Konzertbericht: Shearwater w/ Nils Frahm

06.08.2010 München, Ampere

Und ein weiteres Mal ist es Zeit für einen „Non-Metal-Moment“, und zwar so, wie etwas nur überhaupt „Non-Metal“ sein kann: SHEARWATER sind wiedereinmal in der Stadt, und nachdem mich die Band aus Austin, Texas bereits das letzte Mal vollends verzaubern konnte, führt natürlich auch dieses Mal kein Weg an einem Konzertbesuch vorbei. Warum auch, etwas Besseres kann man bei derartig nasskaltem Viel-zu-Früh-Herbstwetter mit einem Donnerstagabend schließlich eh nicht anfangen…

Um kurz nach neun eröffnet NILS FRAHM den Abend am Klavier, welches, wohl nicht zuletzt aus Platzgründen, nicht auf der Bühne, sondern mitten im Zuschauerraum steht. Der Solokünstler präsentiert eine knappe Dreiviertelstunde hochemotionales Klavierspiel, das von ruhigen, sinnlichen Passagen bis hin zu kraftvollen, brachialen Parts einiges zu bieten hat und durchaus in der Lage wäre, in eine sehr gefühlsbetonte Welt zu entführen. Wären da nicht…
Genau. Wären da nicht zwei Faktoren ausserhalb der Macht des Künstlers, die es wahrlich schwer machen, sich auf die Darbietung zu konzentrieren: Zum einen scheint die Technik nicht ganz so zu wollen wie NILS FRAHM, so dass dieser mehrfach mit lauten Knaxern und Tonausfällen zu kämpfen hat – nicht unbedingt ideal, versucht man mit leiser, gefühlvoller Musik zu verzaubern. Zum anderen scheint der Veranstalter beziehungsweise Verantwortliche für den Barbetrieb nicht zu wissen, was sich gehört: Während bei anderen Konzerten dieser Art der Barbetrieb für die Dauer der Auftritte eingestellt wird, wird hier munter weiter verkauft – was nicht das Problem schlechthin wäre, würden die Bedienungen dabei nicht in ihrem Wechselgeld herumkruschen, als machten sie gerade Kassensturz. So entsteht eine gewisse Unruhe im Saal, die schlicht nicht nötig gewesen wäre – wäre wohl weder jemand verdurstet, noch weniger Geld an der Bar eingenommen worden, hätte man diese erst zwischen den Bands wieder eröffnet. Schade.
Dennoch eine beeindruckende Darbietung, die durch das von draussen hereindringende Rauschen des Regens, beziehungsweise der direkt an der Halle vorbeifließenden Isar stimmig untermalt wird.

Nach kurzer Umbaupause ist es dann um kurz vor Zehn bereits Zeit für das sympatische Nerd-Quintett um Sänger und Bandkopf Jonathan Meiburg: Egal, ob die dauergrinsende Kimberly am Bass, der bärtige, langhaarige Hornbrillenträger, der im Gegensatz dazu den kompletten Gig über kein einziges mal den Anatz eines Lächelns zur Schau stellt, der zottelige, treuherzig dreinblickende Schlagzeuger, der kurzhaarige, nüchtern dreinblickende Musiker oder Jonathan selbst, der mit seinem sympathisch-irren Blick den Bilderbuch-Musikernerd abgibt – die Band könnte nicht bunter, aber dafür auch nicht passender zusammengestellt sein.
Dass die Aufzählung der Musiker eben ohne eine konkrete Besetzungszuordnung auskommen musste, hat dabei einen einfachen Grund: SHEARWATER haben deratiges nicht nötig. So wechelt während des gut 80minütigen Gigs bis auf Bassistin Kimberly die komplette Band quer über alle Positionen: Meiburg selbst wechselt zwischen Piano und Gitarre, seine Mitstreiter quer durch den Musikladen hin und her, bis quasi jeder mal am Schlagzeug gesessen hat und von Trompete über Oboe, einem zweiten Bass, Xylophon (bedient durch den Schlagzeuger mittels eines Streicherbogens), Percussions oder einer zweiten Gitarre alles einmal aufgetaucht ist.
So schaffen es SHEARWATER, die Songs nahezu exakt so klingen zu lassen, wie sie dies auf den Alben tun. Dies ist vor allem Hinsichtlich der Sangesleistung Meiburgs auf CD eine beachtliche Leistung: Spielend wechselt der Ausnahmesänger zwischen den unterschiedlichsten Tonlagen hin und her, lässt hohen Knabengesang und kräftige Männerstimme scheinbar stufenlos ineinander übergehen und stellt dabei eine Treffsicherheit hinsichtlich der einzelnen Töne zur Schau, die mich, wie schon beim ersten Konzert, das ich von dieser Band miterleben durfte, schlicht sprachlos macht. Unsauber gesungene oder nicht getroffene Töne sucht man hier vergebens – über die komplette Länge des Konzertes erlaubt sich Meiburg keinen einzigen Patzer und singt, als nähme er gerade ein Album auf.
Diese musikalische Perfektion, wie man sie wirklich nur selten erlebt, in Verbindung mit den teils witzigen, teils schrullig-sympathischen Ansagen und kurzen, zwischen den Songs erzählten Anekdoten, verbinden sich zu einem bleibenden Gesamteindruck: Hier wird Musik gelebt, und das auf einem Niveau, von dem tausende andere nur träumen können. Ausdrucksstark, emotional, professionell – SHEARWATER vereinen so ziemlich jedes Attribut, das für Qualität steht, in sich.

Aber wie klingen SHEARWATER denn nun eigentlich, mag sich der ein oder andere Leser sich nun vielleicht fragen. Denn richtig, der komplette Konzertbericht kam gut ohne jegliche Beschreibung des musikalischen Schaffens jenes Quintetts, das es mir so angetan hat, aus – und das nicht grundlos. Der Versuch, SHEARWATER in Worte zu fassen, wäre schlicht und erfreifend zum Scheitern verurteilt, und damit reine Zeitverschwendung. Von (Irish) Folk bis Indie, von Experimental bis zu Psychedelic Rock – irgendwie steckt alles ein wenig drin in der Musik von SHEARWATER – und doch trifft nichts davon den Nagel auf den Kopf. Doch wofür auch lange Worte über Genreschubladen verlieren… wer durch diesen Bericht neugierig geworden ist, sollte einfach bei Myspace oder besser noch: Gleich bei einem Konzert der Herren und der Dame vorbeischauen.
Es lohnt sich. Garantiert.

Publiziert am von

Fotos von: Moritz Grütz

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert