Konzertbericht: Impericon Festival 2018 Leipzig

28.04.2018 Messe Halle Eins, Leipzig


Fünf Städte, fünf verschiedene Line-ups – auch 2018 sind die IMPERICON FESTIVALS wieder massiv am Start. Das Finale der Veranstaltungsreihe ist das Heimspiel in der Leipziger Messe und kann mit zwei riesigen Pull-Faktoren aufwarten: einem Auftritt von NEAERA und gleichzeitig der letzten Show von HEAVEN SHALL BURN vor deren Livepause unbestimmter Länge. Also dann: 20 Bands in knapp 14 Stunden – let’s go!

Den Auftakt machen BLACK TOOTH SCARES und THE PLOT IN YOU sowie POLARIS, die alle Metalcore nach Zahlen spielen. Das machen sie aber ganz patent, wenn auch nicht begeisternd. Deutlich ansprechender sind da die folgenden BOSTON MANOR, die sich stilistisch zwischen Pop Punk und melodischem Hardcore bewegen. Dementsprechend gibt es viel Melodie, aber auch genug harte Riffs, um dem Ganzen ausreichend Biss zu verleihen.
Mit NOVELISTS folgt eine weitere Standard-Metalcore-Truppe, ehe OBEY THE BRAVE die ersten heftigen Breakdowns des Tages entfesseln und RINGS OF SATURN pro Songs mehr Noten spielen als alle bisherigen Bands zusammen, ehe KNOCKED LOOSE den Anwesenden wieder ohne Umwege auf die Zwölf geben.

WE CAME AS ROMANS kommen auf die Bühne und fordern einen Circle Pit, bevor die erste Note gespielt ist – kann man mal so machen. Dummerweise zerschießen sie sich im Folgenden ihre soliden Parts durch unerträglich poppige Refrains und unzählige Elektrosounds. Trotzdem ist es richtig voll vor der Bühne und die Anwesenden feiern die Band, springen, singen und zelebrieren sogar bereits zu so früher Stunde eine Wall of Death. Auch der Sound ist bereits richtig gut, wenngleich man bei WE CAME AS ROMANS neben den Elektro-Elementen eigentlich nur Snare und Double-Bass hört – beim Abmischen wäre hier sicher noch Luft nach oben gewesen.

Schlimmer geht es nicht? Geht es doch. Wenn man in einem Büro analysieren würde, was das heutige Publikum mag und anhand dieser empirischen Ergebnisse eine Band casten und konstruieren würde, wären ALAZKA das Ergebnis. Schrecklich seelenlos und ohne Biss, aber alle Punkte auf der Checkliste abhakend. Grausam, aber sicher prima zu vermarkten. So was hört man vielleicht in seiner Jugend und schämt sich später dafür. Vor Ort finden sich jedoch eine ganze Menge (junger) Menschen, die die Songs der Band kennen und schätzen, auch wenn die Bewegungen der Musiker nicht immer synchron auf die Musik passen – was jedoch niemanden zu stören scheint.

Das kann man ATTILA sicher nicht vorwerfen, aber dafür so einiges anderes, beispielsweise dass sie strunzdumm sind, sowohl textlich als auch musikalisch. Es gibt stumpf auf die Zwölf und Fronter Chris „Frontz“ Fronzak animiert zu Songs wie “Party With The Devil” zu ihrem “worst behavior”. Aber genau aus diesem Grund hört man ja anscheinend ATTILA und immerhin können sie ganz ordentlich austeilen. Und als Heranwachsenden turnen einen Schimpfwörter als (alleiniges) Stilmittel vielleicht auch (noch) an. Von diesen wird jedenfalls ausreichend Gebrauch gemacht und es entsteht der Eindruck, dass Frontz tatsächlich alles egal ist – zumindest tut er dies wiederholt kund.

