Review King Crimson – Discipline

„Discipline“ dürfte seinerzeit vielen Crimso-Jüngern die Suppe relativ kräftig versalzen haben. Wir erinnern uns an das non plus ultra-Album „Red“, welches wohl der Grund gewesen sein dürfte, dass Robert Fripp, als er mit Tony Levin, Adrian Belew und Bill Bruford zunächst als Discipline auf die Bühnen zurückkehrte, dachte, dass auf dieser musikalischen Schiene nichts mehr zu holen sei. Na gut, nebenbei war inzwischen auch der New Wave aufgekommen, an dessen Erfolg eine Band namens Talking Heads nicht ganz unbeteiligt war. Und, nicht ganz überraschend, wenn man sich den 80er Sound KING CRIMSONs zu Gemüte führt, spielte ein gewisser Adrian Belew bei eben jenen Talking Heads Gitarre und beteiligte sich zudem als Background-Sänger.

Jedenfalls hatte „Discipline“ nichts mehr mit den Großtaten im Bereich des krachenden, verstörenden Hard Rocks zu tun, was schlicht und ergreifend daran lag, dass sich der Sound um annähernd 100° gedreht hatte. Die ersten Klänge von „Elephant Talk“, die die Platte eröffnen, klingen, und das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, funky, locker, aus dem Ärmel geschüttelt, dynamisch, agil – Kann man von Magenschwingern a la „One More Red Nightmare“ wohl eher nicht behaupten.

Statt straighten Riffs und in klaren Rollen befindlichen Instrumenten gibt es hier Gitarren, deren Töne aufgrund der Geschwindigkeit, mit der sie abgefeuert werden, scheinbar miteinander verschmelzen und für den Laien-Hörer oftmals vollkommen undurchsichtig wirken lassen, was da eigentlich gerade gespielt wird. Dieses fast schon beängstigend präzise, Polyrhythmen erzeugende Geschwurbel, oftmals produziert von Fripp, ist aber nur die Grundlage des Irrsinns, mit dem „Discipline“ großteils aufwartet. Da wären beispielsweise auch die sehr schrägen Klang-Experimente Belews auf der Gitarre, welche sich beispielsweise für das „Tröten“ in „Elephant Talk“ verantwortlich zeichnen und aus welchen Belews Solo-Alben zu großen Teilen bestehen.

Ja, und dann ist da noch Belews Gesang, der die letzte und augenfälligste Komponente des Trips „Discipline“ darstellt. In den konventionelleren, poppigeren Passagen des Albums klingt dieser wie ein stimmlich kräftigeres Pendant zu Chef-Neurotiker David Byrne, in den noch experimentelleren Stücken als ohnehin schon singt Belew schon gar nicht mehr, sondern philosophiert, fantasiert oder halluziniert – man weiß es oft nicht so genau – über den Instrumenten vor sich hin. Ob das nun der von KING CRIMSON oftmals angeprangerte Elefanten-Klatsch ist oder die quasi-Lesung eines Briefs von Belews Frau spielt fast schon keine Rolle mehr. Es ist auch irgendwo nur konsequent, dass in „Thela Hun Ginjeet“ ein von Fripp angefertigter Mitschnitt abgespielt wird – der Gitarrist nahm den Sänger ohne dessen Kenntnis dabei auf, wie dieser aufgeregt (und durchaus in etwas beängstigender Weise) von Konfrontationen mit einer Straßengang und der Polizei berichtet.

Und doch ist das alles so dosiert worden, dass „Discipline“ von Momenten der totalen Abgedrehtheit („Indiscipline“) über entspannende Fragmente („The Sheltering Sky“, „Matte Kudasai“) bis hin zu kraftvollen, energetischen Passagen („Frame By Frame“, „Thela Hun Ginjeet“, das sogar mit indischem Touch aufwartet) eine große Menge an Abwechslung bieten kann. Man muss sich mit dem Gesamtbild dieses Albums zwar erst eine gewisse Zeit anfreunden, aber irgendwann ist es ein absolut geniales Gefühl, wenn nach dem nervösen, zerfahrenen und halt einfach vollkommen kaputten „Indiscipline“ das Blitzgewitter von „Thela Hun Ginjeet“ losbricht, für dessen Power sich neben Belews Gitarrenfeuer vor allem Tony Levins geniale Bassarbeit auszeichnet, der seine Fähigkeit zum Monster-Groove schon hier deutlichst herausstellt. Doch auch wenn er diese gerade nicht heraushängen lässt (tut er auf dieser Platte leider sowieso nur selten), ist sein Beitrag für den Sound wichtiger, als man beim ersten Hören mitbekommen mag. Denn auf „Discipline“ führte Levin den Chapman-Stick bei KING CRIMSON und im Prinzip sogar in den ganzen Prog ein, ein Instrument, auf dem zugleich Bass- und Gitarren-Patterns getappt werden können. Zu hören ist das beispielsweise in „Elephant Talk“, wo der Chapman-Stick den kompletten „Groove“ des Songs alleine erzeugt, um Belew und Fripp genügend Raum fürs Experimentieren zu geben. Auch ist bei ganz genauem Hinhören (obwohl ich es in den meisten Songs trotzdem erst bemerkt habe, als ich die Instrumente bei Live-Aufnahmen auch optisch verfolgen konnte) häufig der Stick für Gitarren-Passagen verantwortlich, ohne dabei die Bassparts zu vernachlässigen. Levin kann also gut und gerne als dritter Gitarrist der Band bezeichnet werden.

Für mich ist „Discipline“ insgesamt das lebendigste Album der New Wave-Crimsos. Die normaleren Nummern pulsieren in einer Weise, wie sie sich weder auf „Three Of A Perfect Pair“ noch auf „Beat“ gleichartig wiederfindet. Auch finden sich hier Songs, die deutlich stärkeren, individuelleren Charakter und mehr Hitpotenzial aufweisen, als die Songs der Folgealben aufweisen können. Das Albumgefühl ist dadurch bedingt zwar nicht ganz so präsent wie bei dem folgenden „Beat“, trotzdem wirkt das Album noch deutlich schlüssiger und homogener als „Three Of A Perfect Pair“. Wer die Talking Heads in einer technisch extremen, aber dennoch entschlackteren, luftigeren Version hören will (ich weiß, vermutlich nicht die Überzahl der Metal1-Leser) ist hier richtig. Aus Metal-Sichtweise zwar sicherlich die am schwersten zu erschließende Phase der Band, doch auch sie stellt wieder einen Schmelztiegel verblüffender Ideenfülle und Musikalität dar.

Wertung: 9 / 10

Publiziert am von Marius Mutz

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