Interview mit Christin und Daniel von Haeresis

Die Berliner Post-Black-Metal-Band HAERESIS hat mit „Si Vis Pacem Para Bellum“ ein bockstarkes Debüt vorgelegt. Diesen Erfolg haben wir zum Anlass genommen, um mit Christin (Vocals) und Daniel (Gitarre und Keyboards) über den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, Frauen im Black Metal und brennende Behausungen zu sprechen.

Hallo Christin, hallo Daniel! Vielen Dank für eure Zeit. Euer Debüt „Si Vis Pacem Para Bellum“ hat bei uns mächtig Eindruck hinterlassen. Erstmal herzlichen Glückwunsch zu 9 von 10 Punkten unsererseits. Als Einstieg: Erzähl uns doch mal kurz, wer ihr seid.
Danke an dieser Stelle an euch!

Seit eurer Gründung hat es bis zu eurem Debüt „Si Vis Pacem Para Bellum“ noch neun Jahre gebraucht. In diesem Zeitraum habt ihr eine gleichnamige Demo, die EP „…To Drown“ und eine Split mit KRATT veröffentlicht. Das ist natürlich nicht unüblich. Was trotzdem spannend ist: Wie kam es denn dazu, dass ihr euch für das Album so viel Zeit genommen habt?
Von 2016 bis 2018 lag die Band wegen gesundheitlicher Probleme von Daniel erstmal auf Eis, später folgten mehrere Line-up-Wechsel. Als wir 2018 in der heutigen Konstellation zusammenkamen, stand gerade die Veröffentlichung der EP „To Drown…“ an, dann kam Corona und alles stand still. Dazu kamen die Verpflichtungen des Alltags und die Entscheidung, unsere Bandkasse zu Beginn des Invasionskriegs in der Ukraine komplett für Hilfsgüter zu spenden. Richtig Fahrt nahm das Ganze erst 2024 auf, als der Kontakt zwischen Daniel und Dave Otero zustande kam. Dave hat uns angeboten, im August 2024 bei ihm einen Slot fürs Mixing und Mastering freizuhalten. Ab da hatten wir ein klares Ziel vor Augen und außerdem jede Menge Zeitdruck.

Für jene, die des Lateinischen nicht mächtig sind – was bedeutet der Titel eures Albums?
„Si Vis Pacem Para Bellum“ bedeutet: Wenn du Frieden willst, bereite dich auf Krieg vor. Wir verstehen das sowohl introspektiv als auch politisch: als Aufforderung zu emanzipatorischen Kämpfen, aber auch in Bezug auf die globale Krisenlage. Uns geht es darum, das Konzept des passiven Erduldens infrage zu stellen. Gewalt still hinzunehmen hat noch nie Befreiung gebracht, sondern nur bestehende Macht- und Ungleichheitsverhältnisse stabilisiert.

Der Albumtitel an sich passt ausgesprochen gut zum Gewicht eurer Musik. Subjektiv fühlt es sich so an, als würden wir uns heute eher einem „Ende der Welt“ annähern als einem globalen Frieden. Wie fühlt sich das für euch an?
Wir teilen dieses Gefühl. Die Zeit, in der wir leben, macht es schwer, hoffnungsvoll nach vorne zu blicken. Gleichzeitig darf das nicht bedeuten, dass Aufbegehren sinnlos ist. Widerstand lohnt sich auch dann, wenn man nicht ans Gewinnen glaubt.

Als ihr euch 2016 gegründet habt, habt ihr da gedacht, dass es ein Album wie „Si Vis Pacem Para Bellum“ als Werk und letztlich auch emotionalen Katalysator jemals brauchen würde?
Ja. Schon damals war spürbar, dass autoritäre Bewegungen stärker werden. Vieles von dem, was wir heute erleben, war bereits deutlich absehbar. Insofern überrascht uns die Entwicklung nicht, auch wenn sie bitter ist.

