Festivalbericht: Tanzt! 2016

12.11.2016 - 12.11.2016 München, Backstage

Von der bayerisch-österreichischen Provinz in die Großstadt führte der Weg des TANZT! in den letzten zehn Jahren. Das zunächst lokale Folk- und Mittelalter-Event entwickelte sich im Laufe dieser Dekade zu einer internationalen Großveranstaltung mit Gästen aus aller Herren Länder. In diesem Jahr vertreten die südeuropäischen MÄGO DE OZ den internationalen Folk, das verbleibende Line-Up rekrutiert sich aus Lokalmatadoren, alten Bekannten und einer Szenegröße als Headliner.

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Als Local Heroes eröffnen BRACHMOND das Jubiläumsfestival gegen 15 Uhr. Im Vergleich zu THE PRIVATEER im Vorjahr startet das TANZT! dieses Jahr mit melodischem Mittelalter-Folk anstatt folkmetallischer Urgewalt. Dass die Band in dieser Konstellation noch in ihren sehr frühen Anfängen steckt, verraten die 40 Minuten Spielzeit selten. Zu ersten Kompositionen wie „Brachmond“ oder „Funkenflug“ kommt auch früh erste Bewegung in die Halle, wenngleich besonders Sängerin Steffi stimmlich einiges nachlegen muss, um szeneweit für Furore zu sorgen. Insgesamt wirken neun Musiker für die gewählte Ausrichtung auch etwas hochgegriffen, besonders wenn im Verlaufe der Show noch Gäste von FUCHSTEUFELSWILD dazustoßen und das Soundbild die Anzahl der Instrumente und Beteiligten nicht mehr hergibt. Nichtsdestotrotz verdient das Nonett mehrere Chancen wie diese, um einen ersten Eindruck dauerhaft zu manifestieren. Einige Ansätze der Spielleute sind durchaus vielversprechend.

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Drei Musiker, kein Schlagzeug und eine glockenklare Stimme, die größtenteils düsterromantische Texte singt. Auch im zehnten Jahr schrecken die Veranstalter des TANZT! nicht vor mutigen Experimenten zurück. So zelebrieren die Lokalmatadoren DELVA an zweiter Stelle ihren ruhigen Folk, der primär von der Ausdrucksstärke in der Stimme von Sängerin Johanna lebt und eher zum andächtigen Lauschen als zum wilden Pogo einlädt. An diesem Abend wird Johanna von Geigerin Ally flankiert, die einigen Stücken eine spürbar andere Note verleiht als Stammgeigerin Judith – ein Phänomen, welches auch beim späteren Headliner Subway to Sally zum Tragen kommt. Zu den Liedern der Debüt-EP „DELVA“ gesellen sich – unter anderem mit „Im Nebel“ – ein paar neue Songs, die besonders gegen Ende deutlich perkussiver klingen als die ersten Lieder des Trios. Das Ergebnis ist tiefgründig und dennoch leicht bekömmlich. Viele Besucher sind anfangs von der stilistischen Ausrichtung DELVAs sichtlich irritiert, doch im Verlaufe des Auftritts hören immer mehr Gäste der ausdrucksstarken Musik zu, ehe zum Schluss lauter Jubel aufbrandet. Verdientermaßen. Erstaunlich wandelbar präsentiert sich das Trio vor heimischer Kulisse, getragen von Geige, Percussion und Gitarre.

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Mehrere Spuren härter dringen anschließend NACHTGESCHREI über die Lautsprecher. Ihr Set eröffnen die sieben Folkmetaller mit dem instrumentalen „Kerberos“, welches fließend in „Eden“ vom letzten Longplayer „Staub und Schatten“ mündet und gefolgt von „Sirene“ für ordentlich Stimmung im Backstage sorgt. Mit ausgeprägtem Fokus auf Gitarre und Schlagzeug, die melodisch mit Dudelsack und Drehleier unterfüttert werden, präsentiert das Septett vorwiegend neue Vorzeigenummern wie „Die wilde Jagd“, „Das Nichts“ oder „Monster“. Während „Spieler“ unterteilt Martin die Menge in Team Tilman und Team Sane, die sich – mit ordentlich Elan auf beiden Seiten – im Hinblick auf Lautstärke duellieren. „Der Meister“ und „Windstill“ aus der bandeigenen Klassikerkiste holen besonders ältere Fans ab, welche allerdings im weiteren Verlauf ebenso wie der Rest vergeblich auf einen Vorgeschmack von der neuen Langrille „Tiefenrausch“ warten. Dieses Bonbon heben sich die sieben Musiker für ihren zehnjährigen Bandgeburtstag auf, wie das neueste Mitglied Laui verkündet. Mit „Schlaflos“ lassen NACHTGESCHREI ihre energiegeladene Show schließlich gediegen ausklingen.

