Konzertbericht: Saint Helena Festival 2017

24.06.2017 Feierwerk (Kranhalle & Hansa39)

Ursprünglich als St. Helena Doom Fest bekannt, firmiert das 2011 gegründete und unter Genrefans geschätzte Indoor-Festival des Feierwerk München seit diesem Jahr unter dem neuen Namen SAINT HELENA FESTIVAL. Warum, erklärt der Blick aufs Billing: Waschechter Doom, wie noch in den Vorjahren, ist diesmal kaum vertreten. Statt dessen liegt der Fokus klar auf den extremen Verwandten der Spielart – von atmosphärischem Black Metal bis hin zu Crust/Hardcore ist alles vertreten.

Nicht zuletzt, da die meisten Bands im Billing noch nie oder zumindest lange nicht in München waren, findet das Festival, dessen ursprünglicher Headliner Crippled Black Phoenix leider im Vorfeld wieder abgesagt hatte, dennoch seine Interessenten: Trotz sommerlichen Temperaturen herrscht schon am frühen Nachmittag reges Treiben vor den dem Feierwerk München, das diesmal in gleich zwei Hallen (Hansa39 & Kranhalle) abwechselnd Raum für düstere Klänge bietet.

Wer von Anbeginn an mit von der Partie sein will, bekommt jedoch gleich einen herben Dämpfer verpasst: Der Auftritt des Openers CRANIAL entfällt aufgrund eines Todesfalls im familiären Umfeld der Band. Somit ist es um 15:35 Uhr an PHANTOM WINTER, das Saint Helena Fest zu eröffnen. Obwohl draußen sommerliche, in der Halle jedoch fast tropische Temperaturen herrschen, kann sich die Band – wie Cranial ein Nachfolgeprojekt der Doom-Band Omega Massif – nicht über mangelnden Zuspruch beklagen. Zufrieden dürften auch die Fans in der bereits gut gefüllten Halle sein: Getragen vom fetten Sound ihrer drei Mesa-Boogie-Amps legen PHANTOM WINTER nur von schwachblauen Lampen auf dem Bühnenboden stimmig in Szene gesetzt eine mitreißende Show hin, die auch von einem technischen Problem mit einer der Gitarren nicht ernstlich gestört wird.

Mit WITCHTHROAT SERPENT steht anschließend eine der im Billing rar gesäten echten Doom-Kapellen auf dem Programm: Mit Schlaghosen und Weihrauch bedient das Trio gleich sämtliche Klischees – auf letzteres hätten sie allerdings besser verzichten sollen: Während bei dem Billing des diesjährigen Events unter den Anwesenden sowieso nicht all zu viele waschechte Doomer auszumachen sind, dürfte der intensive Räucherduft in der sowieso schon überhitzten Halle ausschlaggebend dafür sein, dass sich die Kranhalle nicht so recht füllen will. Etwas einzigartiges verpasst dabei niemand, gehen die Doom-Rocker doch nicht wirklich individuell zu Werke, so dass sich bei dem gefälligen Sound leider schnell ein Schonmal-gehört-Gefühl einstellt.

Unter dem Namen KING APATHY firmieren neuerdings die als generische Hype-Band verschrienen Post-Black-Metaller Thränenkind. Obwohl das Songmaterial natürlich nicht von jetzt auf gleich ausgetauscht wurde, sind die Auswirkungen des Namenswechsels ebenso wie seine Ursachen klar erkennbar: So präsentiert sich der Fünfer heute in weiten Teilen des Sets überraschend roh und Black-Metal-affin. Obwohl der Sound leider deutlich zu basslastig durch das Hansa39 dröhnt, weiß der Auftritt zu überzeugen: Gerade Fronter Nils Groth, früher als Drummer bei Fäulnis und Ophis aktiv, macht einen klasse Job und gibt KING APATHY heute, was Thränenkind früher gefehlt hat: Eier! In Zeiten, in denen sich gefühlt alle Bands in Richtung Post-irgendwas entwickeln, eine wirklich erfreuliche Überraschung.

