Festivalbericht: Prognosis Festival 2019

22.03.2019 - 23.03.2019 Eindhofen (NL)

Erstmals  findet 2019 das PROGNOSIS-Festival in Eindhoven (NL) statt. Dass Besucher aus vielen benachbarten Ländern anzieht, liegt nicht zuletzt daran, dass es die Initiatoren zusätzlich zu den versammelten, hochkarätigen Bands aus dem Metal-, Prog- und sogar Jazz-Bereich interessante Extras wie Lehrkurse („Clinics“) in Gesang, Schlagzeug oder Gitarre ins Programm aufgenommen haben. Um alles unterzubringen, werden gleich zwei Clubs gemietet: das Dynamo für die Clinics und das zu Fuß etwa fünf Minuten entfernte Effenaar, das auf zwei übereinanderliegenden Stockwerken die Konzerte beherbergt. Hierbei bleibt der kleinere Raum mit einer Kapazität für geschätzt 500 Besucher den weniger bekannten Bands vorbehalten, während die größere Halle bis zu 1.300 Leute fasst.

Da es auch Tagestickets gibt, ist der Festival-Freitag bereits Wochen vorher ausverkauft, während es für den Samstag vor Ort noch Tageskarten gibt. Dies könnte vielleicht daran liegen, dass LEPROUS am Freitag eines der Lieblingsalben ihrer Fans, „The Congregation“, vollständig spielen wollen – ein absolutes Novum, das Fans aus aller Herren Länder nach Eindhoven zieht.

Freitag, 22.03.2019

Doch der Freitag beginnt zuerst mir etlichen „Clinic“-Stunden. Unter anderem gibt sich Leprous- und Ex-Borknagar-Trommler BAARD KOLSTAD die Ehre und erklärt eine Stunde lang den Anwesenden (die zu 50% aus Leprous-Fans und zu 50% aus Schlagzeugschülern bestehen) allerhand knifflige Spieltechniken, lässt es sich aber auch nicht nehmen, seinen unvergleichlichen Charme zu versprühen, indem er (vielleicht ungewollt) einige witzige Pointen zum Besten gibt.

Auch Devin Townsend (der wohl keiner weiteren Vorstellung bedarf), Cellistin Jo Quail (bekannt als Live-Musikerin für Myrkur) oder Haken-Keyboarder Diego Tejeida geben sich die Ehre, indem sie Unterricht geben. Nur Devin Townsend beschränkt sich an diesem Tag mit einem Referat über die Beziehung zwischen Agent, Veranstalter und Künstler.

WHEEL eröffnen am Freitag in der kleineren Halle den Live-Abend. Es ist der erste Auftritt der Finnen auf niederländischem Boden. Die Prog-Metaller kommen in dunkle Kapuzen gehüllt auf die Bühne und eröffnen mit dem Track „Vultures“ von ihrem neuen Album „Moving Backwards“. WHEEL geben sich Mühe, mit schweren Gitarrenklängen, musikalischen Kniffeleien und eingängigem Gesang zu punkten, und können das Publikum tatsächlich schnell auf ihre Seite ziehen, wenngleich die Einflüsse von Tool und A Perfect Circle nicht zu überhören sind.

THE GATHERING sind ein weiterer Publikumsmagnet, da sie ein Auto-Reverse-Set für diesen Abend angekündigt haben. Viele Fans hegen wahrscheinlich die Hoffnung, dass auch Ex-Sängerin Anneke van Giersbergen als Gast dabei sein wird, schließlich ist sie vor Ort und hat einen Slot im Samstags-Set von Devin Townsend. Diese Hoffnung wird leider nicht erfüllt – kaum nachvollziehbar, war Anneke doch von 1994 bis 2007 wichtiger Teil der Band. Doch auch in der aktuellen Besetzung wissen THE GATHERING zu überzeugen. Silje Wergeland brilliert am Mikrofon. Auch ist sie charmant, begrüßt sogar von der Bühne herab ihr bekannte Fans im Publikum und singt hingebungsvoll jeden Ton des anspruchsvollen Sets aus. Währenddessen spielen sich die anderen Musiker die Finger wund, um bei den wuchtigen, zum Teil schwermütigen Klanggebilden die richtige Atmosphäre zu erschaffen. „Broken Glass“, das tiefgehende „Eléanor“, „Saturnine“ oder auch „Nighttime Birds“ finden ihren Weg is Set. Und obwohl manch einer meint, THE GATHERING hätte ihren Zenit bereits überschritten, sieht man im Publikum nichts als glückliche Gesichter.

