Konzertbericht: Russian Circles /w Deafheaven

2012-04-07 München, Kranhalle

Unverhofft kommt oft: Nachdem Russian Circles bereits letztes Jahr im Sommer noch vor der Veröffentlichung ihres neuen Albums einen kurzen Zwischenstopp in München einlegten und Deafheaven der bayrischen Landeshauptstadt erst Anfang Februar einen Besuch auf ihrer Europa-Tour abgestattet hatten, konnte Deafheaven-Frontmann George Clarke bereits nach dem Februar-Konzert ankündigen, dass sich beide Bands im April und Mai zusammen tun würden, um auf einer ausgedehnten Tour gemeinsam europäische Bühnen mit ihrem mächtigen Sound einzunehmen. Liest sich die Kombination des treibenden Post Rock von Russian Circles und dem dreckigen Black Metal von Deafheaven zunächst merkwürdig, ist beiden Bands eine experimentelle Herangehensweise an ihre Musik sowie der Ruf als begnadete Live-Band gemeinsam, was die Kombination schließlich durchaus logisch erscheinen lässt. Die erwartungen an ein beeindruckendes Konzert in der ausverkauften Kranhalle, welche für ihren guten Sound bekannt ist, sind dementsprechend hoch.

Das Münchner Publikum sieht das scheinbar ähnlich, und so füllt sich die Kranhalle von 19 Uhr an stetig, um zum pünktlichen Konzertbeginn um 20 Uhr bereits mit einer beachtlichen Menschenmenge aufzuwarten. Als DEAFHEAVEN ohne Intro die Bühne betreten, ist ihnen die Besucherzahl allerdings wahrscheinlich bereits egal, da die Band aus San Francisco bei Live-Auftritten ihr Publikum quasi gar nicht beachtet und vollständig in ihrer eigenen Welt versinkt. Nach kurzen Sound-Abstimmungen ertönen die ersten Töne des Album-Openers „Violet“, George Clarke krallt sich an seinem Mikrophon-Ständer fest und die restlichen Mitglieder der jungen Band aus San Francisco schließen die Augen. Nach dem verträumten Beginn wird mit dem Einsetzen der Blastbeats die große Stärke, aber auch die große Schwäche des heutigen Abends offensichtlich: Der Sound. Im Vergleich zum Gig im wesentlich kleineren Sunny Red vor zwei Monaten glänzt die Kranhalle heute zwar mit einem mächtigen und druckvollen Sound, wie ich ihn persönlich selten in dieser Location gehört habe – gleichzeitig ist Kerry McCoys rifflastige Gitarre viel zu laut eingestellt, während Nick Bassets Melodielinien viel zu leise sind und somit insgesamt das Wechselspiel zwischen beiden nicht funktioniert. Ein ähnliches Problem findet sich bei der Schlagzeug-Abmischung: Die Snare Drum ist hier im Vergleich zum knackigen Bassdrum-Sound nicht laut genug. War der Sound im Sunny Red einfach nur dreckig, dabei aber eben auch großartig aufeinander abgestimmt, ist heute alles etwas trockener und dadurch leider auch glatter.
Das ändert allerdings nichts an dem Effort, welchen DEAFHEAVEN in ihre Darbietung legen: Während die Bandmitglieder häufig mit geschlossenen Augen und leicht wippend ihre Mischung zwischen atmosphärischen und sehnsüchtigen Post-Rock-Elementen und aggressivem, verzweifelten Black Metal darbieten, geht Sänger George wie immer voll in seinem Element auf. Mit einem Bein auf dem Verstärker und dem Mikrophon-Ständer fest mit beiden Händen umklammert, keift und brüllt er mit irrem Blick seine Texte ins Publikum. Ansagen sind hier Fehl am Platz, die Songs werden durch Gitarrenloops verbunden, und nach vier Songs in knapp 40 Minuten verlässt die Band mit einem kurzen Nicken und einem Blick ins Publikum die Bühne. Das während dem Konzert immer zahlreicher gewordene Publikum erwacht aus seiner ehrfürchtigen Stille und verabschiedet die Band mit lautem Applaus.
Mit ihrer eigenen Herangehensweise an ihre Musik und ihrem für dieses Genre absolut untypischen Auftreten zeigt die Band, dass Black-Metal durchaus progressives Potential besitzt und nicht an irgendwelche Codes gebunden sein muss, um zu begeistern. Dennoch bleibt der Auftritt im Sunny Red heute unerreicht.

