Festivalbericht: Aqua Maria

16.08.2013 - 17.08.2013 Plattenburg

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Auf den letzten hundert Kilometern unserer Anreise durchquerten wir ein 1000-Seelen-Dörfchen nach dem anderen und ganz am Ende mussten wir sogar noch ein Stück Waldweg hinter uns bringen. Dann endlich waren wir an der Plattenburg angekommen. Die im Mittelalter erbaute Wasserburg ist Besuchern normalerweise für altertümliche Events und die rustikale Gastronomie bekannt. Heute fällt das Ritterturnier aber aus, denn die Plattenburg wird zum schönsten Festivalgelände weit und breit. Zum zweiten Mal nämlich findet das Aqua Maria statt.
Mit wenigen Hundert Besuchern zählt das Stoner- und Psychedelicevent zu den überschaubarsten unter den kleinen Festivals. Dazu kommt, dass an zwei Tagen nur neun Bands spielen. Entspannung pur ist angesagt. Ironischerweise kommen wir aufrund von Staus und Baustellen erst spät am Freitagabend an, weshalb wir prompt den Opener GODSLEEP verpassen.

Die zweite Band des Abends sind die Regensburger CARRION MOTHER. Atmosphäre durch Langsamkeit und Monotonie ist angesagt. Ganz im Stile Ahabs dehnt die Truppe die Songs weit über die Zehnminutengrenze hinaus, um ihren monumentalen Riffs genügend Zeit zur Entfaltung zu geben. Mystische Chöre untermalen das Kopfkino. Sänger Aris, der optisch auch ganz gut in eine Mittelalterband passen würde, schreit aus voller Kehle in den Himmel. Die Jungs wissen, was atmosphärischen Doom Metal ausmacht. Dass gerade auch noch die Sonne untergegangen ist, passt zur Stimmung. Die drei Songs des Debütalbums „Koronis“ werden tadellos zelebriert und sind Fans von Isis oder Ahab schwer zu empfehlen – der Geheimtipp des Festivals.

Danach betreten die Shootingstars der Retrobewegung und damit auch der Freitags-Headliner die Bühne. KADAVAR schaffen es, einen Großteil der Besucher zu versammeln. Das liegt nicht nur daran, dass die Berliner hier fast ein Heimspiel haben, sondern vor allem am Erfolg der beiden ersten Alben. Diese 70er-Jahre-Mischung aus Black Sabbath und Led Zeppelin im extravaganten Outfit trifft überall auf große Beliebtheit. Der Sound ist fett, der Auftritt fehlerlos. Fast schon zu perfekt. Die Kostüme, die geglätteten Haare, die Kippe, die 70 Minuten lang lässig im Mundwinkel hängt. Alles wirkt schön einstudiert. Ja, die Songs sind gut, aber das sind die vieler anderer Retrobands genauso. Was mir bei KADAVAR fehlt, ist spürbare Leidenschaft. Gerade mal zwei Jahre nach Bandgründung wirkt die Truppe schon durch und durch routiniert. KADAVAR schaffen es leider nicht, mich in ihren Bann zu ziehen. Schade eigentlich.

Die Atmosphäre am Campinggelände, auf dem nur ca. 200 Besucher ihre Zelte aufgeschlagen haben, können wir am nächsten Tag ausgiebig genießen, weil erst um ca. 17 Uhr der Tag mit TEMPEL eröffnet wird. Zusammen mit Carrion Mother stellen die Erlangener die Düsterfraktion des Festivals. Im Sonnenschein haben es solche Bands nicht leicht, TEMPEL machen ihren Job trotzdem ganz gut. Der schleppende Doom Metal mit Hang zu psychedelisch-atmosphärischen Ausflügen hat zwar noch nicht allzu viele Besucher aufs Gelände gelockt, aber dass Gitarrist Crazy Wojtek klasse Riffs aus dem Ärmel schütteln kann, hat er auch bei seiner anderen Band Obelyskkh schon oft unter Beweis gestellt. Auch wenn beide Bands im Stoner-Doom Bereich angesiedelt sind, sind Tempel nicht annähernd so mitreißend und abwechslungsreich. Parallelen sind dennoch deutlich.

