Konzertbericht: In Extremo w/ Maerzfeld

2012-07-20 München, Tollwood

Bei IN EXTREMO genügt inzwischen der Bandname allein, um auch bei Lieschen Müller und Otto Normalverbraucher gewisse Assoziationen im Hinblick auf E-Gitarren gemischt mit Schlagzeug und Dudelsack hervorzurufen. Selbst Welt Online interviewte Sänger Micha Rhein ausführlich zum letzten Album „Sterneneisen“, dem zweiten Nr. 1 Werk der Folkrocker/Mittelaltermetaler in Folge. Entsprechend nahtlos reihen sich die Berliner auch in das Billing des diesjährigen Tollwood-Festivals in München ein. Die entspannte Atmosphäre auf dem Gelände scheint sich dabei auf die sieben Musiker – und besonders deren Frontmann – auszuwirken.

Doch bevor Michas Gute-Laune-Show beginnen kann, betreten erst einmal Rammst…äh MAERZFELD die Bühne des Tollwoodzelts. MAERZFELD? Selbst im süddeutschen Raum dürfte dieser Name noch eher unbekannt sein, doch unter ihrem Hauptprojekt Stahlzeit haben es die Musiker aus Erlangen bereits über die Grenzen Deutschlands hinaus zu einem Namen gebracht. So gelten sie dank einer ausgefeilten Bühnenshow als bestes Rammstein-Coverprojekt Europas. Wenig überraschend also, dass MAERZFELD als eigenständiger Stahlzeit-Ableger auch nach Rammstein klingen und sich so verkaufen. Sänger Heli Reissenweber ähnelt dabei Till Lindemann nicht nur optisch, sondern auch stimmlich. Gewiss kein Nachteil, wenn Newcomer solche Assoziationen hervorrufen, aber risikoreich, wenn sie auf Dauer genau auf jene Parallelen reduziert werden. Wobei von „Neulingen“ bei MAERZFELD keine Rede sein kann: Durch ihre Bühnenerfahrung bewegen sich die Musiker routiniert auf der großen Bühne und beziehen sofort das Publikum mit ein. Dabei ist ihr Debütalbum „Tief“ sowohl im Hinblick auf Länge als auch Qualität das geeignete Material für einen Supportgig. Und so gelingt es MAERZFELD mit ihrem deutschsprachigen Industrial kleine eigenständige Akzente zu setzen. Außerdem ist sich die Truppe ihrer Rolle an diesem Abend bewusst und fordert die Anwesenden mehrfach zu lautem Jubel für In Extremo auf. Schade nur, dass bei all der Härte und Energie manch ironischer Textbaustein auf der Strecke bleibt. Stimmlich und musikalisch gibt es jedenfalls wenig zu rütteln.

Nachdem IN EXTREMO mit ihrem „Sterneneisen“ seit geraumer Zeit diverse Hallen und Festivals bespielen, sind die Rahmenbedingungen im Vorfeld abgesteckt: So erwartet keiner revolutionäre Neuerungen an der Setliste und der Bühnenshow. Darüber hinaus ist die Zeltkonstruktion auf dem Tollwood-Gelände denkbar ungeeignet für Pyrotechnik. Keine guten Voraussetzungen, die sich zunächst bewahrheiten: Zu Beginn fliegt kein Pfeil an einer Schnur gespannt zur Bühne, sondern lediglich der dazugehörige Ton wird über die Lautsprecher eingespielt. Ein eher peinliches Erlebnis. Ungewöhnlich sind in der Folge auch die modischen Kurzhaarschnitte bei allen Bandmitgliedern, die unter anderem mit ihrer Lesereise zur Veröffentlichung der offiziellen IN EXTREMO-Biografie „Wir werden niemals knien – Die Geschichte einer unnormalen Band“ zu tun haben. Deutlich markanter und vor allem bekannter ist das Soundbild, welches für Tollwood-Verhältnisse überzeugt. Nach dem routinierten, wenngleich textlich sinnfreien „Sterneneisen“ sind „Frei zu sein“ und „Zigeunerskat“ die idealen Stimmungsanheizer der letzten beiden Studioalben. Micha hat am Mikrofon direkt Feuer unter dem Hintern, schwingt den Mikrofonständer und kauert sich mit ungesund wirkenden Bewegungen zusammen, nur um dann mit einer Urgewalt zu explodieren und weiterzusingen. Die Sängerleistung des letzten Einhorns erreicht an diesem Abend ein sehr beachtliches Niveau, egal ob bei sanft-weichen Tönen wie beim Abschluss „Omnia Sol Temperat“/„Villeman Og Magnhild“ oder bei energischeren Songs wie „Siehst du das Licht“ und „Liam“. Seine Ansagen sind eher zweckmäßig und kurz, so dass die Musik im Vordergrund steht, welche bereits sehr früh mit „Herr Mannelig“ und „Vollmond“ immer wieder in die frühen Jahre der Bandgeschichte führt. Sehr zur Freude des Münchner Publikums.

Die erprobte Livemaschinerie hängt nur selten – meistens dann, wenn InEx auf die ruhigeren Parts von „Sterneneisen“ und „Sängerkrieg“ setzen, wie beispielsweise bei „Flaschenpost“. Konträr dazu funktioniert das hymnische „Viva La Vida“ mit seinem Ohrwurmrefrain besonders im Live-Umfeld hervorragend, obwohl auch hier gilt: Textlich setzen die Szeneveteranen keine Maßstäbe. Dafür sorgen Micha und Co. in München für Überraschungen: So ändern die Musiker spontan ihre angedachte Setliste und mit „Nymphenzeit“ findet die IN EXTREMO-Version von „Dulcis Amor“ ihren Weg in die Songauswahl. Unter anderem bei diesem Song wird Micha gesanglich von seinen Bandkollegen unterstützt, wobei sich besonders Dr. Pymonte sichtlich unwohl am Mikro fühlt. Umso beeindrucker ist dafür seine instrumentale Leistung, die u.a. eine Art Hackbrett im Sterneneisen-Logo einschließt. Darüber hinaus ist sein Harfenspiel immer noch eines der markantesten Alleinstehungsmerkmale von InEx, welches besonders live immer und immer wieder für Akzente sorgen kann – und das nicht nur beim instrumentalen „Vollmond“-Intro.

Gegen Ende entpuppt sich „Erdbeermund“ nicht unbedingt als idealer Rausschmeißer, doch spätestens als die Pyroeffekte bei der ersten Zugabe „Spielmannsfluch“ sozusagen aus allen Rohren feuern, ist dies vergessen. Allgemein nutzen die Folkrockgrößen die begrenzten Möglichkeiten so gut es geht für ihre Bühnenshow: Neben regelmäßigen Feuerfontänen kracht und knallt es an allen Ecken und Enden – mal überraschend und mal indem Micha deutlich sichtbar den Auslöser betätigt. So fügen sich der optische und akustische Gesamteindruck zu einem stimmungsvollen Ganzen. Dies spiegelt sich auch in den teils hervorragenden Publikumsreaktionen wieder. Zum Abschluss zeigt sich, dass selbst ein In Extremo – im Gegensatz zum Text von „Sängerkrieg“ und dem Titel der Autobiografie – vereinzelt eben doch kniet. Nämlich immer dann, wenn er zusammen mit anderen Bandmitgliedern den traditionellen Dudelsackmelodien huldigt und somit bei aller Moderne eine gewisse Tradition wahrt.

Publiziert am von und Uschi Joas

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