Konzertbericht: Progression Tour 2015

21.04.2015 Hamburg, Markthalle

Progression Tour: Deathcore bis die Trommelfelle reißen

IMG_93802014 erschien das Debütalbum „Aeshma“ von WALKING DEAD ON BROADWAY und dieses Jahr sind sie schon auf der Progression Tour dabei. Und wie sie dabei sind. Obwohl sich der Saal der Hamburger Markthalle nur sehr langsam füllt, sind die Leipziger ab der ersten Sekunde bei 100% – sowohl in der Härte als auch in der Qualität ihres Deathcores. Sehenswert ist dieser bandgewordene Breakdown schon allein wegen des Gitarristen Michael, der immer wieder Zombie- und Wahnsinnsgrimassen zieht. Zum hervorhebenswerten Song „I Am Legend“ rasten die ersten Violentdancer aus und lassen ihre Gliedmaßen fliegen. Nach 20 Minuten der härtesten Gangart schalten WALKING DEAD ON BROADWAY noch höher und liefern ein Auftaktfinale, das klingt, als würde Sänger Robert live für das Hamburger Publikum seine Stimmbänder zerstören – in beeindruckender und ein bisschen auch in gruseliger Hinsicht. Wäre dies ein Kino-Abend, hätte er mit einem unterschätzten Zombieslasher mit reichlich Blut, Tempo, Atmosphäre und generell erstaunlich hoher Qualität begonnen.

IMG_0025Nach gerade einmal 15 Minuten Pause und einem anstrengend lautem Soundcheck besteigen die Hardcore Punks von RISE OF THE NORTHSTAR die Bühne. Der Raum ist mittlerweile locker gefüllt und die Stimmung ist gut. Dazu trägt die Pariser Band bedeutend bei. Auch wenn sie genrebedingt vielen im Publikum eine Portion zu true, zu cool, zu Hip-Hop ist, wird sie von den anderen umso motivierter gefeiert. Sowohl Moshpit als auch Circlepit laufen gut an und halten ebenso gut durch. Der mitunter oldschoolige, aber dennoch zeitgemäße Hardcore-Sound, der sowohl modern als auch von den 1990er Jahren motiviert erscheint, mischt sich mit Klängen des Thrash Metals und ganz besonders mit einer höchst verspielten und sehr interessanten E-Gitarre. Das erste Album von RISE OF THE NORTHSTAR erschien 2014, heißt „Welcame“ und ließ so manchen Kritiker jubeln. Wäre dies ein Kino-Abend, wären ROTNS ein brutaler, ehrlicher Gangsterfilm in den Straßen der dreckigeren Viertel von Paris – wahrscheinlich basierend auf wahren Begebenheiten.

IMG_0430Es folgen ADEPT um 19:55 Uhr: Eingängiger und vielseitiger Metalcore mit einer melancholisch-interessanten Erinnerung an Post-Hardcore. Schwedische Musik, die auf ein Publikum trifft, das heute überwiegend nicht wegen der emotionalen Parts hier ist. Doch sowohl die Stimme als auch die Instrumente scheinen sich daran anzupassen und eine ganz besondere Ladung Härte liefern zu wollen, die mehr als dankbar angenommen wird. Der Albumsound von ADEPT – zuletzt seit 2013 unter dem Titel „Silence The World“ zu hören – ist insgesamt etwas sanfter. Im Vergleich mit den anderen Auftritten des Abends stehen die Musiker relativ unbeweglich auf der Bühne, doch zum Ausgleich garniert Frontmann Robert Ljung das Programm mit Aussagen wie: “Some call us alcoholics, but I say we are preachers of a good life. Can I get an amen?“ Besonders brutal und damit beim Publikum besonders beliebt ist der brandneue Song „Dark Clouds“. Nach 30 Minuten auf der Bühne bleiben nur „Zugabe“-Rufe, die trotz ihrer Hoffnungslosigkeit bei einem Event wie der Progression Tour nur langsam abebben. Wäre dies ein Kino-Abend, wären ADEPT ein tragisch-romantisches Drama über Liebe, Alkoholmissbrauch und die Schönheit und Hässlichkeit der Welt.

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Ab 20:40 beginnt ein Deathcore-Fest mit drei der bedeutendsten Bands dieses Genres. Zuerst bringen CARNIFEX den arenahaften Aufbau der Markthalle zum Beben. Die Fläche für mögliche Pits ist hier nur klein und wird von einigen Violentdancern weiter eingeschränkt, sodass heute nur eine kleine Zahl besonders mutiger Fans den brutalen Tanzstil pflegt. Vielleicht sind aber auch einfach nur zu viele gelähmt von der unfassbaren Gewalt in Sänger Scott Lewis‘ Stimme und dem Doublebase-Gewitter von Drummer Shawn Cameron. Als stellte man sich einem Sturm entgegen, scheinen die Schallwellen stark genug, um die Zuhörer umzuwerfen. Dazu kommt die Optik der Band und vor allem des Frontmanns, die eine passende Mischung aus Angst und Faszination hervorruft. In ihrer kurzen Zeit auf der Bühne spielen CARNIFEX Songs vom Anfang ihrer Karriere – „Lie To My Face“ noch mit deutlicheren Death-Metal-Anleihen – über das Mittelfeld – „Hell Chose Me“ – bis zum aktuellen „Die Without Hope“ vom aktuellen, gleichnamigen Album. Wäre dies ein Kino-Abend, wären CARNIFEX eine düstere, brutale und zugleich geniale Horror-Comic-Verfilmung aus der Perspektive der Villains und ohne jede Spur eines Happy Ends.