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Ebenso wie NACHTGESCHREI setzen VERSENGOLD (bei ihrem TANZT!-Debüt) in erster Linie auf Songs, die dem Titel des Festivals entsprechen. Insofern bleiben Balladen wie „Vom Zauber des jungen Wildfräuleins“ oder „Die Schönheit der Schatten“ an diesem Abend in München außen vor. Stattdessen folken sich VERSENGOLD mit ordentlich Pfeffer unterm Hintern und neuen Vorzeigenummern wie „Kein Trinklied“, „Hoch die Krüge“ und „Spaß bei Saite“ vom aktuellen Album „Zeitlos“ durch ihr knapp 50-minütiges Set. Bei „Ich und ein Fass voller Wein“ singen sich die Nordlichter schließlich zusammen mit der Menge dem Ende ihres Auftritts entgegen. Zwar kommt die aktuelle Entwicklung bei VERSENGOLD nicht ganz ohne Kompromisse mit der illustren Vergangenheit aus, doch auch 2016 gehören beispielsweise „Wem? Uns“ oder „Drey Weyber“ immer noch zu Eckpfeilern der ungemein schweißtreibenden Live-Shows. Der neue Mittelalter-Folk ist dabei keineswegs dem Norden vorbehalten, sondern erweist sich inzwischen deutschlandweit als ungemein feiertauglich und stimmig. Lyrisch braucht sich Sänger und Texter Malte wiederum vor niemandem zu verstecken.

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Vom hohen Norden in den rassigen Süden entführen MÄGO DE OZ nach einer längeren Umbaupause. Bereits während ihrer Autogrammstunde werden die Musiker lautstark von ihren treuen Anhängern gefeiert. Szenen, die man auf dem TANZT! ansonsten nur von Bands wie Folkstone in dieser Dimension kennt. In ihrer Heimat sind die Musiker lebende Legenden, die ganze Stadien ausfüllen. Hierzulande reicht es nach über zehnjähriger Bühnenabstinenz live zunächst für eine gut gefüllte Backstage Halle und nun für den Auftakt in die zweite Festivalhälfte. Die Musik der Spanier funktioniert länder- und sprachenübergreifend besonders für all diejenigen, die auf eine ausgewogene Mischung aus Rock und Folk stehen. 13 Studioalben und fünf Live-Veröffentlichungen umfasst die Diskografie der Zauberer, die hierzulande nur in den vorderen Reihen den gleichen Stimmungslevel wie VERSENGOLD und NACHTGESCHREI zuvor erreichen.

Optisch erinnern die Klamotten der Madrilenen mehr an Steampunk als an Folk, doch der Instrumentenmix huldigt deutlich dem Heavy Rock mit Folk-Einflüssen. Jene Zutaten werden entweder zu schnellen Rockkompositionen, epischen Prog-Rock-Nummern oder gefühlvollen Balladen verquickt. Das Ergebnis klingt wie eine südeuropäische Mischung aus Deep Purple, Iron Maiden und Rainbow, garniert mit Akkordeon, Dudelsack und Geige. Beinahe mühelos passen MÄGO DE OZ dabei ihre Show aus den großen Stadien an die kleinere Halle an, so dass im Backstage ein kleiner, aber feiner deutsch-italienisch-spanischer Hexenkessel entsteht, der besonders von der Euphorie der eingefleischten Anhänger lebt.

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Im zehnten Jahr heißt es für VROUDENSPIL auf dem TANZT! erneut Abschied nehmen, dieses Mal von Sänger Ratz von der Planke, der aus beruflichen Gründen seinen Ausstieg zum Jahresende verkündet hat. Der Wahlpirat steigt im echten Leben zum Kapitän auf und fährt zur See. Bis dahin wollen die Süddeutschen glücklicherweise wenig Zeit mit Trübsalblasen verbringen, sondern besonders auf ihrem Haus- und Hoffestival mit einer gepflegten Sause noch einmal Vollgas geben. Spätestens beim dritten Lied „In der Halle des Dattelschnapskönigs“ ist die Menge beim Freibeuter-Heimspiel mit dabei. Wenig später folgt mit „Püppchen“ direkt der stärkste Song der aktuellen Platte „Fauler Zauber“ und natürlich darf im weiteren Verlauf auch die „Spilmannsweise“ nicht fehlen. Sieben der insgesamt zwölf Stücke stammen jedoch von der jüngsten Veröffentlichung und ganz erreicht der Auftritt nicht den Level vieler Vorjahre: Insgesamt haben VROUDENSPIL als Co-Headliner schon stärkere Reaktionen auf dem TANZT! gezogen.