Besonders begeistert haben mich auch die Themen, die ihr auf „Si Vis Pacem Para Bellum“ behandelt. Aber bevor wir darauf ausführlicher eingehen, erzählt doch mal ein wenig über den Entstehungsprozess eures Albums. Das hat ja, wenn ich richtig informiert bin, drei Jahre in Anspruch genommen…
Wir haben lange gebraucht, weil wir aus einer Vielzahl von Ideen die richtigen Bausteine herausfiltern mussten. Einige Songs liegen bis heute als Rohfassungen sozusagen auf Vorrat herum. Auch das Konzept wurde mehrfach verändert und geschärft. „Echoes of Ashes“ etwa hatte ursprünglich einen völlig anderen inhaltlichen Ansatz und wurde im Verlauf komplett umgearbeitet.

Läuft bei euch noch alles im Proberaum zusammen oder entstehen eure Songs vorwiegend remote? Je nachdem, wie das abläuft, was für Vor- und Nachteile seht ihr da?
Meist entstehen die Grundgerüste im Homestudio von Daniel, oft schon recht weit ausgearbeitet. Ideen aus dem Proberaum fließen aber ebenfalls ein. Danach arbeiten wir gemeinsam an den Details: Arrangements, Übergänge, Längen. Bei den Texten ist es ähnlich: Christin schreibt die weit ausgearbeiteten Entwürfe, am Ende feilen wir gemeinsam an Formulierungen und Rhythmik.

Eure Musik setzt sich aus Black Metal, Post Rock und Score-Elementen zusammen. Würde man bei HAERESIS nach non-metallischen Inspiratoren suchen: Was oder besser, wen würde man da finden?
Vor allem Soundtrack-Komponisten wie Hans Zimmer oder Clint Mansell. Sie schaffen Klanglandschaften, die fast architektonisch wirken, und dieser Anspruch inspiriert uns sehr: Das ganze Album ist übrigens zweiteilig aufgebaut – die Synth-Spuren und zusätzlichen Klangelemente, die hier recht weit nach hinten gemischt sind, funktionieren auch durchaus als eigenständiges Ambient-Album. Hier und da finden auch Basinski, Ólafur Arnalds oder klassische Komponisten ihren Weg in die Musik, was aber eher an der Auswahl der Tonarten und Noten erkennbar ist als in den eigentlichen Songs.

Und in die entgegengesetzte Richtung – wer inspiriert euch, wenn es um die extremen Anteile in eurer Musik geht?
Für Daniel sind hier vor allem NEUROSIS wichtig. Nicht primär musikalisch, sondern in ihrer Kompromisslosigkeit, einen eigenen Sound zu entwickeln. Für Christin sind es vor allem Künstlerinnen wie Caro Tanghe, Chelsea Wolfe, Emma Ruth Rundle, Kristin Hayter oder Kristina Esfandiari. Besonders wollen wir aber auch Bands aus unserem direkten Umfeld wie Machukha oder Narrat hervorheben, die uns durch ihre Kreativität und ihre musikalischen Fähigkeiten inspirieren.

Gerade der Black Metal hat ja ein akribisches Szenekommissariat und gleichzeitig ein Problem mit rechtsextremen Bands. Erkennt ihr da einen Zusammenhang und wenn ja, wie wirkt das auf euch?
Wir verstehen uns nicht in erster Linie als Black Metal. Trveness und Gatekeeping sind für uns wirklich nicht von Belang. Wichtiger für uns ist: Das Credo „Unpolitisch“ gibt es so schlicht nicht. Wer sich dennoch so labelt, nutzt wohl eher ein Privileg, das im Metal bzw. Black Metal vor allem weißen Männern vorbehalten ist.

Auch Gesellschaftskritik ist heute im Metal so üblich, wie sie ein raues Pflaster darstellt. Eure Texte beinhalten mutige (und wichtige) Themen. Über zwei Songs möchte ich da genauer sprechen. Zum einen geht es um „Echoes of Ashes“, den Eröffnungstitel eures Albums. Ich will nicht zu viel vorwegnehmen, deshalb erzählt mal, worum es da geht und warum euch das besprochene Thema am Herzen liegt.
Es geht um den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Für uns ist klar: Wir verstehen Kunst als grundlegend politisch. Zu schweigen heißt, bestehende Verhältnisse zu stabilisieren. Wir haben uns entschieden, nicht zu schweigen, sondern genau diese Gewaltverhältnisse sichtbar zu machen: ob es um Kriege im geopolitischen Sinne oder um den Krieg gegen Frauen* durch das Patriarchat im Allgemeinen geht.

