Interview mit Jonathan Meiburg von Shearwater

Vor mittlerweile gut zwölf Jahren gegründet, gehören SHEARWATER zu den interessantesten Bands der Indie-Rock-Szene. Zwischen ihrem großartigen siebten Album „Animal Joy“ und dem bereits in Arbeit befindlichen Nachfolger veröffentlichte die Band aus Texas nun mit „Fellow Travellers“ ein Cover-Album der besonderen Art.
Bandkopf Jonathan Meiburg über das Album-Konzept, die Licht- und Schattenseiten des Tourlebens und neue Zwänge im Social-Media-Zeitalter.

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Auf eurem neuen Album, „Fellow Travellers“, geht es vor allem um das auf Tour sein. Bist du selbst noch gerne mit der Band unterwegs und was bedeutet es dir, mit SHEARWATER die Welt bereisen zu können?
Ich mag es noch, ja, auch wenn es nach mehr als zehn Jahren etwas an Romantik eingebüßt hat – aber es wäre ja auch verrückt, wenn dem nicht so wäre, oder? Aber Musik vor Leuten zu spielen, die dich sehen wollen, verliert seinen Reiz nie. Ich wünschte mir nur, es wäre manchmal etwas weniger Arbeit, das überhaupt möglich zu machen … aber tut das nicht jeder?

Bedeutet touren für dich nur Konzerte spielen, oder versucht ihr, auch etwas von den Orten zu sehen, in die euch die Musik bringt?
Für gewöhnlich ist dafür nicht genug Zeit, leider. Vielleicht sind wir eines Tages eine der Bands, die nicht jeden Tag ein Konzert spielen müssen, wenn sie auf Tour sind – das fände ich wirklich großartig – aber momentan ist das einfach nicht möglich.

shearwater 04Wenn man auf Tour ist, sieht man andere Aspekte, Orte und Leute als wenn man nur Urlaub macht. Würdest du sagen, dass es die ehrlichere Art ist, ein Land oder eine Stadt kennen zu lernen?
Ich bin generell kein Freund davon, irgendwo ein Tourist zu sein – insofern würde ich sagen, dass ich auf Tour sein, also arbeiten, als die authentischere Art, einen Ort zu besuchen, bezeichnen würde – einfach, weil du etwas geben kannst und nicht nur da bist, um etwas zu nehmen.

Es ist schön, wenn man einen Grund hat, irgendwo zu sein. Aber ich hätte auch nichts dagegen, wenn wir dabei etwas weniger Zeit im Van verbringen müssten; manchmal fühlt sich auf Tour sein auch kaum noch nach Leben an.

Was waren die beeindruckendsten Orte, an die dich SHEARWATER geführt hat?
Hmm. Unsere Show letztes Jahr in Istanbul war auf alle Fälle beeindruckend; Athen genauso, wenn auch vor allem deshalb, weil es ziemlich beängstigend war … damals lag Tränengas in der Luft, als wir die Halle verließen. Aber wir sind so viele Kilometer gefahren, dass das alles ziemlich verwischt, um ehrlich zu sein.

Im Begleittext zu eurem neuen Album „Fellow Travellers“ beziehst du dich in Form des Zitates „As regards a fellow-traveller, the question always comes up – how far will he go“ („Literature and Revolution“, 1924) auf Lew Trotsky (A.d.Red: „Bezüglich des Sympathisanten kommt immer die Frage auf – wie weit wird er gehen“). Hast du einen konkreten Bezug zu dessen Schriften, oder warum hast du ausgerechnet dieses Zitat ausgewählt?
Ich habe dabei nur frech mit der Bedeutung des Begriffs „Fellow Traveller“ aus der McCarthy-Ära gespielt.
(A.d.Red: Amerikaner, die mit dem Kommunismus der Soviet-Union sympathisierten, wurden damals negativ konnotiert als „Fellow Travellers“ bezeichnet)