Dass sich der durch Rot- und Blautöne geprägte, minimale Lichteinsatz, welcher bei Deafheaven vorherrschte, bei den nun folgenden RUSSIAN CIRCLES nicht wiederholen wird, zeigt der kurze Umbau und das damit einhergehende „Bühnenbild“: Gleichmäßig auf der Bühne verteilt werden in Kopfhöhe der Bandmitglieder vier Glühbirnen aufgestellt – mehr Licht gibt es nicht und, wie sich im Verlauf des Konzerts zeigen sollte, mehr Licht braucht es auch nicht. Beim Betreten der Bühne winkt die Band aus Chicago kurz in die randvoll gepackte Kranhalle, beginnt einige sphärische Töne zu spielen um schließlich ihr Set mit „Harper Lewis“ zu eröffnen. Was in den folgenden gut 60 Minuten passiert, muss man wohl selbst gesehen haben, um es zu glauben: Die Lautstärke, welche bereits bei Deafheaven im oberen Dezibelbereich gelegen hatte, wird hier noch einmal deutlich nach oben angehoben, was die immer wieder einsetzenden mächtigen Wall of Sounds noch gewalttätiger erklingen lässt, als dies bereits auf den Alben der US-Amerikaner der Fall ist. Wie es überhaupt möglich ist, mit lediglich drei Instrumenten eine derartige Klangkulisse aufzuziehen, bleibt mir nach wie vor unerklärlich. Unentwegt loopen sich die Bandmitglieder, spielen alles auf den Punkt und zeigen so ihre unbestreitbare musikalische Klasse. Das Publikum in der Kranhalle reckt die Fäuste in die Luft, nickt mit den Köpfen und bejubelt jeden Song frenetisch, während die Band sich auf der Bühne einfach auf das Wesentliche konzentriert und ihre Musik darbietet, welche durch die bereits beschriebene, absolut stimmige Licht-Atmosphäre noch einmal unterstrichen wird. Vor allem die Songs des neuen Albums „Empros“ wissen live mitzureißen: Während diese auf der Platte leider etwas schwachbrüstig abgemischt sind, ist bei der Live-Darbietung dieser Songs deutlich, wie unglaublich mächtig das vierte Album von RUSSIAN CIRCLES eigentlich hätte klingen können. Dass sich das Set vornehmlich aus älteren Songs zusammensetzt und vor allem das epische „Youngblood“ von den anwesenden Konzertbesuchern gefeiert wird, stellt schließlich keine Überraschung dar.
Was Schlagzeuger Dave Turncrantz vor dem letzten Song ankündigt, lässt dann aber wohl auch den letzten Zuschauser sprachlos zurück: „Ok guys, we’re sorry, this will be our last song. Mike broke his thumb a few days ago, so we have to stop now, although we’d love to play longer for you.“ Wie Gitarrist Mike Sullivan es zu Stande bringt, mit einem gebrochenen Daumen derartige Tappings und Riffs zu spielen und sich dabei nicht mal im Ansatz etwas anmerken zu lassen, verdient mehr als nur Respekt. Nach 60 Minuten verlässt die Band schließlich die Bühne und wird von einem begeisterten Publikum mit Jubelschreien und Applaus verabschiedet.

Die Kombination aus zwei musikalisch unterschiedlichen Genres hat an diesem Abend, trotz der zunächst aufgetretenen Soundprobleme, reibungslos funktioniert. Dass die Qualität der jeweils letzten München-Auftritt der Band heute nicht ganz erreicht werden konnte, ist quasi zu vernachlässigen, war das, was die beiden Bands dargeboten haben doch immer noch besser als 90% der derzeitigen Konzertlandschaft. Die Hoffnung, dass beide Bands bald wieder in Europa landen ist nach diesem Konzert ungebrochen – dürften weitere Konzerte doch absolute Pflichttermine darstellen. Gerne auch wieder in dieser Kombination.

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