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In Weiß auf schwarzem Grund erscheint ein riesiger Schriftzug über der Bühne: WHITECHAPEL. Als die dazugehörigen Deathcore-Klänge in den Saal dröhnen, beginnt ein Instant-Krieg im Pit. Leider endet der Lobgesang hier, bevor er wirklich beginnt. Diese musikalisch mehr als nur einwandfreie Band liefert sich heute einige Patzer. So schaffen sie es, beinahe von Beginn des Konzerts an so zu wirken, als wäre ihr Auftritt gleich vorüber. Trotz nur vergleichsweise kurzer Zeit auf der Bühne finden viele Pausen statt und zwischenzeitlich IMG_0787verschwinden die Musiker sogar, um sich wieder herausbitten zu lassen, was auch noch weitgehend scheitert. Auch die Ansagen klingen nach Motivationsmangel, während die Überbetonung von Schlagzeug und Stimme – beides allerdings großartig – die Vielseitigkeit der Musik unterminieren. Dennoch werden sie mit einer kleinen Wall of Death geehrt und besonders für den Abschlusssong „Possibilities Of An Impossible Existence“ lautstark und mit vielen „horns“ gefeiert. Wenngleich dies nicht unbedingt WHITECHAPELs bestes Konzert war, lohnt es sich trotzdem, dem aktuellen Album „Our Endless War“ ein Ohr zu leihen. Wäre dies ein Kino-Abend, wäre dieser Auftritt eine tragische, von Angst und Horror erfüllte Verfilmung der Ripper-Morde – ein Thriller mit Längen.

  1. Our Endless War
  2. Let Me Burn
  3. Faces
  4. Fall of the Hypocrites
  5. This Is Exile
  6. Vicer Exciser
  7. Possession
  8. Prostatic
  9. Fairy Fay
  10. Possibilities of an impossible Existance

IMG_0974Zum Finale ab 22:45 Uhr treten SUICIDE SILENCE an und beginnen mit einem Titel, den man ganz am Ende erwarten könnte: „No Pity For A Coward“ weckt erst einmal alle, die vom stundenlangen Moshen langsam müde geworden sind. Doch besonders voll ist der Saal an diesem Dienstagabend nie gewesen und ein beträchtlicher Teil des Publikums ist auch schon wieder gegangen. Auch der Song „Wake Up“ hilft nicht, um die leider etwas abgekühlte Stimmung langfristig voll aufzuheizen. Sänger Eddie Hermida versucht zwar immer wieder die restlichen Fans zu motivieren, aber das gelingt ihm nur begrenzt. Im Kontrast dazu flippt der kleine Moshpit so sehr aus, dass sich die meisten doch lieber davon fernhalten. Wer die Band kennt, weiß, dass sie trotz Mitch Luckers Tod 2012 – R.I.P. – möglicherweise die Speerspitze des Deathcore darstellen und dass Eddie durchaus zu unterhalten weiß. Heute jedoch kommt davon nicht viel rüber, als bräuchte er ein motiviertes Publikum, um selbst motivieren zu können. Zuletzt wird – gerade beim Publikumsliebling „You Can’t Stop Me“ vom gleichnamigen und aktuellen Album – seine Stimme derart mit Hall unterlegt, dass ihr sonst herausragender Klang Verwirrung und Unverständnis erzeugt. Es war kein schlechtes Konzert, aber im Vergleich zu den Fähigkeiten und anderen Konzerten von SUICIDE SILENCE blieb der Auftritt deutlich hinter den Erwartungen zurück: vor und auf der Bühne zumindest leichte Enttäuschung. Wäre dies ein Kino-Abend, wäre dieser Auftritt von Suicide Silence ein gewaltiger Horror-Blockbuster mit einem genialen Plot, der jedoch hinter seinem eigentlichen Potenzial weit zurückbleibt.

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  1. Intro
  2. No Pity
  3. Inherit the Crown
  4. Wake Up
  5. Slaves to Substance
  6. Clease To Exist
  7. Revelations Intro
  8. Unanswered
  9. Fuck Everything
  10. Bludgeoned to Death
  11. Wall of Medley
  12. Sacred Words
  13. You Can’t Stop Me
  14. You Only Live Ones

Fazit: WALKING DEAD ON BROADWAY haben den Abend hervorragend eröffnet und sich – hoffentlich – als Zukunft des deutschen Deathcore präsentiert. Einen Abstecher zum Hardcore Punk machten dann RISE OF THE NORTHSTAR, die nur begrenzt ins Line-Up passten, aber dennoch sehr gefeiert wurden. ADEPT spielten dann astreinen und heute besonders auf Härte getrimmten Metalcore, der höchstens gelegentlich etwas mehr Aktivität gebrauchen könnte. CARNIFEX waren mit ihrem vergleichsweise harten Deathmetal dann der verdiente Höhepunkt des Abends. Denn WHITECHAPEL leisteten durch viele Längen nicht wirklich den Deathcore-Level, der ihnen zuzutrauen ist, und SUICIDE SILENCE haben auch schon bessere Konzerte gespielt. Doch bei letzteren ist die Schuld dafür nicht nur auf der Bühne zu suchen. Insgesamt war dies dennoch ein gelungener Abend, der vielleicht an einem anderen Wochentag und mehr verkauften Tickets noch ein gutes Stückchen gelungener hätte sein können.

Publiziert am von Jan Termath

Fotos von: Jan Termath

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