein Rasend Herz“ hat sich das Festivalgelände vor der Bühne wieder vollständig gefüllt. IN EXTREMO beginnen ihr Set mit einem Klassiker und zeigen sich auf ihrer Burgentour erfreulich variabel. Zwar entspricht das Set letztlich nur einer abgespeckten Version der letztjährigen „Kunstraub“-Tour, doch die Songauswahl kombiniert mit der imposanten Licht- und Pyroshow lassen auch unter freiem Himmel kaum Wünsche offen. Die live „Feuertaufe“ zum gleichnamigen Song vom aktuellen Album sowie bei „Himmel und Hölle“ bestehen die Altmeister mit Bravour. Wer den neueren Stücken überdrüssig ist, wird mit „Frei zu sein“, „Liam“ oder „Küss mich“ adäquat entschädigt. IN EXTREMO wirken wie eine gut geölte Live-Maschine, die im Vergleich zu den letzten Studiotaten live doch noch die nötige Härte transportiert, um manch banalen Text vergessen zu machen. Dazu liefern die Musiker rund um die Songs ein optisches Spektakel, wie man es auf dem Feuertanz selten zu sehen bekommt – in dieser Form vielleicht sogar noch gar nicht. Am Ende holt Frontmann Micha Rhein noch Teufel von Tanzwut auf die Bühne, um gemeinsam mit ihm „Ai Vis Lo Lop“ anzustimmen. Derlei Gastauftritte würde man sich als langjähriger Besucher der Burgenfestivals im Frankenland häufiger wünschen. Als InEx schließlich den „Spielmannsfluch“ beschwören, endet das Feuertanz 2014 angemessen mit einem der wohl prägendsten Songs aus dem weit gefassten Bereich des Folkrocks.

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Der zweite Festivaltag schlägt den Freitag um Längen. Besonders in der ersten Tageshälfte zeigen MR. HURLEY UND DIE PULVERAFFEN sowie VERSENGOLD, dass im Bereich des Mittelalter-Folks  in den kommenden Jahren mit ihnen zu rechnen sein dürfte. NACHTGESCHREI dürften hingegen bei Fans der härteren Gitarren mit traditionellen Einflüssen noch für Furore sorgen. Dass dort vermehrt Lücken entstehen bzw. neue Einflüsse dringend notwendig sind, beweist die zweite Tageshälfte, besonders mit den beiden Headlinern.  Im Falle von IN EXTREMO sprechen zumindest Albenverkäufe, Show und die Stimmung dafür, dass die getroffenen Entscheidungen richtig gewesen sind. Und nein, früher mag nicht alles besser gewesen sein, doch die exponentiell steigende Gleichförmigkeit oder auch Austauschbarkeit in vielen Sphären des Folks ist kaum mehr wegzudiskutieren. Umso mehr liegt die Hoffnung auf kreativen Newcomern, die sich weg von bekannten Pfaden bewegen.

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