Interview mit Viktor Medvedev & Vladimir Mikhailov von Seven Sins (Kasachstan)

Viktor Medvedev und Vladimir Mikhailov von der Symphonic-Black-Metal-Band SEVEN SINS erklären, warum alles eine Frage der Perspektive ist – beispielsweise, ob man am östlichen Rand Kasachstans oder in der Mitte eines Kontinents lebt – und wie es um den Metal in ihrer Heimat bestellt ist.

Wie wichtig ist Musik für die Leute in Kasachstan generell?
Hier in Kasachstan – wie in der ganzen früheren Sowjetunion – spielt Musik allgemein keine große Rolle. Es ist viel prestigeträchtiger, in einer Fabrik zu arbeiten als Musiker zu sein.

Welche Musik ist in Kasachstan besonders populär?
Was Popularität angeht, ist es wohl, wie überall anders auch, Pop-Musik – deswegen heißt die ja so. Genauer gesagt russische Pop-Musik und russischer Rap. Hier gibt es nur sehr wenige Metalheads, aber immerhin gibt es welche…

Du kommst aus Öskemen im Osten Kasachstans. Wie geht es euch am östlichen Rand von Kasachstan als Metal-Band?
Uns geht es gut hier. Aber bei einer Kälte wie der, die wir hier gerade haben, denkt man nicht darüber nach, wie es einem geht, sondern wie man überlebt. Der Winter ist noch nicht einmal richtig da und wir haben draußen schon – 35 ° Celsius auf dem Thermometer stehen. Geographisch gesehen liegt unsere Stadt sogar in der Mitte des Kontinents! Wir sind weit ab von den großen Gewässern, aber wir haben Berge, Wälder, Kälte und viel Schnee – was braucht man mehr, um Metal zu machen?

Equipment zum Beispiel. Wie steht es um die Verfügbarkeit von Ausrüstung und Tonstudios?
Wir leben im Zeitalter der Hochtechnologien – da unterscheidet sich Kasachstan nicht vom Rest der Welt. Wir können unser Equipment überall in der Welt kaufen, aber es gibt hier natürlich auch Musik-Läden für Instrumente. Nur die Geschäfte für Tonträger haben mittlerweile alle dicht gemacht – der Verkauf physischer Tonträger ist bei uns einfach nicht mehr relevant. Auch Tonstudios gibt es hier viele, die auf sehr hohem Level arbeiten. Eines davon ist in unserer Stadt – dort haben sie Equipment für wirklich jeden Geschmack. Unsere Songs schreiben wir in unserem eigenen, bescheidenen Studio, in das wir ständig Geld investieren, um die Qualität unserer Aufnahmen zu verbessern.

War es schwierig, interessierte Musiker für eine Band zu finden?
Nein, auch das ist kein Problem – es kommt einfach auf die Anforderungen an. Musiker gibt es bei uns sehr viele, aber es gibt nur wenige, die bereit sind, der Musik wirklich ihr Leben zu widmen.

Wie steht es generell um die Metal-Szene in Kasachstan – gibt es so etwas überhaupt?
Klar gibt es hier eine Metal-Szene, wenn sie auch ihre Schwächen hat. Wir haben hier nur sehr wenige Leute, die bereit sind, lange Zeit für eine Idee zu arbeiten, ohne einen Cent dafür zu bekommen. Deswegen wird Musik – vor allem Metal – hier beinahe nicht unterstützt. Aber w
ie in jedem anderen Land gibt es auch hier Clubs, Konzerte und Metal-Fans. Darin unterscheidet sich Kasachstan nicht vom Rest der Welt. Wir haben hier auch viele Bands, aber nur einige wenige sind erwähnenswert: Tishina, ZaRRaZa, Doubleface, Indifference, Zero Void und Day Of Defeat – diese Bands machen ernstzunehmende, erwachsene Musik. Sie haben unterschiedliche Ziele und Ideen, aber sie alle haben einen wichtigen Beitrag zur Musik Kasachstans geleistet.

Gibt es bei euch Konzerte lokaler Bands und gehen die Fans hin?
In 99 Prozent der Fälle haben wir hier nur Konzerte lokaler Künstler. Zu einer Club-Show einer solchen lokalen Band kommen hier im Schnitt rund 300 Besucher – ich denke, auch das ist ganz normal für Konzerte auf diesem Level, also wie überall auf der Welt. Bands von auswärts haben wir hier nur sehr selten, aber es ist auch kein Problem für uns, zu einem Konzert einer berühmten Band zu kommen. Zum Beispiel kommen viele Bands, die Russland betouren, nach Novosibirsk, das ist von uns aus nur eine 17-stündige Fahrt – um nach Russland zu reisen, brauchen wir kein Visum.