Danach rocken SHE LOVES PABLO die Aqua-Maria-Bühne. Mit astreinem Heavy Rock (der schon besser zur strahlenden Sonne passt) beschallt uns die junge Truppe aus Kroatien. Die tiefe Stimme des Sängers (der sowohl gesangstechnisch als auch optisch gut in eine Grunge-Band aus den 90ern gepasst hätte) strahlt zusammen mit den groovenden Hardrock-Riffs einen unbestreitbaren Coolness-Faktor aus. Der ist so stark ausgeprägt, dass der Band sogar einige Freunde aus der Heimat gefolgt sind, die sich im Publikum deutlich bemerkbar machen. Wegen des markant rollenden „R“ des Frontmanns und der außergewöhnlichen, teils sehr merkwürdigen Keyboardmelodien bleiben SHE LOVES PABLO in Erinnerung. Der Rest der Musik war zwar grundsolide, viel mehr aber nicht.

asd

 

Dem Rock’n’Roll der Kroaten folgen CONTRAVOLTA, die Exoten des Aqua Maria. Selbst beschreiben sie ihre Musik als Drone Funk. Die Grundlage des Sounds stammt aus dem Hardcore/Emocore. Für das, was drum herum aufgebaut wird gibt es keine Grenzen. Allen voran der kleine Sänger ist nicht zu bremsen. Im nerdigen Hosenträger-Outfit rast er entweder über die Bühne oder übt sich an seinem Effektboard. In bester Beatbox-Manier erzeugt er live die verschiedensten Sounds und verwendet sie im Laufe des Auftritts als Samples. Der Wechsel zwischen den experimentellen Ausflügen und den Hardcore-Momenten ist unberechenbar. Diese Dynamik erinnert manchmal sogar an den Refused Klassiker „The Shape Of Punk To Come“.
Zwar trifft diese Musik nicht zu hundert Prozent auf den Geschmack des Publikums, trotzdem ist vor der Bühne jede Menge Action. CONTRAVOLTA scheinen eine treue Fanschar aus Berlin mitgebracht zu haben. Die Band tanzt voll aus der Reihe, was die Fans nicht zu Unrecht abfeiern.

Wo SIENA ROOT ihre Wurzeln haben, ist nach wenigen Minuten Spielzeit klar. Die klassische Rockmusik der 70er und 60er scheinen sie mit der Muttermilch aufgesogen zu haben. Eine Hammondorgel in bester Deep-Purple-Manier treibt die Songs an, auch Uriah Heep lassen grüßen. Dazu kommen Psychedelic-Einflüsse wie Grateful Dead oder Jefferson Airplan. Orientalisch wird es auch noch, denn mit Sitar und Flöte zeigt die Band ihren experimentellen Hang zu mystischen indischen Musik. Sowohl Analog-Nostalgiker als auch Progrockfans kommen auf ihre Kosten. Die Menschen vor der Bühne lassen sich tanzend in den Bann der Schweden ziehen. Immer voller wird es auf dem Gelände, denn die einzige Band, die jetzt noch fehlt sind Colour Haze.

Über die Headliner-Position sollten keine Fragen offen bleiben. Denn COLOUR HAZE ziehen nicht nur am meisten Fans vor die Bühne, sondern haben mit Abstand den fettesten Sound des ganzen Wochenendes. Die Münchener sind die Psychedelic-Institution der deutschen Szene. Sogar das Festival hat seinen Namen einen COLOUR-HAZE-Song zu verdanken. Dieser steht auch ganz am Anfang der Setlist. Der trockene, basslastige Sound nimmt den Zuschauer sofort mit in andere Sphären. Schade ist, dass die Band heute ohne Visuals auskommen muss. Doch auch so bieten die überlangen, teilweise jazzigen Stücke auch so genügend Stoff fürs geistige Auge. Über die Fähigkeiten der Musiker gibt es unter all denen, die die Münchener schon einmal live erlebt haben, keine zwei Meinungen. Auf ihrer letzten Tour haben COLOUR HAZE Abend für Abend Drei-Stunden-Sets gespielt. Heute bleibt es bei knapp 80 Minuten. Alles andere wäre auch anstrengend geworden, denn leichte Kost bieten COLOUR HAZE als Festival-Abschluss bestimmt nicht an.

Dieser Auftritt hat die musikalische Qualität des Festivals noch einmal wesentlich angehoben. Das Line-Up konnte zwar mit Abwechslung punkten, doch nur wenige Bands hinterließen wirklich bleibenden Eindruck. Für 40 Euro im Vorverkauf bzw. 50 Euro an der Abendkasse kann man durchaus mehr erwarten. Auf der anderen Seite der Rechnung steht aber noch die wunderschöne Location an der Plattenburg und die sehr fairen Preise für Getränke und Essen. Wer nur wegen der Musik eine weite Anreise in Anspruch nimmt, könnte am Ende etwas enttäuscht sein. Wer dagegen das Drumherum genauso wichtig findet und die familiäre, entspannte Atmosphäre genießen möchte und einmal einen wirklich sauberen Campingplatz erleben möchte, bekommt hiermit einen Geheimtipp!

Publiziert am von Michael

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