Konzertbericht: Letzte Instanz w/ Mina Harker

2010-11-05 Backstage Werk, München

Seit mehreren Jahren kämpft die Letzte Instanz tapfer um ihren Platz im Genre des modernen Mittelalter-/Folkrocks. Während Bands wie In Extremo, Subway to Sally, Schandmaul und auch Saltatio Mortis sukzessive mehr Erfolg verzeichnen konnten, stagnierten die Erfinder der Brachialromantik einige Jahre, ehe sie ein frisches Zukunftskonzept erarbeiteten. Mit der Albentrilogie bestehend aus „Schuldig“ (2009), „Heilig“ (2010) und dem noch unbenannten Abschluss („Selig“?) 2011 sollte ein neues Kapitel in der langjährigen Bandgeschichte eingeläutet werden. Genau wie die Karriere der Instanz selbst, sind diese Werke allerdings geprägt von Höhen und Tiefen. Nachdem jedoch bereits die Live-Schuldbekenntnisse weitaus besser wirkten als die dazugehörige Studioproduktion, versprach auch die heilige Tour 2010 im eher rockigen Gewand eine Steigerung zur eher mittelprächtigen CD.

So verlief der Auftakt nach einem etwas zu langen Intro mit dem besten Stück von „Heilig“ – namentlich „Dein Gott“ – wie erwartet bzw. erhofft: Kraftvolle Folkmusik, intensiv und dennoch melodiös, drang durch das relativ gut gefüllte Backstage. Optisch hob sich Sänger Holly Loose durch sein weißes Outfit dabei angenehm vom Einheitsschwarz seiner Mitmusiker ab. Lediglich bei Geiger Mutti Stolz gab es einige technische Startschwierigkeiten, denn es dauerte einige Minuten, bis man auch akustisch in den Genuss seines Geigenspiels kam.
„Schau in mein Gesicht“ mit seinem fragwürdigen Uhuhuhuh-Part schlug dann als krasser Gegensatz wieder in bekannte Kerbe, die teilweise zu kitschig, pathetisch und zuckersüß anmutet. Im weiteren Verlauf gab es mit „Neue Helden“ und „Schlaf, Schlaf!“ positive Überraschungen des neuen LI-Albums, denn im Gegensatz zur Studioversion entfalteten beide Stück live einen gewissen Charme und Mitmachfaktor.
Ihre stärkste Phase hatten Holly D, Holly, M. Stolz, Benni Cellini und ihre Mitstreiter hingegen von Lied 7 bis 10: Angefangen vom grandiosen „Maskenball“ über die gemeinsame „Flucht ins Glück“ sprang schließlich der gesamte untere Zuschauerraum nach intelligenter Animation des stets charismatischen Frontmannes zu „Tanz“. Selbst das als kleine Feierpause eingestreute „Schlaf, Schlaf“ passte und sorgte für überraschende Momente: Als der Song gerade ausklang, sang das Auditorium einfach weiter den Chorus und bewegte Holly zu einem spontan glaubwürdigen „Wie geil ist das denn?“. Allgemein kann man dem Münchner Publikum an diesem Abend nur Komplimente machen, denn durch dessen Reaktionen und Interaktion wurde der Auftritt deutlich aufgewertet. Entsprechend wohlwollend fiel auch das Feedback der Musiker aus, die das Konzert als das Beste der laufenden Tour bezeichneten und betonten, dass das kein Standardspruch in jeder Stadt sei. Richtig glaubhaft wurde diese viel zu oft verwendete Floskel schließlich durch die dazugehörigen Blicke und Mimik.
Leider folgte daraufhin vom 11. bis zum 17. Song auch gleich der größte Durchhänger, als die Instanz entweder zu viel „brachial“ oder zu viel „Romantik“ wollte: Bei ersterem machte der Techniker u.a. in „Finsternis“ der Band einen gewaltigen Strich durch die Rechnung, denn der Sound schlug bei den auf extrahart getrimmten Instrumentalpassagen massivst auf das Trommelfell und dadurch auch irgendwann auf den Gemütszustand. Bei zweiterem ließ sich die LI von ihrem Pseudo-Alleinstehungsmerkmal treiben: ein ganzer Balladenblock mag bei einer entsprechenden Qualität durchaus akzeptabel sein, doch sollten nicht ganze Stunden durchzogen werden von schmalzigem Kitsch und dadurch ein ganzes Konzert zu einer fragwürdigen Singlebörse mutieren (wenngleich Sänger Holly vor „Wir sind allein“ darauf hinwies, dass die Instanz gerade darauf stolz ist…). Bis auf den Melodie- und Gesangspart von „Komm!“ sowie den Nicht-Akustikteil des Klassikers „Ohne Dich“ gab es für mich musikalisch dort rein gar nichts zu holen, da die poppige Eintönigkeit regierte und jegliche Abwechslung vermissen ließ. Außerdem sollten sich die Berliner ernsthaft darüber Gedanken machen, einen Keyboarder in ihre Reihen aufzunehmen. Auf Dauer sind die Synthieelemente leider zu präsent und auffällig.
Besserung trat erst im Zugabenblock ein: Zwar sollte Holly D. bei „Jeden Morgen“ den stimmlichen Vergleich zu seinem Voränger Robin Sohn ebenso meiden wie Duette mit Mina Harker, doch fand man besonders mit „Mein Engel“, „Kalter Glanz“ und „Rapunzel“ einen würdigen Abschluss. Die obligatorischen gefühlten 23 Minuten bei „Wir Sind Allein“ lasse ich an dieser Stelle größtenteils unkommentiert. Es gehört wohl einfach dazu, genau wie „Julia und die Räuber“ bei Subway to Sally, und wirkt an manchen Tagen besser als an anderen. Zu vorgeschrittener Stunde passte es jedenfalls zur Stimmung im Münchner Backstage, wenngleich das Open-Air-Flair des diesjährigen Schlosshof Festivals fehlte und man kompositorisch gerne endlich Alternativen auf die Beine stellen darf. 2011 wird die Instanz wohl den nächsten Versuch dahingehend unternehmen.