Wie reagieren „normale“ Leute in Kasachstan auf Metalheads?
In unserem Land sind die Leute sehr freundlich zueinander – unabhängig von deinem Musikgeschmack oder Glauben.

Bedauerst du manchmal, dass ihr aus Kasachstan kommt und deswegen nicht die gleichen Möglichkeiten wie eine Band aus Europa habt, was Konzerte und Festivalshows angeht, oder denkst du, eure Herkunft ist auch ein Vorteil, weil sie euch zu etwas Besonderem macht?
Wir lieben unser Land! In der Zukunft werden wir auch auf europäischen Festivals spielen, versprochen. Um als Touristen dorthin zu reisen ist es leider zu teuer. Aber ich denke, die Herkunft einer Band ist nicht von Belang – das Material ist es, was zählt.

Die Infrastruktur in Kasachstan soll nicht die beste sein. Wie gut sind die anderen Städte für euch erreichbar und habt ihr dort schon gespielt?
Mir scheint, du hast zu oft „Borat“ geschaut. (lacht) Wir sind ein sehr gut entwickeltes Land, überallhin fliegen Flugzeuge oder es fahren Züge, Busse und SETs. Es bereitet keine Probleme, irgendwo hin zu kommen. In den letzten zehn Jahren haben wir schon viele Städte in unserem Land besucht. Und über Facebook kommunizieren wir mit Metalheads aus der ganzen Welt. Das Internet bringt die Leute aus der ganzen Welt zusammen – das ist wirklich cool.

Wird das Internet in Kasachstan zensiert, und ist Metal davon betroffen?
Nur Pornos werden hier zensiert. Aber zum Glück spielen wir Metal.

Gibt es mit Metal generell ein Problem in Kasachstan – gibt es beispielsweise Gesetze, die Metalheads negativ beeinflussen, oder Reglementierungen, die euch verbieten, über jedes beliebige Thema zu texten?
In keinem Teil der Welt kannst du über alles singen, worüber du singen willst. Beispielsweise sollten wir keine politischen Themen anschneiden …

Wie bist du selbst mit Metal in Berührung gekommen, was fasziniert dich an dieser Musik?
An Metal liebe ich die Energie und die Kraft. Wir können Dinge sagen, die man nicht mit einfachen Worten ausdrücken kann. Wie ich zum Metal gekommen bin? Das ist einfach: Die 90er waren in den Ländern der kollabierten Sowjetunion sehr hart; Ich kann das mit zwei Worten beschreiben: Ziemlich Scheiße. In dieser Zeit, als alles schlecht war, kam der Metal in unser Leben. Es gab einen Popularitätsaufschwung für harte, westliche Musik. Jeder Teenager hat lange Haare und ein Shirt seiner Lieblingsband getragen. Bei mir war das Ahuenno – sehr cool! Jetzt, wo wir erwachsen geworden sind, können wir mit Fug und Recht sagen, dass unsere Jugend von Metal und der Tristesse der damaligen Zeit durchtränkt war.

2008 habt ihr dann SEVEN SINS als Deathcore-Band, gegründet – mittlerweile macht ihr Symphonic (Black) Metal. Was hat euch zu diesem Genrewechsel bewegt?
Ganz zu Anfangs haben wir Alternative gespielt, dann haben wir Death Metal mit Core-Elementen gemacht. Aber das ist jetzt nicht mehr wichtig. Unsere Musik wird mit uns erwachsen. Was als nächstes kommen wird, wissen wir selbst noch nicht. Aber momentan bietet uns der Symphonic Black / Death Metal alle Möglichkeiten, das zum Ausdruck zu bringen, was wir sagen wollen.

