Februar 2015

Review Steven Wilson – Hand. Cannot. Erase.

Wilson, Wilson, immer wieder STEVEN WILSON. Einst als Frontmann der britischen Prog-Rocker Porcupine Tree groß geworden, kennt man ihn mittlerweile aufgrund diverser Kollaborationen weit über die Genregrenzen hinaus. Und regelmäßig braucht er nicht einmal die Zusammenarbeit mit Kollegen, dann kommt nämlich ein Soloalbum heraus. Zuletzt war dies 2013 der Fall, als das mit ordentlich Brimborium angekündigte „The Raven That Refused To Sing“ zwar ordentlich bis gut ausfiel, die geschürten Erwartungen aber nicht erfüllen konnte.

Deutlich ruhiger war es im Vorfeld bei Scheibe Nummer vier. „Hand. Cannot. Erase.“ fand den Weg in die Plattenläden mit einer angenehmen Zurückhaltung in Sachen Promotion, vielleicht liegt es daran, weil man bzw. STEVE WILSON mehr Energie in die Musik gesteckt hat. Dazu später mehr, zunächst ein kurzer Blick auf das lyrische Konzept. Scheinbar hat Wilson sich mit dem oft tragischen Individuum in der postmodernen Gesellschaft auseinander gesetzt, jenem Menschen, der von anderen oft vergessen ein einsames Dasein fristet und sich machtlos seiner eigenen Ohnmacht ausgesetzt sieht. Ein Mensch vielleicht wie Joyce Vincent, die 2003 38-jährig in einem Einzimmerappartement starb, aber erst mehr als zwei Jahre später entdeckt wurde.
Viel Stoff also für STEVEN WILSONs größten Talentbereich, kaum jemand in der Szene kann so herzschmachtende Balladen schreiben wie der Brite. Dies ist schon bei Porcupine Tree regelmäßig der Fall, das Projekt Blackfield mit dem Israeli Aviv Geffen bezeugt den Trend und auch als Single fährt er in diesem Bereich am besten, auch auf „Hand. Cannot. Erase.“. Und so wundert es kaum, wenn die tendenziell kürzeren, ruhigeren Nummern die Highlights darstellen. Und die Logik folgt dem immer gleichen Schema: ein paar schüchterne Keyboard-Klänge, zarte Akustikgitarren, klarer Sound und der Meister persönlich. Es soll ja Konsumenten geben, die seinen jammernden Gesangsstil entweder aufgesetzt oder anstrengend finden. Positiv formuliert ist sie aber auch emotional, sehnsüchtig und auch fesselnd. Denn letztlich schafft er es immer wieder, den Hörer alleine mit seiner Stimme bei der Stange zu halten, musikalisch passiert hier nicht so sonderlich viel.
Andersherum aufgezäumt wird das Pferd bei den echten Prog-Nummern, welche sich oft ja schon durch ihre Spielzeit verraten. Die beiden Überlänge-Songs „Three Years Older“ und „Ancestral“ sind gar nicht mal über die gesamte Spielzeit langweilig oder gar schlecht, aber wie so oft wäre die Aufsplittung in zwei oder drei eigenständige Lieder nicht verkehrt gewesen. So scheint „Hand. Cannot. Erase.“ jeweils eine ungewollte Auszeit zu nehmen. Vor allem die technischen Schlagzeugbeats machen es dann schwer, sich einfach in der Musik fallenzulassen.

Wie so oft gibt es zu STEVEN WILSON mindestens zwei Meinungen. Während die einen die soften Momente als Ausgleich für den stressigen Alltag schätzen, schwören die anderen auf die Energie, die man mit kantigen Riffs und einigem Bimmel-Bammel erreichen kann. Beide Parteien werden hier fündig, insgesamt kann man mit „Hand. Cannot. Erase.“ auch besser klarkommen als mit dem sperrigen Vorgänger.

Wertung: 8 / 10

Publiziert am von Jan Müller

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