Mit der Buchung der britischen Künstlerin JO QUAIL beweisen die Veranstalter Geschmack. Die Cellistin, die bereits Myrkur live unterstützt hat, bietet heute in der kleinen Halle im Alleingang ein breites Spektrum an Klanggebilden. So kreiert sie auf ihrem elektronischen Cello einen Mix aus Klassik, Jazz und abgefahrenen Klängen, deren korrekte Kategorisierung selbst dem hartgesottensten Musikrezensenten die Schweißperlen auf die Stirn treiben würde. JO QUAIL setzt auf Stimmungen, von zart bis fordernd zaubert sie auf ihrem Instrument alles und erschafft so schmeichelnde wie auch befremdliche Sphären. Die Besucher geraten in genussvolle Trance – bei den leisen Parts wagt es niemand, auch nur zu atmen. Ganz großes Kino!Im Übrigen gibt es auch fortlaufend Autogrammstunden. Leider fehlen hier die großen Namen wie Devin Townsend, TesseracT oder The Gathering, aber zumindest die heimlichen Lieblinge des Festivals wie Soen, Leprous, Haken oder auch Green Carnation lassen es sich nicht nehmen, Zeit mit ihren Fans zu verbringen.

Nun wird es kritisch im Effenaar, denn die Spielzeiten in beiden Hallen beginnen, sich zu überschneiden. Wer also Leprous und das in letzter Zeit sehr gehypte ALEX SKOLNICK TRIO sehen möchte, hat Pech und muss sich entscheiden. Auch ist es nicht so einfach, einfach die Räume zu wechseln, um mal hier und mal da zu schauen, denn erstens muss man einige Treppen hoch- beziehungsweise runtersteigen und den Cateringbereich durchqueren, und zweitens wurden bei den möglichen Besucherzahlen wahrscheinlich einfach beide Kapazitäten zusammengerechnet. So kommt es, dass an beiden Tagen mehrfach enttäuschte Fans nicht in die kleinere Halle kommen, weil diese bei den allzu gut besuchten Bands kurzerhand wegen Überfüllung geschlossen wird. In die größere Halle kommt man zwar jederzeit, muss sich dann aber ersteinmal durch die Menschenmasse kämpfen, um noch einen annehmbaren Platz zu finden.

Pünktlich um 20:45 Uhr entern LEPROUS die Hauptbühne, um eine Once-In-A-Lifetime-Show zu spielen. Auf Anfrage des Veranstalters hin haben sie zugesagt, das komplette 2015er Album „The Congregation“ einmal komplett zu spielen. Mit „The Price“ legen die Norweger los und von der ersten Sekunde an ist klar, dass dieses Auswärtsspiel zum Sieg führen wird. Die international angereisten Fans feiern jeden einzelnen Track und singen alle Lyrics vom ersten bis zum letzten Wort mit. Bei Nackenbrechern wie „Third Law“ gibt es sowieso kein Halten mehr, aber auch die Live-Premiere von „Within My Fence“ führt zu Begeisterungsstürmen. Das Album enthält tatsächlich etliche Favoriten der Fans, zum Beispiel „Moon“, das live leider gekürzt gespielt wird, aber auch eine Reihe tiefgehender, schwermütiger Herzschmerzsongs wie „Red“, „Down“ oder „Slave“, die LEPROUS allesamt mit Bravour meistern, ehe der traurigste Song („Lower“) diesen einzigartigen Auftritt in sein Finale führt. Da tatsächlich noch etwas Spielzeit übrig ist und die Fans nach all den tragischen Liedern noch etwas Lebhaftes gut verkraften können, hängen LEPROUS zusätzlich zu „The Cloak“ noch „Stuck“ und „From The Flame“ vom letzten Album „Malina“ an, bevor sie schweißgebadet die Bühne verlassen.Viele sind gekommen, um sowohl SOEN als auch Haken und Leprous zu sehen. Daher ist es bitter, dass sich die Fans wegen überschneidender Spielzeiten entscheiden müssen. Während des Auftritts von SOEN ist die kleine Halle so überfüllt, so dass sie aus Sicherheitsgründen kurzerhand geschlossen wird. Dies dürfte SOEN ehren, letztendlich hätten auch sie einen der Headliner-Slots verdient. Bereits bei den ersten Tönen ist klar, dass die Chemie zwischen Sänger Joel Ekelöf und den SOEN-Fans heute eine ganz besondere ist, da er intensiv auf Tuchfühlung geht und seine Fans mit seiner seidenweichen Stimme immer direkt ansingt. Auch dadurch, dass die Bühne so tief und der Raum so klein ist, hat der Auftritt eine besonders intime Atmosphäre. Hingebungsvoll spielen sich SOEN durch ihr Repertoire aus Songs wie „Covenant“, „Opal“ oder „Savia“. Und so darf natürlich auch „Rival“, die erste Single des neuen Albums, nicht fehlen, genau wie „Lotus“ selbst, das den Gig gebürend beendet und eine rundum zufriedene Fan-Schar zurücklässt.Wie Leprous haben auch HAKEN anderthalb Stunden Spielzeit. Dieses großzügige Festivalkonzept scheint Vorteile für die Fans zu haben, da offensichtlich von Anfang an klar ist, dass sich auch eine weite Anreise lohnt. So verwundert es nicht, dass auch die englischen Prog-Metaller HAKEN aus dem Vollen schöpfen und alles auffahren, was an Show und Emotion möglich ist.Gleich im ersten Moment, als Sänger Ross Jennings zu „The Good Doctor“ die Bühne betritt – oder vielmehr einnimmt – ist klar, dass er unter all den geborenen Entertainern des Abends der agilste ist. Er springt und post und scheint jede Sekunde mimisch etwas anderes auszudrücken: Man kann nicht eine Sekunde lang wegsehen. Die anderen Musiker können hier showtechnisch kaum mithalten, sorgen aber zumindest musikalisch für Qualität auf hohem Niveau. Viele alte und neue Songs schaffen es in die Setliste, natürlich bevorzugt die vom neuen HAKEN-Album „Vector“, wie „A Cell Divides“, „Puzzle Box“ oder „Nil By Mouth“, aber auch für „Greatest Hits“ wie „Cockroach King“ bleibt genügend Zeit. Die Hoffnungen auf einen Gastauftritt von Leprous‘ Einar Solberg zum Song „The Architect“, für den er auf dem Album „The Mountain“ Gastgesang beigesteuert hat, erfüllen sich nicht: Zwar wird der Track gespielt, aber ohne Einar.