Was hat euch für eure neuen Songs beeinflusst, welche Bands haben euch inspiriert?
Was das neue Material angeht, inspiriert uns vor allem die Natur hier in der Gegend mit ihrer typischen Härte. Die Kälte, die Berge und Wälder – all das ist grausam, aber auch so verdammt romantisch. Ich denke, Norweger werden diese düstere Romantik, von der ich spreche, nachvollziehen können. Als wir an „Due Diaboli Et Apocalypse“ gearbeitet haben, haben uns die Geschichte des Mittelalters, Esoterik und die massenweise ausgesprochenen Verbote von Metal-Konzerten in Russland beeinflusst. Ja, da gibt es ein paar Parallelen: Was das angeht, hat man das Gefühl, dass Russland wieder ins Mittelalter zurückgefallen ist.
Wenn wir über Musik sprechen, die uns beeinflusst hat, so ist das alle Musik – unabhängig vom Genre. In jeder Art von Musik gibt es etwas zu entdecken. Ich verstehe Leute nicht, die nicht mehr als ein Genre erfassen. Wer kann behaupten, dass Eminem schlechten Rap oder Michael Jackson schlechte Pop-Musik gemacht hätte? Das Wichtige ist doch die Seele der Musik. Unsere Arbeit wurde von vielen guten Bands beeinflusst – das reicht von Enigma bis Necrophagist.

In wie weit würdest du sagen, hat euch auch eure Herkunft geprägt?
Wie gesagt: Das Land tut nichts zur Sache. Aber die Natur unserer Heimat hat sicher ihren Teil beigetragen.

In welcher Sprache textet ihr und warum?
Unsere Songs sind auf Russisch, weil das unsere Muttersprache ist und wir all das, was in uns ist, nur auf Russisch zum Ausdruck bringen können. Für die Zukunft planen wir aber auch zweisprachige Editionen in Englisch und Russisch.

Siehst du die Sprache als Alleinstellungsmerkmal oder eher als Nachteil, weil die Leute in der westlichen Welt eure Texte nicht verstehen können?
Wir haben unser ganzes Leben lang westliche Musik gehört, ohne zu verstehen, wovon die Bands singen. Wir haben nach Texten gesucht, haben sie übersetzt und so weiter. Jetzt ist es Zeit, dass ihr unsere Texte übersetzt. Das ist eine Interaktion zwischen Musiker und Hörer – dieser Prozess hat etwas reizvolles. Man hört den Song nicht nur, man vollzieht eine ganze Anzahl an Handlungen, die sich darauf beziehen: Den Text suchen, übersetzen, lesen, durchdringen – wirkliches Verstehen ist viel höher einzuordnen und geht viel tiefer als gewöhnliches Hören.

Euer neues Album heißt „Due Diaboli Et Apocalypse“. Worum geht es auf dem Album und würdest du SEVEN SINS als anti-religiöse Band bezeichnen?
Die Texte von „Due Diaboli Et Apocalypse“ sind eine zusammenhängende Geschichte aus der Perspektive eines einzigen Charakters, der über die Düsternis des Mittelalter erzählt und die Kirche dieser Zeit ebenso verflucht wie all die anderen Geschehnisse, die in den Wänden dieser politischen Maschinerie passieren. Wir sind nicht nur gegen Religion, wir sind gegen all die dummen Dinge, die der uns umgebenden Welt schaden.

In Kasachstan gibt es viele verschiedene Religionen – welche Glaubensrichtung ist am weitesten verbreitet und wie steht ihr generell zum Thema Religion?
Der Islam sowie die Orthodoxe Kirche sind hier vorherrschend. Was wir über Religion denken? Zum Glück hat die Religion in unserem Land nicht so viel Macht wie momentan in Russland. Und obwohl mit dieser Regelung in Kasachstan alles in Ordnung ist, betrachten wir Religion als Instrument, Leute zu steuern. Auch hier tut das Land nichts zur Sache – Grenzen sind nur eine Erfindung der Menschen. Religion ist eine Krankheit, die die Leute in vielen Ländern der Welt befallen hat und immer noch befällt.

Was bedeutet für dich das Metal-Zeichen, die „Devil Horns“?
Es ist die andere Seite der Medaille.

Vielen Dank für deine Zeit und Antworten. Zum Abschluss ein Brainstorming:
Metal:
Eine Art zu sprechen.
Russland: Ein großartiges Land, in dem wir aber nicht akzeptiert werden.
Deine Lieblingsband: Ich habe keine dauerhafte Lieblingsband.
Borat: Lügen.
Schnee-Leopard: Wir haben hier ein Bier, das nach ihm benannt ist, und er ist das Wappentier eines kasachischen Hockey-Teams. Außerdem ist er in unserem Land weit verbreitet.
SEVENSINS in zehn Jahren: Wacken! (lacht)

Die letzten Worte gehören dir:
Lest das Interview nochmal. Und Danke dafür!

Am 02.01.2018 erscheint das Buch zur Serie! Alle Informationen dazu findet ihr hier!

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