Review Long Distance Calling – Trips

LONG DISTANCE CALLING aus Münster sind bekannt und beliebt für ihre größtenteils instrumentalen Post-Rock-Kompositionen, haben sich aber in den letzten Jahren immer wieder diversen Stilvariationen hingegeben und sahen sich mit einigen Besetzungswechseln konfrontiert. Sänger und Keyboarder Martin Fischer (Pigeon Toe, ex-Fear My Thoughts) hat die Band mittlerweile wieder verlassen. Mit dem Norweger Petter Carlsen (Pil & Bue) wurde für „Trips“ ein fester Sänger vorgestellt, was viele Anhängern bereits im Vorfeld mit Missfallen abstraften. Wie weit entfernt sich das Quintett mit dem neuesten Output aber wirklich von seinen Wurzeln?

Ziemlich weit, möchte man beim Intro „Getaway“ zugleich attestieren. Gesang kommt hier zwar nicht zum Einsatz, dafür weitläufige 80er-Jahre-Gedächtnis-Keyboards, die stark an elektronische Pioniere wie Kraftwerk erinnern. Im folgenden Verlauf zeigt sich Petter Carlsen dann auch am Mikrofon („Reconnect“, „Rewind“) und macht dabei eine bessere Figur, als man im Vorfeld erahnen konnte. Die Vocals sind zwar mit ausreichend Hall versehen, agieren aber doch etwas mehr im Hintergrund und lassen so auch weiterhin viel Platz für die erhabenen Instrumentalmomente seiner Musikerkollegen. „Rewind“ beginnt seinerseits als waschechte Piano-Ballade, die im hinteren Drittel weitaus mehr Fahrt aufnimmt und durch die einsetzenden Gitarren ordentlich Power versprüht. Wenn auch die erste Hälfte des Albums wesentlich kürzere Songs bietet, als man es bisher von den Münsteranern kannte, lassen sie es sich aber dennoch nicht nehmen, auch instrumentale Post-Rock-Nummern in das musikalische Geflecht einzuweben („Trauma“). Hier merkt man zweifelsohne, dass die Kraft ihrer Kompositionen und die von Fans hoch geschätzten Merkmale nicht nur ansatzweise vorhanden sind.

Nach dem kurzen Intermezzo „Presence“, das mit gesprochenen Passagen untermalt wurde, bewegt sich „Trips“ in der zweiten Hälfte in weitaus längeren Strukturen, die bei Songs mit knapp sechs Minuten beginnen. Das vertrackte Schlagzeugspiel, die verträumte Keyboard-Melodie und die akzentuell gesetzten Gitarren in „Momentum“ sollten somit jedem alteingessenen LONG-DISTANCE-CALLING-Fan das Herz höher schlagen lassen. Der Titel klingt mit Ambient-Strukturen aus, die sich in „Plans“ dezent fortführen und von einem imitierten Herzschlag begleitet werden. Hier wird das Tempo der vorangegangenen Stücke komplett außer Acht gelassen und man konzentriert sich auf minimalistische Instrumentierung, die so das melancholischste Stück der Platte generieren. Wuchtiger wird es in der zweiten Hälfte des Songs, wenn das Keyboard Streicherpassagen erklingen lässt und die Saitenfraktion kurz darauf krachend in Erscheinung tritt. Erstmals werden die Vocals von Petter Carlsen hier zum Herzstück des Titels erhoben, der die Atmosphäre des Songs sehr gut umsetzen kann. Den Abschluss bildet das knapp 13-minütige „Flux“, das sich im entspannten Space-Rock-Bereich ansiedelt und auch bis dahin vertretene Merkmale in sich vereint.

Die Befürchtungen, dass die deutschstämmigen Post-Rock-Vorreiter mit ihrem neuen Bandmitglied Petter Carlsen komplett ins Belanglose abdriften, sind nicht einmal im Ansatz eingetreten. In gekonnter Balance wechseln LONG DISTANCE CALLING zwischen instrumentalen Nummern und etwas geradlinigeren Rocknummern. Der Post-Rock-Ansatz wurde dabei nicht außer Acht gelassen, sondern gerade in den Gesangsstücken mit einer progressiveren Note angereichert. Somit dürften auch die bisherigen Kritiker sicherlich einige Momente zu ihrer Zufriedenheit auf „Trips“ finden. Ein künstlerisches und intensives Rockalbum zwischen progressivem und Post-Rock ist es allemal geworden, das aber nicht vom Stillstand lebt.

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Wertung: 9 / 10

Publiziert am von Christian Denner

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