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Das Konzept hinter „Fellow Travellers“ war, viele der Bands, mit denen ihr auf Tour wart, zusammen zu bringen, indem ihr gemeinsam mit Musikern der jeweils anderen Bands ihre Songs covert. Wie ist diese Idee entstanden?
Jonathan Poneman von Sub Pop hat den Vorschlag gemacht, als ich erwähnte, dass wir über eine EP nachdenken. Und dann haben wir das einfach mal weitergesponnen. Dabei kam mir dann die Idee, dass ich die Bands fragen will, ungefähr die Hälfte selbst beizutragen, aber ich wollte nicht, dass sie ihre eigenen Songs spielen oder uns implizit dabei unterstützen müssen, das zu tun. Also kam ich auf den Gedanken, dass es vielleicht ganz witzig wäre, wenn sie jeweils bei den Songs der anderen etwas beitragen. Und so war es dann auch.

Wonach hast du die Songs für das Album ausgewählt?
Ich habe mir da tatsächlich eine sehr lange Liste mit Songs gemacht, die ich von den Bands, mit denen wir über die Jahre hinweg auf Tour waren, besonders mag. Das waren so um die dreißig. Dann habe ich mir Gedanken darüber gemacht, welche dieser Songs mit dem kleinen Budget, das wir hatten, am einfachsten aufzunehmen wären und welche ich stimmlich angemessen umsetzen könnte – ich wollte diesbezüglich einfach versuchen, mich so gut in die Songs einzufühlen als irgend möglich.

Würde dich denn umgekehrt ein Album interessieren, auf dem deine Songs von anderen Bands interpretiert werden?
Oh Gott, nein!

shearwater coverAls einzig bekannter Song hat es „Hurts Like Heaven“ von Coldplay auf „Fellow Travellers“ geschafft. Was ist die Geschichte zu diesem Song, wo liegt eure Verbindung zu dieser Band?
Wir haben vier ihrer Shows zu Beginn der „Viva La Vida“-Tour eröffnet. Das war eine bizarre Erfahrung, erschreckend und wunderbar zugleich. „Rook“ war damals grade veröffentlicht und wir waren nicht ansatzweise bereit für eine Performace auf diesem Level; Ich wünschte mir, wir hätten sie in der Bandkonstellation, in der wir letztes Jahr auf Tour waren, supporten können. Aber ich mochte Coldplay und sie waren sehr nett zu uns.

Würde dich ein „normales“ Coveralbum mit bekannten Hits, die dich inspiriert oder beeinflusst haben, auch mal reizen?
Ich glaube nicht, dass ich Lust darauf hätte, ein solches Album zu machen; oder vielleicht haben wir es auch schon, im übertragenen Sinne: immer dann, wenn wir auf Tour mal einen Coversong gespielt haben. Da habe ich auch für die nächste Tour wieder einige im Hinterkopf.

Was darf man sich von der nächsten Tour erwarten?
Dieses Jahr werden wir mit einem etwas anderen Lineup als sonst touren, unsere Freundin Jesca Hoop wird mit von der Partie sein – diesbezüglich bin ich wirklich gespannt. Wir werden ein paar ältere Songs auspacken, die wir schon eine ganze Weile nicht gespielt haben, aber auch ein paar Stücke von unserem nächsten Album spielen, die wir bislang noch nie gespielt haben.

Derzeit arbeitet ihr ja an den Aufnahmen für dieses neue Album – was kann man sich von diesem Werk erwarten und wann soll es erscheinen?
Momentan stecken wir da mitten in den Arbeiten, insofern ist alles noch ein großes, aber interessantes Durcheinander. Ich versuche grade, das Album soundtechnisch und textlich in eine bestimmte Zeitperiode zurückzuversetzen – ungefähr um 1980 herum. Man wird sehen, wie das wird. Aber es wird auf alle Fälle extrem anders klingen als „Fellow Travellers“!