Gegen Ende ist das aber schnell vergessen: Sänger Ratz greift vor den letzten drei Nummern dann doch zum Mikro und kündigt diese als seine Auswahl für den Abschied an. Es folgen mit „Meute toter Narren“, „Plankentango“ und „Kurs auf’s Leben“ drei Songs, die ziemlich passend die Zeit des Bandkapitäns mit seiner Mannschaft zusammenfassen und gleichzeitig auf eine Zäsur in der Bandgeschichte hinleiten. „Ein unwichtiger Bösehold“ fehlt zum Schluss auch 2016, doch dafür tritt Ratz nochmals ohne Mikro vor die Menge und richtet lautstark noch einige Worte an das Backstage. „Ewige Dankbarkeit“ empfinde er und tritt danach unter lautem Jubel ab. Wie VROUDENSPIL diese Lücke schließen wollen, wird sich wohl spätestens 2017 an gleicher Stelle zeigen.

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Mit SUBWAY TO SALLY endet das Jubiläums-TANZT! mit einer wahren Szenegröße. Waren die Potsdamer erst im April mit ihrer NEON Ekustik Tour im Münchner Backstage zu Gast, kehren sie als Headliner des Festivals auf „Mitgift“-Pfaden zurück. Mit einer starken Setliste zeigen SUBWAY TO SALLY, warum sie seit vielen Jahren zu den Top 5 ihres Genres gehören. Kaum wegzudenkende Stücke wie „Eisblumen“ oder „Tanz auf dem Vulkan“, aber auch einigen Überraschungen wie „Sag dem Teufel“ und ruhige Momente wie bei „Maria“ halten das Publikum gekonnt bei Tanz- und Mitsinglaune. Eine unübersehbare Neuerung gibt es dennoch – Ally Storch übernimmt auch an diesem Abend Frau Schmitts Platz an der Geige und kann nicht nur optisch mit ihren fast bodenlangen Haaren begeistern. Unüberhörbar hat die Violinistin dem Sound der Band ihren ganz eigenen Stempel aufgedrückt. Die neuen Einflüsse lassen selbst bei tausendmal gespielten Stücken wie „Kleid aus Rosen“ überrascht aufhören, und auch Eric Fish gibt am Mikrofon zu, durch die neue Frau an seiner Seite eine frische Motivation beim Spielen dieser Evergreens gefunden zu haben. Die Frischzellenkur tut der Band offenkundig gut und ist ein weiteres Zeichen dafür, dass auch in der Musikwelt nicht jede Veränderung schlecht sein muss.

Der teils unerträglich wummernde Sound, besonders ab „Eisblumen“, und die lange Lauflänge des Festivals führen leider dennoch mit der Zeit zu kleineren Stimmungsabfällen. Wer sich davon nicht beeindrucken lässt, erlebt SUBWAY TO SALLY in – wenn auch nicht außergewöhnlicher – Hochform. Der einzige echte Wehrmutstropfen der Show neben in Teilen des Sounds sind gegen Ende zwei mehr als unnötige Ansagen von Eric Fish, der das beinahe obligatorische Publikumsfoto vom Schlagzeug als Dienstleistung am Festival sieht und ohne jedes Hintergrundwissen die allgemein schwierige Lage des Backstage in München auf einen strikten Zeitplan zurückführt.

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Folk(rock)iger als in den Jahren zuvor geht es auf dem TANZT! 2016 zu – und DELVA setzen sogar ein ungewohnt melancholisches Ausrufezeichen. Zwar erreicht das Festival nicht ganz die Besucherzahlen aus dem Vorjahr, doch dafür lassen sich die Anwesenden nicht lumpen und feiern besonders fette Partys bei VERSENGOLD und NACHTGESCHREI. VROUDENSPIL drücken beim süddeutschen Abschied von Sänger Ratz erfreulich wenig auf die Tränendrüse und auch sonst liefern alle Bands – im Rahmen ihrer jeweiligen Möglichkeiten – mindestens gute Shows ab, die ohne echten Qualitätsabfall (fast) den gesamten Samstag bis in die Nacht füllen. Zusammen mit den Autogrammstunden aller Gruppen und einer annähernd reibungslosen Organisation läutet das TANZT! damit die nächste Dekade erfolgreich, wenngleich ohne großen Paukenschlag ein.

Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von:
Peter Seidel / http://www.metalspotter.de – dort findet ihr unter anderem die vollständige Galerie zu diesem Konzert!

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