Gerade zur Situation um diesen Krieg will sich nicht jeder äußern. Viele Stimmen sagen, Musik solle nicht politisch aufgeladen sein. Sorgt euch das?
Wir haben den Eindruck, dass es gar nicht so viele Stimmen sind, die behaupten, Musik solle unpolitisch sein. Es sind eher wenige, dafür sehr laute. Gerade online wirkt das dann schnell größer, als es ist.
Metal war schon immer kritisch und politisch, er hat Ungerechtigkeiten seit jeher thematisiert. Natürlich muss nicht jede Band politische Texte schreiben, aber daraus folgt nicht, dass Musik frei von Haltung sein sollte. Für uns ist entscheidend, dass man sich jenseits der Kunst auf Augenhöhe begegnen und feststellen kann, ähnliche Werte zu teilen.
Wir haben uns bewusst entschieden, diese Themen aufzugreifen, weil es uns wichtig ist, diese Gewalt sichtbar zu machen. Letztlich: Welchen Zweck hat Kunst, wenn nicht den, aufzubegehren? Und um eine Sache auch einmal ganz klar zu sagen: Antifaschismus und der Kampf gegen Herrschaftssysteme ist nicht einmal per se „politisch“, sondern der Minimalkonsens, auf den sich alle Menschen – vor allem in einer vorgeblichen Gegenkultur – einigen sollten: Man kann eben kein Rebell sein und gleichzeitig Stiefel lecken.

Ihr habt für „Echoes of Ashes“ mit Yaryna Borynets und Natalya Androsova zusammengearbeitet. Beide stammen aus der Ukraine. Wie kam die Zusammenarbeit zustande und welchen Anteil haben die beiden an dem Song?
Natalya kannten wir bereits über Machukha, denn Schütte hat auf ihrem Album „Mochari“ die Drums eingespielt und Daniel war für einige Zeit am Bass zugange. Natalya hatte freie Hand beim Schreiben ihrer Lyrics für „Echoes of Ashes“. Yaryna ist eine klassisch ausgebildete Sängerin, sie hat ihren Vocal Part selbst komponiert. Uns war wichtig, dass an diesem Song eben Stimmen derjenigen beteiligt sind, die unmittelbar vom Angriffskrieg betroffen sind. Alles andere hätten wir als anmaßend empfunden.

Den Song „Eradicate Taciturnity“ bezeichnet ihr als feministischen Aufschrei. Das ist gerade heute etwas sehr Wichtiges. Andererseits wird der Wunsch nach dem „Damals“ derweil immer größer. Das betrifft die Stellung der Frau genauso wie veraltete Rollenbilder. Was macht das mit euch?
Es ist ein bekanntes Muster: In Krisenzeiten wird die Vergangenheit verklärt, inklusive sogenannter „klassischer“ Rollenbilder. Bewegungen wie die „Trad Wifes“ sind dafür symptomatisch. Was im Umkehrschluss meist bedeutet, Frauen* das Recht auf Selbstbestimmung zu nehmen und eben auch alle Menschen auszublenden, die nicht in dieses binäre Geschlechterverhältnis passen.

Wäre eine Antwort auf den negativen Trend „neuer Männlichkeit“ vielleicht auch eine noch größere Bühne für Frauen im Extreme Metal? Für den Black Metal hat da ja besonders die verstorbene Maria „Tristessa“ Kolokouri mit ihrer Band ASTARTE sehr viel getan…
Auf jeden Fall. Es liegt nicht am Können, sondern an Strukturen, die Frauen* deutlich mehr Hürden in den Weg stellen. Christin hört nach Konzerten regelmäßig Sätze wie: „Für eine Frau echt nicht schlecht“. Das zeigt, wie tief die Unterschiede in der Wahrnehmung sind. Maria ‚Tristessa‘ Kolokouri hat mit ASTARTE gezeigt, dass Frauen* im Black Metal keine Randerscheinung, sondern eine treibende Kraft sein können. Sie war nicht nur Sängerin, sondern Multiinstrumentalistin, Songwriterin und kreative Mitte der Band.