Wie die Alben und die Karriere der Instanz hatte das Gastspiel in München zwei Gesichter: einerseits ein sympathisches, ehrliches Rockgewand mit vereinzelt auch passenden ruhigen Momenten und andererseits ein zu kalkuliert wirkendes Anstiften zum Gruppenkuscheln. Wer rotzen und rocken mit am besten kann, sollte das auch gefälligst mit am häufigsten tun und sich nicht in ein zu enges Korsett aus Luft & Liebe pressen. In manchem Rockgewand verbirgt sich besonders bei der Letzten Instanz mehr Gefühlstiefe als in den „üblichen Verdächtigen“.

Eröffnet wurde der Abend von der Gesangslottierie der bereits oben kurz angesprochenen Vorband namens MINA HARKER. Dabei traf die Sängerin bzw. Namenspatin der Darkwave-Kombo bestenfalls 6 aus 49 Tönen und fiel eher durch die Spiegeleffekte auf ihrem Oberteil auf. Musikalisch bewegten sich die knapp 40 Minuten stets zwischen einer Mischung aus LaFee und Eisblume auf Ecstasy. Die Arrangements taten größtenteils nicht weh, brachte aber auch niemanden weiter und glänzten vereinzelt durch eine auffällige Einfallslosigkeit. Ob Mina Harker bereits für sich selbst in ihrer musikalischen Realität angekommen sind, darf indes bezweifelt werden: Anders kann ich mir die wohl ernst gemeinte Frage „Kennt ihr das?“ vor einem völlig unbekannten Stück nicht erklären.

Setliste:
01. Intro
02. Dein Gott
03. Schau In Mein Gesicht
04. Neue Helden
05. Atme!
06. Der Garten
07. Maskenball
08. Schlaf, Schlaf
09. Flucht Ins Glück
10. Tanz
11. Dein Licht
12. Monument Der Stille
13. Ohne Dich
14. Eismeer
15. Der Letzte Tag
16. Komm!
17. Finsternis

19. Mein Engel
20. Jeden Morgen
21. Mein Todestag
22. Wir Sind Allein

23. Kalter Glanz
24. Rapunzel
25. Winterträne

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