Dennoch sind die Fans am Ende der Show und des ersten Festivaltages hochzufrieden. Es werden viele neue Freundschaften geschlossen in den engen Gängen bei Bier und bei Schwätzchen mit den Musikern, die sich unters Volk gemischt haben. Man freut sich auf den nächsten Tag.

 

Samstag, 23.03.2019

Bereits am Vormittag geben sich die Künstler im Dynamo die Klinke in die Hand und geben eine „Clinic“ nach der anderen. Anneke van Giersbergen (ehemals The Gathering) gibt Gesangsunterricht für geschätzt 50 Leute, Giancarlo Erra von der Band NOSOUND erklärt technische Details zum Sound-Mix eines Konzerts. Aber die bestbesuchte Clinic ist mit Sicherheit die von DEVIN TOWNSEND. Etwa 200 Besucher schauen zu, wie er sein Songwriting und -recording erklärt. Er gestaltet es wirklich kurzweilig und ist sich für keinen Gassenhauer zu schade. Als er merkt, dass die Zuschauer am großen Bildschirm im Hintergrund sein Passwort „123“ mitlesen konnten, erklärt er, dass er es natürlich sofort in „12345“ ändern wird, damit es sicherer ist. Man darf die Idee der Coachings und Referate also als vollen Erfolg verbuchen. Nachahmer sind auf deutschem Raum gerne willkommen.

Bereits seit 2002 gibt es die Band NOSOUND des italienischen Gitarristen Giancarlo Erra. Die Band spielt Alternative-Post-Rock mit elektronischen Ambient-Elementen. Dieser sehr spezielle Stil zieht zum Auftakt des Festivaltags nicht ganz so viele Besucher an – wahrscheinlich vermehrt Fans, die selbst Gitarre spielen und sich etwas von Giancarlos unglaublichen Fähigkeiten abschauen wollen. NOSOUND sind wohl eher ein Underground-Tipp, haben sich aber aller Orten Respekt erarbeitet und konnten in der Vergangenheit schon Künstler wie Vincent Cavanagh von Anathema oder Chris Maitland von Porcupine Tree als Gastmusiker auf ihren Alben verpflichten. Heute spielen sie erstmals mit einem neuen Schlagzeuger, aber alles läuft bestens. NOSOUND haben Songs aus verschiedenen Epochen vorbereitet. „This Night“, „Evil Smile“ oder auch „Wherever You Are“ begeistern die Anwesenden, bevor die Band diesen musikalisch hochwertigen Gig mit „She“ ausklingen lässt.Wahrscheinlich hatte niemand wirklich gedacht, dass GREEN CARNATION an alte Zeiten anknüpfen können. Aber nachdem sie die Prognosis-Bühne im Sturm erobert haben, hört man allerortens nur Lob. Niemand Geringerer als Tchort (Carpathian Forest, Blood Red Throne, ehemals Satyricon) steht auf der Bühne. Wegen seines Weggangs zu Emperor lagen GREEN CARNATION viele Jahre auf Eis. Doch alte Liebe rostet nicht und die Band spielt immer mal wieder vereinzelte Gigs. Aber natürlich ist es vor allem Kjetil Nordhus (auch Sänger in Tristania), der mit seiner vollen, tiefen und tragenden Stimme bleibenden Eindruck hinterlässt. In Kombination mit eingängigen Melodielinien, mitreißenden Gitarrenriffs und gutem Songwriting wissen die Norweger das Publikum ad hoc mitzureißen. So können die GREEN-CARNATION-Fans nach vielen Jahren erstmals wieder „My Dark Reflections Of Life And Death“ live erleben. Aber auch die anderen Tracks wie „Lullaby In Winter“, der neue Song „Sentinels Of Chaos“ oder „Crushed To Dust“ werden abgefeiert. Es gibt sogar eine Live-Premiere, nämlich die elektronische Version von „Sweet Leaf“. Es bleibt zu hoffen, dass diese außergewöhnlich gute Liveband demnächst das doch das seit langem geplante neue Album fertigstellen wird.