Aristoteles soll Frauen für „verstümmelte Männer“ gehalten haben. Was würdet ihr ihm hinsichtlich dieser Ansicht entgegnen?
Aristoteles’ Sicht auf Frauen zeigt vor allem, dass auch große Denker ihrer Zeit blinde Flecken hatten (und haben) und dass wir seine Philosophie nicht losgelöst von den Machtverhältnissen lesen dürfen, in denen sie entstanden ist. Solche Narrative sind uns auch aus der Bibel bekannt, Eva aus der Rippe Adams und so. Relevanter für uns sind Philosophinnen wie Simone de Beauvoir, die patriarchale Strukturen analysiert hat, oder bell hooks, die über Macht und Unterdrückung im Kontext von Liebe und Gemeinschaft schrieb.

Die sehr ernste textliche Ausrichtung von „Si Vis Pacem Para Bellum“ wird ja nicht nur an der Musik und am Gesang gespiegelt. Das Cover der Platte ist ebenso eine wichtige wie ästhetische Komponente. Wer war dafür verantwortlich und was hat euch als Band dahingehend inspiriert?
Die Grundidee kam von Daniel, umgesetzt hat sie Nuno Zuki. Wir waren von seinen Ölpastellarbeiten, die wir auf seinen Socials sahen, sofort überzeugt, und das Ergebnis spricht für sich: Nuno hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Das Coverartwork ergänzt die Musik inhaltlich und ästhetisch sehr gut: Verweise auf Religion, Krieg, Frieden und den Kampf, den das Symbol des Friedens selbst am Kreuze noch führt.

Bei all dem, was in der Welt gerade vor sich geht: Glaubt ihr, wir kriegen da als Menschheit noch die Kurve oder sollten wir uns so langsam auch in brennenden Häusern gemütlich einrichten?
Kurve kriegen? Wir glauben nicht. Menschen sind zwar zu großartigen Dingen fähig, vor allem wenn sie zusammenarbeiten. Aber wir sehen viele Kipppunkte als längst überschritten. In vielen Teilen der Welt ist die Zerstörung längst Realität, wir erleben sie nur bisher (noch) aus einer privilegierten Distanz.

Wenn ihr jetzt einen Appell an die Gesellschaft richten und danach für immer schweigen müsstet, was würdet ihr sagen?
Wir dürfen uns nicht spalten lassen, sprecht miteinander und bekämpft nicht die Leute, die in den wichtigen Punkten auf eurer Seite sind. Wir müssen uns immer fragen: Wer ist der eigentliche Gegner? Imperfect allies are not enemies!

Ich danke euch herzlich für eure Zeit. Danke auch noch einmal für dieses großartige Album. Zum Abschluss möchte ich mit euch noch unser abschließendes Metal1-Brainstorming machen:
Hedwig Dohm: Eine der ersten radikalen Feministinnen im deutschsprachigen Raum. Absolut relevant – warum lernt man nichts über sie in der Schule?
Robin Carolan: Wenn du ihn hier nicht genannt hättest, wäre er wahrscheinlich bei den „anderen“ Einflüssen gelandet: Carolan schafft es wie kaum ein anderer, die Atmosphäre von Eggers’ Filmen einzufangen! Gerade „Nosferatu“ ist ein Meisterwerk und meiner Meinung nach macht die Musik bei Filmen oft mehr aus als die Bilder – hier ist beides auf dem absolut höchsten Niveau!
Vinyl, CD oder Spotify?: Vinyl und Tapes! Bandcamp statt Spotify.
Neue Wehrpflicht: Schwierig! Pflicht ist immer problematisch. Aber ja, die aktuelle Lage zwingt uns, die eigene Haltung hier neu zu überdenken.
HAERESIS in 10 Jahren: etwas grauer, noch mehr Rückenschmerzen, aber hoffentlich immer noch unterwegs und genauso wütend wie jetzt.

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Dieses Interview wurde von Christin (Vocals) und Daniel (Gitarre, Synths) gemeinschaftlich beantwortet. Wir haben daher bei den Antworten auf eine separate Namensnennung verzichtet.

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Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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