Review Nachtreich – Trugbilder

Dahin gestreckt
an Bettes statt
an Weges Rand
trug Geist
mir Bilder an

Trugbilder. Herangetragene Bilder. Heraufbeschworene Gefühlswelten.
Nach einigen Veröffentlichungen, die Neoklassik mit Metal verschmelzen ließen, verzichten NACHTREICH diesmal auf jegliches Metal-Element. Piano und Bratsche bleiben übrig. Ein Nischenprodukt? Vielleicht. Aber sicherlich eines, das jede Minute Aufmerksamkeit, die man ihm schenkt, außerordentlich verdient hat.

Fünf Musiktitel, deren Namen poetisch anmuten, ergänzt von Gedichten gleichen Namens und zehn düsteren Ölgemälden; dazu jeder der drei Parts von einem einzigen Künstler abgedeckt. NACHTREICH haben mit Trugbilder keine leichte Kost geschaffen. Auch wenn jedes Medium für sich selbst sprechen kann, entfalten sie doch erst in Kombination die erwünschte Wirkung.
„Trugbilder“ beschäftigt sich mit Krankheit und Wahn und erschafft dabei eine ganz eigene Atmosphäre. In einem ansonsten stillen Raum wirkt die Musik gar brachial, obwohl hier nur zwei Instrumente zu hören sind. Es ist schwer zu beschreiben, was es heraufbeschwört – ist es doch weder rein depressive, wütende, melancholische oder romantische Musik, sondern eher eine ganz eigene Mischung dieser Elemente. Die Band selbst sagt dazu, sie habe eine Stimmung und Ästhetik aufbauen wollen, wie sie dem Black Metal innewohnt – und vielleicht kommt das sogar noch am ehesten hin.
Während das erste Stück „Fieber“ (mit seinen verhältnismäßig kurzen drei Minuten eher als Intro zu bezeichnen) eher misstönt und, ja, wie im Fieber die Instrumente erst zusammen- und dann disharmonisch wieder auseinanderfinden, lebt das 13-minütige „Traum(a)“ von höchst emotionalen, aber auch äußerst verzweifelt klingenden Läufen und Melodien. Über die lange Spieldauer hinweg scheint das Stück eine traurig-schöne Geschichte zu erzählen, in der das Glück für kurze Zeit erreichbar scheint, und dann doch wieder entrissen wird:

weiter, weiter treib ich
bis der Grat den Fall bedeutet

„Gestalten“ ist ein eher getragenes Stück, das den Streichinstrumenten viel Raum lässt und ganz auf das Piano verzichtet. „Trance“ beginnt dafür mit einer reinen Piano-Melodie, die stellenweise durch einen Violin-Part ergänzt wird, ohne das Piano zum Begleitinstrument zu verdonnern. Die Instrumente umspielen sich und bilden eine melancholische Einheit, die stark an Filmmusik tragischer Filme erinnert. „Black Swan“ könnte es sein, oder „Das Leben der anderen“, auch an Filme von Lars von Trier könnte man denken. Ohne Zweifel ist „Trance“ ein Musikstück mit großer bildlicher Wirkung.
Das letzte Stück auf „Trugbilder“, „Frei Schwebend“, ist emotional zum Bersten gefüllt, und beschäftigt sich mit nichts Geringerem als der Frage nach dem eigenen Sein.

„Trugbilder“ ist sehr komplexe Musik. Wer versucht, dieses Album nur „nebenher“ zu hören, wird der Musik nicht nur nicht gerecht, sondern setzt sie der Gefahr aus, für nervtötend empfunden zu werden. Wer sich dagegen einhört in die teils bizarre, teils soghaft klare und eingängige Klangwelt, wird schnell Interesse am Konzept und den einzelnen Teilen dieses Gesamtkunstwerks von NACHTREICH finden.

Wertung: 9 / 10

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