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Über Facebook postest du oft Persönliches und kommunizierst direkt mit deinen Fans. Wie wichtig ist dir diese Art der Interaktion mit deinen Followern?
Ich freue mich sehr, dass viele Leute, die sich für die Band interessieren, ihrerseits interessante, intelligente und unabhängig denkende Leute sind, und es macht Spaß, mit ihnen gelegentlich über gemeinsame Interessen zu reden. Das hier kann auch ein sehr einsamer Job sein, insofern finde ich gut, in der Lage zu sein, hinauszufühlen und zu wissen, dass sie da sind. Wir haben aber auch ein paar sehr zuverlässige Trolle, die auf ihre eigene Art auch wunderbar sind. Aber um ehrlich zu sein mag ich das Wort „Follower“ wirklich nicht sehr gerne, das finde ich gruselig. Ich fühle mich mit Facebook und der Internet-Kultur insgesamt nicht sehr wohl, aber sich dem allen zu verweigern wäre ein Schuss ins eigene Knie, das kann ich mir nicht leisten.

Unlängst hattest du deine Fans auf Facebook sogar Ideen für einen Videoclip brainstormen lassen„Nothing is too crazy (but almost everything is too expensive)“ war die Devise. Hast du über diese Einbeziehung der Fans eine Inspiration bekommen, die du vielleicht sogar umsetzen kannst?
Nein, aber es war wirklich ein interessanter Austausch. Vor allem aber war es ein sehr unterhaltsamer Einblick, wie die Leute über die Band denken.

Würdest du auch Beiträge mit politischem Inhalt über die Band verbreiten, oder bist du der Meinung, dass Musik nicht für politische Statements genutzt werden sollte?
Für was lebt man, wenn nicht dafür, über Politik zu reden? Es ist schwer, das direkt mit der Musik zu tun, ohne auf gewisse Art und Weise zum Phrasendrescher zu werden – und wenn ich irgend etwas hasse, dann sind es platte Phrasen. Ich finde, Kunst sollte immer versuchen, den Dingen auf den Grund zu gehen und nicht nur an der Oberfläche kratzen. Aber ich könnte über Politik reden, bis ich blau werde.

shearwater 05Wie stehst du dann beispielsweise zur gleichgeschlechtlichen Ehe, die derzeit ja auch in den USA eines der großen innenpolitischen Themen ist, und wie ist die allgemeine Stimmung in deinem Umfeld, was dieses Thema angeht?
Ich war freudig überrascht, zu sehen, dass die USA noch zu meinen Lebzeiten ihre irrationale Angst vor Homosexuellen verlieren – zumindest schrittweise. Wenn nichts wirklich bizarres passiert, denke ich, werden wir noch innerhalb des nächsten Jahrzehnts eine Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen und gemischtgeschlechtlichen Ehe erleben – zumindest in den meisten Staaten, von ein paar hartnäckigen Verweigerern einmal abgesehen.
Meine Frau und ich haben im letzten Jahr im Rathaus von New York eine Lebensgemeinschaft eintragen lassen – ich finde das eine wirklich großartige und vernünftige rechtliche Bezeichnung für Paare jedweder Orientierung, die da als ein Resultat des Kampfes für die Ehegleichheit erschaffen wurde.

Die letzten Worte gehören dir – gibt es noch etwas, das du los werden möchtest?
Nein, eigentlich nicht – außer, dass ich mich geehrt fühle, von einem Metal-Magazin interviewt zu werden. Ich glaube, das ist eine Premiere.

Sehr gerne! Zum Schluss ein kurzes Brainstorming:
Government Shutdown:
Verrückt, masochistisch
Deutschland: Schwierig!
Lieblingsverein: Baltimore Orioles
Tourleben: Van. Van. Van. Club. Hotel. Van.
Studioleben: U47 oder SM57?
Lieblingssong: „Anio No Mba Hisoko“ von Mme. Rajory & Rafao
SHEARWATER in zehn Jahren: Blühend. Oder ausgelöscht.
Lieblingsgetränk: Ein doppelter Espresso, wie ihn Thor Harris, Jordan Geiger, oder Mitch Billeaud machen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Artwork und Photos: Kahn & Selesnick

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2 Kommentare zu “Shearwater

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