ANY GIVEN DAY heben das Niveau danach erfreulicherweise wieder deutlich an. Musikalisch gelingt ihnen das, indem sie ihrem Deathcore stimmig melodische Leads und Klargesang beimischen. Und auch inhaltlich geht es wieder in die Themen, die die (Hardcore-) Szene eigentlich prägen: Gemeinschaft, Zusammenhalt und gegenseitige Hilfe – besonders wenn jemand im Moshpit oder bei der Wall Of Death auf dem Allerwertesten landet. Zudem gibt es mit “Saviour” einen ersten Song vom kommenden Album zu hören, der durchaus ankommt. Dabei begeistert es immer wieder, welch lieblichen Klargesang Dennis zustande bringt, erwartet man das doch von einem menschgewordenen Kleiderschrank eher nicht…

Den musikalischen Vorlieben der Anwesenden entsprechen auch LIONHEART ganz offensichtlich, denn vor der Bühne gibt es während ihrer Show kein Innehalten. Ohne Unterlass wechseln sich Circle- und Moshpit ab und auch auf der Bühne geben die Männer alles. Da die Truppe einen sehr wenig modernen Sound spielt, überrascht dieser Umstand beinahe, da die bisherigen Bands – die sich über reichlich Zuspruch erfreuen durften – alle sehr modern ausgerichtet waren. Aber mit ihrem Hardcore alter Schule, den die Combo mit massiven Breakdowns und gelegentlichem Klargesang versetzt, können LIONHEART heute das Publikum für sich gewinnen.

Das gelingt auch BURY TOMORROW problemlos, was man nicht zuletzt an der enormen Zahl der Crowdsurfer ablesen kann. Die sympathischen Engländer zeigen, dass auch moderner Metalcore gut und nicht komplett künstlich sowie kommerziell sein kann. Dabei setzt die Band nicht nur auf Härte, sondern überzeugt gerade mit ihren melodischen Refrains (“Cemetery”, “Last Light”). Es wird spannend sei zu sehen, wohin das bald anstehende neue Album BURY TOMORROW (“Black Flame”, erscheint am 13. Juli) bringt – nach dem heutigen Auftritt, inkl. des Titeltracks vom kommenden Album, muss man vermuten, dass es für die Truppe ganz nach oben geht.

Dort waren SILVERSTEIN Ende der 2000er schon (als man einige erfolgreiche Alben veröffentlichte und hochkarätige Support-Slots ergattern sowie eigene Headliner-Touren spielen konnte) und ihr Sound erklärt schnell, weshalb. Mit viel Klargesang und starken Gitarrenmelodien, die sich mit härteren Riffs paaren, verkörpert die Band exemplarisch den Post-Nu-Metal-Sound. Mehr Gefühl, weniger Ego und ein recht zugänglicher Klang zeichnen die Truppe bis heute aus. Das heutige Set setzt etwas stärker auf die härteren Nummern der Combo, sodass recht viel gescreamt wird. Dafür gibt es ordentlich Applaus, den meisten allerdings für die akustische Darbietung von “My Heroine” – so ganz können SILVERSTEIN und ihre Fans dann eben doch nicht aus ihrer Haut.

COMEBACK KID bringen dem Impericon Festival den alten Hardcore mit Punk-Schlagseite. Die Kanadier gehen knüppelhart zu Werke und verbreiten zugleich eine Menge gute Laune. Was auf den ersten Blick nicht so recht zueinander passen will, erklärt sich durch die unheimliche Spielfreude der Band. Denn diese führt dazu, dass den Musikern während ihrer Show immer wieder ein breites Grinsen im Gesicht steht. Abgesehen davon ist dies die wahrscheinlich am wenigsten melodische und tanzbare Gruppe des heutigen Tages, was ja auch ein Qualitätsmerkmal ist. Und ganz auf Melodien verzichten muss man ja auch bei COMEBACK KID nicht. Unbestreitbar leerer als zuvor ist es allerdings …

… wohl auch, da sich vor der anderen Bühne bereits eine erhebliche Anzahl von Menschen eingefunden hat. Denn hier spielen NEAERA, die es eigentlich schon seit Dezember 2015 nicht mehr gibt, die aber für zwei Shows die Instrumente abgestaubt haben. Und sie haben Bock, die aufgestaute Spielfreude rauszulassen. Sänger Benni hängt schon beim zweiten Song im Publikum, währen rund um ihn herum die Crowdsurfer über die Barriere regnen. Der Sound ist erstklassig, klar, sauber und druckvoll und die Tracks sind ohnehin über jeden Zweifel erhaben. Egal ob “Armamentarium”, “I Loathe” oder “Ours Is The Storm”, jede Nummer wird abgefeiert. Die 45 Minuten vergehen wie im Fluge und sind viel zu kurz. NEAERA zeigen heute eindrucksvoll, wie gut sie (live) waren (und noch sind) und warum sie ihren Fans so fehlen – besonders da der Rausschmeißer nichts geringeres als “Spearheading The Spawn” ist …

