Festivalbericht: Festival-Mediaval VIII – Tag 3

11.09.2015 - 13.09.2015 Selb, Goldberg

Was dem Samstag sein Mittelalter-Rock, das ist dem Sonntag sein Spielmann. Die zwei Gesichter des Goldenen Zwergs prägen das FESTIVAL-MEDIAVAL auch 2015 entscheidend mit. Am Sonntag duellieren sich in traditionelleren Gefilden die drei Bands STIMMT SO, THE VIOLET MOON und SKALUNA. Alle drei Gruppen überzeugen zunächst durch eine unverkennbare Eigenständigkeit. Während STIMMT SO durch jugendliche Unbekümmertheit und einem zu „What Shall We Do With The Legal Immigrants?“ umgetexten „What Shall We Do With The Drunken Sailor?“ überzeugen, sind THE VIOLET MOON auf dem Goldberg keine Unbekannten. Das Duo bestehend aus Simon und Natasha Orrell hat sich für den Contest zusätzlichen Support an der Gitarre geholt, der für einen volleren Sound im Akustik-Kleid sorgt. Ihr melodischer Stil ist traditionell britisch geprägt und im Vergleich zu den jungen Wilden deutlich bodenständiger. Ein wirklicher Vergleich fällt schwer, besonders mit SKALUNA als dritte Teilnehmer. Mit fünf Musikern und aufwendigeren Kostümen fällt das Quintett nicht nur musikalisch, sondern auch optisch aus der Reihe. Der weibliche Frontgesang prägt das Gesamtbild der Kapelle, die allein durch ihr breiter gefächertes Instrumentarium im Vorteil zu sein scheint. Teils sind bei SKALUNA auch Einflüsse des Celtic Folk spürbar sowie Arrangements bekannter Musikgruppen zu hören. Am Ende reicht dies knapp für den Sieg.

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Die eigentlichen Gewinner des frühen Sonntags sind allerdings die Jenaer CARPE NOCTEM, die letztes Jahr mit einer atemberaubenden String Metal-Show ebenfalls den Goldenen Zwerg abräumen konnten. Auf der Burgbühne wirken die Musiker noch einmal gewaltiger mit ihren beiden Celli, der Geige als Führungsinstrument und Schlagzeug/Bass als Basis. Als Straßenmusiker ist es die Formation gewohnt, sich ihr Publikum zu erspielen – und das gelingt auch im zweiten Jahr in Selb. Klassisch ausgebildet und mit einer Unmenge an Drive und Energie begeistern die jungen Musiker, die Klassik, Rock und Metal zu einem akustischen Ohrenschmaus verknüpfen. Als besonderes Schmankerl präsentieren sie ihre Coverversion von System of a Downs „Toxicity“. Insgesamt ist den Jungs ein ähnlicher Weg wie Winterstorm zu wünschen, die es vom Contest bis zum Samstagsheadliner des Festivals gebracht haben. Apocalyptica wird jedenfalls niemand am Goldberg jemals vermissen, wenn er CARPE NOCTEM bis dato lauschen durfte.

IRXN15FM23

Als erste Sonntagsband auf der Hauptbühne vereinen IRXN bayerisches Lokalkolorit mit dem „Celtic Folk“-Thema des Wochenendes. Übersetzt bedeutet das mittelhochdeutsche Wort soviel wie Kraft oder Stärke, spricht sich nur deutlich komplizierter. Für alle Nicht-Bayern funktioniert der druckvolle Mix aus Mittelalter, Blasmusik und keltischem Folk allerdings auch ohne Texte. Alle Süddeutschen dürften schnell beim Fazit „Pfundig!“ landen. Einmal kommen IRXN mit ihrer erdigen Urkaft auch allen Zugereisten entgegen, indem sie es bei „Oxntraim“ bei einer einzigen bayerischen Zeile belassen und ansonsten „Lauf Kuh Muh“ singen. Ein bisschen Selbstironie gehört dazu – und wirkt wie das obligatorische Salz in der Suppe.

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Humor spielt auch anschließend bei JOHNNY ROBELS eine entscheidende Rolle. Ähnlich wie PurPur erspielte sich der Harfenist seinen Platz auf der großen Bühne in den letzten Jahren durch viele Festivalauftritte als Gast oder Solomusiker auf den kleineren Bühnen. Dass sich hinter dem Wortwitz ein ausgezeichneter Musiker verbirgt, zeigt das Festival-Urgestein nebenbei ebenso – und beweist genau wie die beiden Rauscher-Zwillinge, dass auch die vermeintlich kleineren Acts durchaus das Zeug dazu besitzen, die Burg- bzw. Schlossbühne zu bespielen. Da wird „Downtown“ zu „Bauschaum“ und Johnny muss im Gegensatz zu Tim Bendzko sein Zelt und nicht die Welt retten – vielleicht auch besser so. Im weiteren Verlauf persifliert der wortgewandte Vollblutmusiker und -entertainer noch Hits von Wolfgang Petry und auch „Atemlos“ von Helene Fischer, ehe er mit einem The Police-Cover dem nordischen Gott „Odin“ huldigt. Am Ende bietet JOHNNY ROBELS eine Stunde lang beste Unterhaltung, die komplett vergessen lässt, dass dort nur ein Mann mit seiner Harfe steht.

