Konzertbericht: Bring Me The Horizon w/ Architects

2011-02-06 München, Backstage Werk

Vor dem ausverkauften Münchner Backstage steht eine riesige Horde Emo-Kids. Volljährig sind sicherlich die wenigsten und da es Sonntag Abend ist, kann man davon ausgehen, dass morgen ein Großteil von ihnen die Schule schwänzen wird. Doch halb so schlimm, denn man lernt ja schließlich fürs Leben – und heute Abend lernen diejenigen, die es nicht längst schon wissen, dass BRING ME THE HORIZON mit ihrer positiven Energie und ihrer enormen Intensität live eine absolute Granate sind.

Gut die Hälfte der Konzertbesucher bibbert noch draußen in der Kälte, während der Opener, TEK ONE, bereits versucht, den Zuschauern in der Halle einzuheizen. Wie beschreibt man den Stil von TEK ONE? Leicht verdaubares Elektronik-Gedudel. Nett, aber nicht mehr. Man könnte genauso gut einfach Game Boy spielen und die Lautstärke voll aufdrehen. Wobei… der Großteil des Publikums an diesem Abend weiß wahrscheinlich nicht einmal mehr, was ein Game Boy ist. Die Begeisterung für den Nintendo-Core auf der Bühne hält sich daher in Grenzen.

Ab Punkt 20 Uhr rocken die US-amerikanischen Metalcorer THE DEVIL WEARS PRADA die Bühne und bringen das letzte Eis zum Schmelzen. Die inzwischen fast komplett gefüllte Halle wird optimal auf das eingestimmt, was an diesem Abend noch folgen soll. Stilistisch gesehen sind die Jungs aus Ohio mit ihren christlichen Texten eine großartige Ergänzung für diese Tournee – und auch wenn dies der letzte Gig der Tour ist, so sieht man ihnen absolut keine Ermüdungserscheinungen an. Im Gegenteil: Vor allem der absolut durchgeknallte, permanent wild herumhopsende Keyboarder wirkt, als könne er problemlos noch ein Dutzend Gigs spielen – am Stück! Die Setlist ist mit sieben Songs zwar kurz, dafür aber sorgsam ausgewählt und gespickt mit den absoluten Highlights der bisherigen drei Alben. Mit ‚Outnumbered‘ und ‚Escape‘ werden auch zwei Songs vom aktuellsten Release, der ‚Zombie‘-EP, zum Besten gegeben. Überzeugender Gig der Lust macht auf mehr.

[Alexander Bedranowsky]

ARCHITECTS lassen sich dann nochmal gut 20 Minuten Zeit, bevor sie die Bühne entern. Die Briten haben heute das Kunststück zu meistern, einen funktionierenden Mix aus Songs der früheren, Mathcore-inspirierten Metalcore-Zeit der Band, für die sie bekannt und beliebt ist und den neueren, stiloffeneren, ohrwurmlastigeren und auch deutlich livetauglicheren Songs des neuen Albums zu finden. Mit „Follow The Water“ steigt man auf Nummer sicher ein, doch direkt im Anschluss schlägt „Day In Day Out“ voll ein und macht klar, was für eine Energie „The Here And Now“ schon aus der Konserve, aber natürlich erst recht live entfalten kann. Den Fans merkt man deutlich an, ob sie die neue Scheibe schon kennen oder nicht, es ist hier ebenso wie beim direkt anschließenden „Learn To Live“ allen klar, dass das, was sie hier präsentiert bekommen selbst für ARCHITECTS-Verhältnisse ungewöhnlich durchdacht auf den Punkt komponiert ist und eigentlich ansatzlos zünden müsste, aber wie es eben immer läuft können sich nur die Fans, die das Album schon zu Hause stehen haben, wirklich auf die neuen Songs einlassen.
Das ist für das restliche Publikum aus zwei Gründen schade, erstens, weil es verpasst hat, das vermutlich beste *-Core-Album 2011 zu kaufen und zweitens, weil dieses mit drei von acht Songs auch relativ amtlich vertreten ist. „Learn To Live“ kann dabei mit seiner gegen Ende extrem hymnischen Natur punkten (auch wenn es etwas schade ist, dass sich Sänger Sam hier von einem eingespielten Chor unterstützen lassen muss), „Delete, Rewind“ gibt dagegen dermaßen ansatzlos auf die Fresse, dass einem erstmal gar nichts mehr einfällt. Da können die abschließenden „Early Grave“ und „Hollow Crown“ dann auch nicht mithalten, weder Groove noch Eingängigkeit sind in dem Maß vorhanden, wie man es nach den neuen Songs gerne hätte. Das sehe indes aber wohl nur ich so, denn die meisten Fans freuen sich über die Magenschwinger an Vertracktheit ebenfalls sehr. Objektiv gesehen gibt es natürlich sowieso nichts zu meckern, die Band gibt sich auf der Bühne bewegungsfreudig, der Sound stimmt und es macht einfach Spaß, den Jungs zuzusehen. Hoffentlich bald wieder!