Ebenfalls Black-Metal-affin, allerdings eher in Richtung „atmosphärischer Schrammel-Black-Metal mit Heulgesang“ gehen UNRU aus Bielefeld, die im Anschluss in der Kranhalle auftreten. Zwar ist die Inszenierung der Show mit weißem Licht und leichtem Nebel ähnlich innovativ wie der Sound der Band – in der Live-Situation funktioniert beides jedoch einwandfrei: Über das verglichen mit den anderen Bands des Tages etwas kürzere Set von rund 35 Minuten hinweg gelingt es der Band, die heute, um einen Mann reduziert, als Trio auftritt, eine packende Atmosphäre aufzubauen. Was will man mehr?

Schwarzmetallen geht es auch im Hansa39 weiter, wo HERETOIR erstmalig in München ihr neues Album „Circle“ präsentieren. Personell – von Bandkopf Eklatanz abgesehen – quasi mit King Apathy identisch, ist die Entwicklung der beiden Bands genau konträr: Während sich King Apathy dem „echten“ Black Metal erst mit dem Namenswechsel zugewandt haben, nehmen HERETOIR mit ihrem zweiten Studioalbum vom Depressive-Black-Metal aus den Anfangsjahren Abstand. Die neuen, von Alcest geprägten Elemente stehen der Band jedoch überaus gut zu Gesicht: Gerade der vermehrte Einsatz von emotionsgeladenem Klargesang sorgt für ein erfreuliches Plus an Abwechslung im Sound der Band. Das Feedback des Publikums im vor und neben der Bühne mehr als gut gefüllten Hansa39 lässt, den saunaartigen Bedingungen in der Halle zum Trotz, keinen Zweifel daran, dass HERETOIR damit auf dem richtigen Weg sind.

Roher wird es sodann auf der Bühne der Kranhalle, die ULTHA in einer absolut undurchsichtigen, von ein paar Scheinwerfern in sattes Rot getauchten Nebelwand verschwinden lassen. Die Musiker selbst sind während der gesamten Show nur für einige kurze Momente in den Schwaden auszumachen, so dass der Fokus voll auf der Musik der Kölner liegt. Obwohl extrem laut und druckvoll, fällt diese auf Dauer leider ähnlich abwechslungsreich aus wie die „Show“. So lebt der Auftritt gänzlich von einer Atmosphäre musikalischer und visueller Monotonie, die ohne Frage ihren Reiz hat, dem Hörer jedoch viel Aufmerksamkeit und Hingabe abverlangt. Das Publikum des Saint Helena Festivals ist jedoch gewillt, den erst 2014 gegründeten ULTHA beides entgegenzubringen, so dass es gerade im Eingangsbereich der Halle gesteckt voll ist. Im Rahmen des heute zu absolvierenden Musik-Marathons und bei den immer noch nahezu unerträglichen Temperaturen in der Halle ein wirklich beeindruckender Beweis der Hingabe, mit der die Fans heute an die Sache herangehen!

Weniger überraschend ist, dass sich das Interesse der Anwesenden an GHOST BATH, dem neuesten Black-Metal-Hype aus den USA, in Grenzen hält: Das Hansa39 ist zwar immer noch gut gefüllt, aber erstmalig an diesem Nachmittag nicht gesteckt voll. Und das zu recht: Was die Herren aus North Dakota in den folgenden 50 Minuten abliefern, kommt einer Black-Metal-Parodie näher als einem ernstgemeinten Auftritt. Pseudo-Corpsepaint und affektiertes Stageacting paaren sich hier mit langweiligen Songs nach „Schema F“, die trotz dreier Gitarristen (!) weniger fett klingen als Unru zu dritt. Den Vogel schießt jedoch Leadgitarrist多诺万ab, der dem Publikum mit ernster Mine (und merklich verstimmter Gitarre) primitive Tonfolgen als atmosphärische Melodien verkaufen will. Ob die Tatsache, dass der polarisierende Kreischgesang viel zu leise abgemischt ist, als weiteres Manko gewertet werden muss, ist fraglich – gegen die verzweifelten Screamser von Heretoir und Ultha hätte GHOST-BATH-Fronter Dennis Mikula aka. 丹尼斯 so oder so nur verlieren können.

Wer erst einmal genug Black Metal gehört hat, ist nun in der Kranhalle richtig – so er sich für Retro-Doom begeistern kann: Diesen präsentieren SALEM’S POT mit absolut wasserdichtem Konzept: Während auf der Leinwand psychedelische Videos durchlaufen, zelebrieren SALEM’S POT mit Karnevalsmasken und buntgemusterten Hemden Retro-Flair auf ganzer Linie. Nach dem bislang fast durchgehend extremen Sound eine willkommene Abwechslung im Billing des Saint Helena Festival 2017 – zugleich aber auch der krasseste Außenseiter. Dennoch geht das Interesse des Publikums über das von Schaulustigen hinaus, die von dem Auftreten der Band angelockt wurden: Bereits vor dem um 15 Minuten verzögerten Showbeginn warten die Fans vor der Halle, um anschließend direkt die vordersten Reihen zu belagern und die Band lautstark abzufeiern.