Ganaim15FM21

Ein alter Bekannter in Selb ist Pinto von Frohsinn, allerdings als Teil von Versengold. Mit seinem Nebenprojekt GANAIM springt er kurzfristig für den Chor On Air ein – und nutzt die Gunst der Stunde. Mit jeder Minute erspielt sich das Trio mit Pinto am Gesang, Saskia an der Geige und Zorny an der Gitarre mehr Publikum vor der Schlossbühne. Dazu tragen besonders die beiden Vorzeigestücke „The Burning Of Auchindoun“ und „Bedlam Boys“ vom Erstlingswerk „Ceol ón Mhuileann“ bei. Im Vergleich zum Shamrock Castle wirkt das 60-minütige Set kompakter und passender für die junge Band mit bis dato einem Album. Die Songreihenfolge in Selb entfaltet ebenfalls eine bessere Wirkung als auf Schloss Jägersburg, passend zum „Celtic Folk“-Schwerpunkt. Violinspielerin Saskia bietet dabei nicht nur etwas für die Ohren, sondern auch für das Auge. Geführt von Geige und Bodhrán schwingt das Publikum vermehrt das Tanzbein und sorgt für ein gelungenes Debüt des Dreiergespanns, das sichtlich angetan von den Reaktionen ist.

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Mit den Vorschlusslorbeeren des ersten Auftritts vor zwei Jahren füllen die Düsseldorfer WADOKYO den Platz vor der Burgbühne beinahe vollständig aus. „The Power Of Drums“ prankt auf den Shirts der einzelnen Trommler und exakt so klingt das Ergebnis. „Kraftvoll, dynamisch und leidenschaftlich“ beschreibt die Gruppe sich selbst und besser könnte man den Sound nicht zusammenfassen. Über eine Stunde hinweg wird das Klangbild zwar vereinzelt monotoner, doch die Mitglieder präsentieren sich bestens durchchoreografiert und wechseln während der 60-minütigen Show mehrfach ihre Positionen. Diese zusätzliche Dynamik nebst späterem Intermezzo von CORVUS CORAX tun dem Trommelgewitter am Ende sehr gut.

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Ein wenig verloren wirken WIRRWAHR als Semi-Headliner des Sonntags. Die Westfalen leisten wenig dafür, um die (teils von Wadokyo ausgepowerte) Menge zur Schlossbühne zu ziehen, fehlt es doch vor allen Dingen an Eigenständigkeit. Die selbstbetitelten Spielleute zwischen Wahnsinn und Wirklichkeit werden in Selb größtenteils mit einer bitteren Wahrheit konfrontiert: Solide Mittelaltermusik mit Sackpfeifen und allem, was dazugehört, ist – besonders verglichen mit den übrigen Acts des Tages – nicht ausreichend, um für Begeisterungsstürme am frühen Abend zu sorgen. Ohne nennenswerte Ereignisse plätschert das Konzert vor sich hin, während sich die Marktpassagen und die Plätze vor den kleineren Bühnen füllen, wo u.a. BEATRICE BAUMANN mit ihrer Kontaktjonglage und SALTATIO BURGUS für Kurzweil sorgen. In der Goldbergbucht treiben wiederum FLINT’S BUCCANEERS ihr freibeuterisches Unwesen, so dass auch abseits von WIRRWAHR genug geboten ist, um sich die Zeit auf dem Goldberg adäquat vertreiben zu können.

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Ab und an aus Not eine Tugend zu machen, ist nicht nur eine Sache der Festivalbesucher, sondern auch mancher Bands. So müssen THE DOLMEN bei ihrem Goldberg-Debüt auf ihren etatmäßigen Schlagzeuger Chris Jones verzichten. Wie immer im Folk- und Mittelalterkomos liegt die Lösung nahe, so dass mit Ex-Metusa Trommler Chris Hanich der Ersatzmann in der Schießbude schnell bei markterprobten Freunden gefunden ist. Dieser erledigt seinen Job sehr ordentlich, so dass lediglich ein wenig Show bei der ansonsten perfekten Bühnenshow fehlen. Das dies- und letztjährige Feuertanz Festival auf Burg Abenberg öffnete den Briten so manche Türe im Süden Deutschlands. “Markterprobt” wäre wohl die kurze Zusammenfassung der bisherigen Bandvita. Auch in Selb überrascht es bereits nach wenigen Minuten, dass die Briten den Sprung auf das europäische Festland erst so spät gemeistert haben. Klanglich bewegen sich die fünf Musiker rund um das inbrünstige Frontorgan Taloch und seinen eher zierlichen Gegenpart Kayleigh am Bass irgendwo zwischen Omnia, Saor Patrol und Rapalje. Besonders Sänger Taloch erinnert an William von Rapalje. Stimmgewaltig führt er sowohl die Menge vor der Bühne als auch seine Band durch die einzelnen Stücke, die sich unter anderem aus der jüngsten Veröffentlichung “The Banquet” zusammensetzen, und von denen besonders „Dead Cats Don’t Meow“ maßlos überzeugt. Für das (männliche) Auge bietet Bassistin Kayleigh ein zusätzliches Plus, zumal die junge Dame einerseits ihr Instrument beherrscht und andererseits vor Spielfreude sprüht. Damit agiert sie allerdings stellvertretend für den Rest der Combo. Kurzum sind THE DOLMEN mit ihrer Show in erster Linie eines: ansteckend und erfrischend.