DEVIN TOWNSEND tourt zur Zeit mit einer Akustik-Show durch Europa. Wer da denkt, „akustik“ wäre weniger spannend als eine ganze Band, kennt wahrscheinlich die starke Bühnenpräsenz von DEVIN TOWNSEND noch nicht, den der geneigte Metaller wahrscheinlich noch als Ex-Sänger von Steve Vai kennt. Der kanadische Meister, der in seinen Prog auch viele andere Stile einfließen lässt, ist der geborene Alleinunterhalter. Er kommt nur mit Gitarre bewaffnet auf die Bühne und scherzt von Anfang an mit dem Publikum, unterbricht direkt auch gerne mal seine Songs, um eine Story zu erzählen, die ihm zum Thema der Lyrics zusätzlich gerade einfällt, oder einfach um auf einen Zuruf eines Fans aus dem Publikum zu antworten. Dies kann man sich natürlich nur erlauben, wenn man so ein professioneller Musiker mit einer solch grandiosen Stimme ist. So eröffnet DEVIN TOWNSEND den Auftritt mit „Let It Roll“, gefolgt von allerlei Fan-Lieblingen wie „Solar Winds“, „Funeral“ oder „Deadhead“. Aber den Höhepunkt der Show bildet der Gastauftritt von Anneke von Giersbergen, die zum Song „Ih-Ah!“ ein stimmgewaltiges Duett mit Devin schmettert. Auch das Josh-Groban-Cover „Bring Him Home“ schafft es in die Setlist. So garantiert auch die Akustikshow von DEVIN TOWNSEND allerbeste Unterhaltung: Man wird zwischen Humor und stimmgewaltigen Songs hin- und hergeworfen und weiß am Ende kaum noch, wie einem gerade geschehen ist. Beide Daumen hoch.TESSERACT aus England bilden den krönenden Abschluss des Festivals. Sänger Daniel Tompkins schiesst zum dreiteiligen Opener „Concealing Fate“ auf die Bühne, springt, rockt, rennt mit scheinbar endloser Energie herum, sodass selbst die Fotografen im Fotograben um ihre Sicherheit fürchten, wenn er einfach über sie springt, um im Publikum weiterzusingen. Was für ein Energiebündel! Man kann sich kaum vorstellen, wie er es bei all der Action noch schafft, die Lieder mit glasklarer Stimme und ohne Wackler zu singen. „Luminary“, „Survival“, „Dystopia“ und viele weitere werden außerdem durch eine perfekte Lichtshow untermalt. Ein paar technische Probleme werden kurzerhand mit viel Charme und Bewegung auf der Bühne überspielt. Das Publikum flippt total aus, und nachdem einer anfängt, sein Bier über die Köpfe der Besucher zu schleudern, machen es andere nach. Eine verrückte Stimmung! Jetzt ist auch klar, warum man TESSERACT den finalen Slot zugedacht hat, obwohl Devin Townsend fraglos bekannter ist. Aber die Briten um den barfüßigen Bassisten Amos Williams und den hyperaktiven Daniel Tompkins wissen einfach, wie man mit dem Publikum feiert, ohne dass die Qualität der Musik leidet. Nach einer anderthalbstündigen Show beenden TESSERACT mit „Juno“ – fraglos dem Lieblingssong der Fans – ihren Auftritt.

Die Niederlande sind wahrlich die Hochburg des Prog-Metal. Ein kleines Festival jagt das nächste. Und trotzdem scheinen alle gut besucht zu sein und ihre Berechtigung zu haben. Vom PROGNOSIS wird man mit Sicherheit noch öfter hören.

Publiziert am von Uta A. (Gastredakteurin)

Fotos von: Uta A. (Gastredakteurin)

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