Es folgt der außerhalb der Szene wohl bekannteste Mensch (immerhin hat er die Show “Bachelorette” gewonnen und war im Dschungelcamp) des heutigen Tages. Der Mann heißt David und sitzt bei ESKIMO CALLBOY hinterm Schlagzeug. Ob das für oder gegen die Band spricht, sei dahingestellt. Der Bekanntheit der Truppe hat es definitiv nicht geschadet, denn vor der Bühne ist es rammelvoll. Das “bekannt” nicht immer auch “gut” heißen muss, zeigt dann die Show der Truppe. Denn gespielt wird das Metal-Äquivalent zu einem Helene-Fischer-Popschlager. Hier ein Riff, dort ein paar harsche Vocals – für die Credibility – und dann schnell wieder zu den großen Refrains und jeder Menge Elektroelementen. Den Anwesenden ist es egal, sie feiern eine große Party mit der Band und darum geht es ja letztlich.

Bei den folgenden BOYSETSFIRE hat sich die Halle deutlich geleert, was sich musikalisch nicht begründen lässt. Denn die Band spielt kraftvollen Hardcore, der immer wieder durch melodische Passagen oder Klargesang aufgelockert wird. Zudem verpassen BOYSETSFIRE ihrer Musik immer wieder einen rockigen Touch, was das Ganze sehr lässig rüberkommen lässt. Da auch die Songstrukturen nicht durchgehend geradlinig sind, wird die Combo nicht ohne Grund als “thinking men’s hardcore” bezeichnet, was diese zusätzlich mit intelligenten Ansagen unterstreicht. Unterm Stich eine coole Show, die den Tag auf der Marshall-Stage beschließt, natürlich nicht, ohne dass Benni von NEAERA für den letzten Song mit auf die Bühne und dann ins Publikum kommt.

Auf der Monster-Stage jedoch wartet noch der Headliner auf die Anwesenden. HEAVEN SHALL BURN spielen heute ihre letzte Show vor einer längeren Live-Pause, was diesen Auftritt schon vor Beginn zu etwas Besonderem macht. Deshalb verwundert es wenig, dass schon während des gesamten Sets von BOYSETSFIRE eine ansehnliche Menge an Menschen vor der Monster-Stage auf den Headliner wartet – 20 Minuten vor Beginn sogar mehr, als vor der anderen Bühne stehen… und das Warten lohnt sich, denn HEAVEN SHALL BURN sind bis in die Haarspitzen motiviert und hauen den Anwesenden mit unheimlicher Wucht einen Hit nach dem anderen um die Ohren. “Counterweight”? Sicher. “The Weapon They Fear”? Immer. “Black Tears”? Aber klar doch. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, etwa mit “Omen”, “Voice Of The Voiceless” (inklusive Wall Of Death) oder “Passage Of The Crane”. Die letzte Show vor der Pause gerät heute zum absoluten Triumph, da auch das Publikum noch einmal Vollgas gibt – obwohl man schon seit fast 13 Stunden in der Halle weilt. Umrahmt wird die Show von einem aufwändigen Bünenaufbau sowie Rauch- und Flammenwerfern und einer starken Lichtshow. Nach knapp eineinhalb Stunden und “Endzeit”, “Godiva” sowie “Valhallah” endet ein brachial gutes Konzert. Wenn man sich denn verabschieden muss, dann so. Großartig.

Wer primär wegen NEAERA und HEAVEN SHALL BURN sein Ticket gelöst hatte, sah sich am Vormittag einigen Truppen gegenüber, die ernsthaft an der Qualität des Nachwuchses zweifeln lassen dürften. Allerdings darf hier die Perspektive und angesprochene Demographie nicht außer Acht gelassen werden, denn auch Combos wie WE CAME AS ROMANS oder ATTILA haben ganz offensichtlich ihre Fans. Dass aber mit zunehmend späterer Stunde die Bands immer älter wurden, spricht auch für sich. So eignete sich das IMPERICON FESTIVAL 2018 in Leipzig sehr gut als Szenestudie, bis HEAVEN SHALL BURN mit ihrer Monstershow alles andere vergessen machten.

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