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Den krönenden Abschluss für das Festival-Mediaval 2015 bilden dann die Könige der Spielleute CORVUS CORAX. Diese feiern zusammen mit den Trommlern von Wadokyo ihren 25-jährigen Bandgeburtstag in Selb. Wie bereits vor zwei Jahren ist der Platz vor der Schlossbühne sehr gut gefüllt, als das Trommel- und Dudelsackgewitter am Sonntag Abend über die Menge hereinbricht. Der Sound der Sackpfeifen und der Drums dröhnt aber nicht nur über das Festivalgelände, sondern bis weit in die Stadt und darüber hinaus. Der Aufbau der gemeinsamen Bühnenshow folgt generell dem Gastspiel vor zwei Jahren, so dass die Berliner Spielleute bei Songs wie „Urmawie“ und „Venus Vina Musica“ auch alleine für ordentliche Stimmung sorgen. Weitere Highlights des Auftritts sind das launige „Bacchus“ sowie „Ragnarök“ als krönender Abschluss des regulären Sets. Davor dürfen Wadokyo bei „Gekiryu“ nochmals alleine ran und beide Kapellen drehen bei Amon-Amarth-Cover „Twilight Of The Thunder God“ mächtig auf. Im Zugabenblock gibt es schließlich nach der weltgrößten Drehleier noch den längsten Dudelsack der Welt, famos gespielt von Vit. Damit entscheiden CORVUS CORAX auch das anfängliche Duell gegen die große Schlacht der Wikinger gegen die Piraten für sich, die durch diverse Pannen, unter anderem bei der Zündung der größten Kanone, und ein ausbaufähiges Skript mehr in eine Slapstick-Einlage ausartet. Die Anzahl der Beteiligten und die kurze Vorbereitungszeit reichen für ein überzeugendes Schauspiel nicht aus. Diesen kleinen Wehrmutstropfen kompensiert aber so ziemlich das gesamte restliche Wochenende nahe der deutsch-tschechischen Grenze.

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Sichtlich und hörbar angeschlagen bedankt sich Veranstalter Bläcky abschließend noch bei allen Beteiligten mit einer simplen Banderole. Am 08. September 2016 startet das Festival-Mediavall dann in seine neunte Auflage, dieses Mal mit einem Balkan Special. Dafür angekündigt sind bereits jetzt die Violons Barbares und Romengo. Beides Bands, die die deutsche Festivallandschaft sonst nicht bietet. Dazu gesellen sich mit Fiddler’s Green, Faey, Heimataerde, Qntal und Berlinski Beat teils alte Bekannte und etablierte Festivalgrößen, die zum ersten Mal am Goldberg auftreten.

Für 2015 bleibt festzuhalten, dass das Festival musikalisch wahrscheinlich nie besser besetzt gewesen ist. Das Rahmenprogramm ist bereits seit einigen Jahren kaum besser zu gestalten, wird aber durch diverse Ergänzungen immer noch breiter gefächert, vor allem im kostenlosen Außenbereich mit Falken, Gauklern und allerlei Seefahrern. Dieses Jahr erweisen sich aber vor allem alle „musikalischen Überraschungseier“ wie Kila oder Carlos Núñez als echte Granaten, die prima zur gesamten Festivalkultur passen. Doch auch abseits des Programms bietet der Mikrokosmos Festival-Mediaval mit Lagerfeuer-Jam-Sessions und einem Gastspiel von Corvus Corax im Filmzelt genügend meist spontane Happenings der besonderen Art, die wiederum sinnbildlich für die gesamte Veranstaltung stehen. Musik und Menschen vereint in einer kleinen Parallelwelt, die Gleichgesinnte zusammenbringt und die eigene Neugier immer wieder aufs Neue entfacht.

Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von:
Jens Wessel / http://www.medievalphotography.com – dort findet ihr unter anderem die vollständige Galerie zu diesem Festival!

Bernd Sonntag / http://www.konzertreport.de – dort findet ihr unter anderem die vollständige Galerie zu diesem Festival!

 

 

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