Erneut könnte der Kontrast krasser kaum sein: Auf die verspulten Klänge von Salem’s Pot folgt im Hansa39 mit FULL OF HELL das andere Extrem des diesjährigen Saint Helena Festivals: Grindcore, gepaart mit Noise. Zwar gehen die Grind-Songs gut nach vorne und sind in Sachen Aggressivität kaum zu toppen, die überlangen, live kreierten Noise-Interludes sorgen jedoch nicht unbedingt für einen Spannungszugewinn. Da auch die Musik von FULL OF HELL nicht unbedingt den Innovationspreis gewinnt, ist dieser Auftritt nur etwas für die ganz Hartgesottenen – allen anderen bietet die gemütliche Außenanlage des Feierwerk mit kulinarisch hochwertigem Essensangebot (vegan) bei dem schönen Wetter eine valide Alternative.

Nach der Absage von Crippled Black Phoenix wird DOWNFALL OF GAIA die Ehre des vorletzten Slots zuteil: Als letzte Band in der Kranhalle kann die international besetzte Band ihren Fans das volle Programm bieten. 50 Minuten lang wissen DOWNFALL OF GAIA mit ihrem groovig-düsteren Mix aus Sludge, Crust und Post-Black-Metal mitzureißen. Bei den Temperaturen, die in der Halle herrschen, wird die Show dennoch zur Grenzerfahrung – zumal die Aufnahmefähigkeit nach zehn Bands auch langsam nachlässt. Dass das Publikum dennoch quasi geschlossen in der Halle bleibt, zeigt, dass DOWNFALL OF GAIA der ihnen unverhofft zugedachte Rolle als Headliner in der Kranhalle heute mehr als gerecht werden.

Von der Hitze, aber auch der schieren Anzahl an Bands sichtlich gezeichnet, wandert die Masse anschließend hinüber ins Hansa39, wo TRAP THEM sie schon mit ihrem Mix aus Crust und Hardcore erwarten. Dass diese als letzte Band im Billing perfekt platziert sind, zeigt sich schon bei den ersten Tönen der Show: Mit einem Schlag scheint die Müdigkeit vom Publikum abzufallen, die letzten Energiereserven werden mobilisiert und entladen sich in wilden Moshpits. Crowdsurfer, Circlepits und lauter Beifall zeugen eindrucksvoll davon, was TRAP THEM aus dem nunmehr sieben Stunden lang quasi dauerbeschallten Publikum noch herauszuprügeln in der Lage sind. Ein grandioses Finale eines rundum gelungenen Festival-Tages!

Mit dem Namenswechsel hat sich das SAINT HELENA FESTIVAL (ehemals: St. Helena Doom Fest) vom starren Korsett des im Eventnamen verankerten Genre-Konzeptes frei gemacht. Im sehr Extreme-Metal-lastigen Billing sind die Doombands Witchthroat Serpent und Salem’s Pot klar die musikalischen Außenseiter. Obwohl das für Doom-Fans schade ist, die damit einen Fixtermin im Konzertjahr verlieren, geht das Konzept auf: Trotz Biergarten- oder Badesee-Wetter kann sich das Event über mangelnden Zuspruch nicht beklagen.

Neben nahezu ausnahmslos gelungenen Shows und einem stimmigen, aber abwechslungsreichen Billing weiß auch die Organisation zu überzeugen: Die Refundierung von immerhin acht Euro für den entfallenen Headliner (Crippled Black Phoenix) ist ebenso zu loben wie das (vegane) Essensangebot. Man darf gespannt sein, wie sich das SAINT HELENA FESTIVAL im kommenden Jahr stilistisch ausrichtet. Mehr Bands sollten es jedoch nicht mehr werden – schon mit der jetzigen Zahl von 12 (von geplanten 14) Bands stoßen eifrige Konzertbesucher, die nichts auslassen wollen, nicht nur der sommerlichen Temperaturen wegen an ihre Grenzen.

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