[Marius Mutz]

Um 22 Uhr legen die Briten von BRING ME THE HORIZON los – und starten von Null auf Hundert in drei Sekunden. ‚It Never Ends‘ ist der perfekte Auftakt und besticht nicht nur durch seinen preschenden, wütenden Refrain, sondern vor allem durch die kontroversen Christenchor-Samples, die charakteristisch für das aktuelle Album sind. Solche Elemente live gut umzusetzen ist eine Kunst, doch BMTH verstehen ihr Handwerk. Die lieblichen Chorstimmen sorgen für Gänsehaut und trällern engelsgleich: “Take my hand / show me the way / heal all the children / that make me sing” Die Kinder im Publikum… pardon… die Teenies singen begeistert und schmachtend mit. Ihre Bewunderung gilt vor allem dem dürren Frontmännchen, Oliver Sykes. Die Mädchen wollen seine Frisur tragen (oder tun es bereits) und die Jungs sind neidisch auf seinen knallbunten, komplett tätowierten Oberkörper. Betrachtet man die Herzchen auf seinen Armen und die Blüte auf seinem Hals, traut man ihm nicht ansatzweise zu, so authentisch wutgeladen brüllen zu können, wie er es tatsächlich beherrscht. Doch trotz – oder gerade wegen – seines mädchenhaften, beinahe androgynen Aussehens hat Sykes etwas unglaublich faszinierendes. Solch eine enorme Bühnenpräsenz hat das Backstage Werk seit dem AFI-Frontmann Davey Havok nicht mehr gesehen.
Vom aktuellen Album (‚There Is A Hell Believe Me I’ve Seen It. There Is A Heaven Let’s Keep It A Secret‘) werden insgesamt sechs Songs gespielt. Das epische ‚Crucify Me‘ stellt das absolute Highlight der Performance dar und besticht mit seiner Mischung aus Hardcore, Herzschmerz und Himmelspfortensound. Die Kombination mit gelegentlichen Elektro-Einlagen macht den ganz eigenen Charme dieser Platte aus. Weitere Höhepunkte sind die emotionale Hymne ‚Blessed With A Curse‘ und das brachiale ‚Anthem‘. Bei letzterem tobt sich das Publikum so extrem aus, dass man der Aufforderung der Textzeile „Someone call an ambulance“ sicherheitshalber Folge leisten möchte. Aus dem Vorgängeralbum (‚Suicide Season‘) werden insgesamt fünf Songs gespielt. Die Single-Auskopplungen ‚Chelsea Smile‘ und ‚Diamond’s Aren’t Forever‘ dürfen dabei natürlich nicht ebenso wenig fehlen wie ‚The Sadness Will Never End‘, bei welchem der ARCHITECTS-Frontmann Carter BMTH auf der Bühne unterstützt. Das rohe, ungeschliffene ‚Pray For Plagues‘ ist die einzige Nummer vom Erstlingswerk (‚Count Your Blessings‘) und zeigt beeindruckend, um wie viele außergewöhnliche Nuancen die Band ihre Musik in den letzten fünf Jahren erweitert hat. Zum Schluss des Gigs initiiert Skyes noch eine Wall of Death. Das Publikum frisst ihm aus der tätowierten Hand und kommt seinem Wunsch gerne nach. Nach gerade einmal einer Stunde beenden BMTH ihren Auftritt, doch die kurze Setlist kann ihnen keiner übel nehmen, so sehr, wie sie sich auf der Bühne verausgabt haben.
Und nachdem sich die Fans größtenteils genauso verausgabt haben, ist das Schule-Schwänzen am nächsten Tag (beinahe) legitim. Grandioses Konzert-Erlebnis mit vier Bands, deren Stil sich wunderbar ergänzt hat . Der Abend konnte eines beweisen: „Mädchen-Hardcore“ hat definitiv eine Daseinsberechtigung!

Setlist BRING ME THE HORIZON:
It Never Ends
Chelsea Smile X
Alligator Blood
Pray For Plagues
The Comedown
Fuck
The Sadness Will Never End X
Crucify Me
Football Season Is Over
Blessed With A Curse
Anthem
Diamonds Aren’t Forever

[Alexander Bedranowsky]

Unter Mitarbeit von Alexander Bedranowsky (Gastredakteur)

Publiziert am von Marius Mutz

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