Konzertbericht: Steven Wilson

02.04.2015 München, Alte Kongresshalle

Mit „Hand. Cannot. Erase“ lieferte STEVEN WILSON wieder einmal eine Melange, mit der er es seiner stetig wachsenden Fangemeinde ausnahmslos recht machen dürfte: New Artrock, der mit perfekter Inszenierung glänzt und Progressive Rock, der als dynamisch-organische Antipode agiert. Dazu eine kräftige Prise Pop und gut fassbare Texte über Melancholie und Vereinsamung, das kommt an. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Alte Kongresshalle in München am 02.04.15 ausverkauft ist, wenn der Meister zum Gastspiel lädt.

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Wer seit jeher Stammgast auf STEVEN-WILSON-Konzerten ist, bekommt an diesem Abend, was er erwarten darf, wer erstmals zugegen ist, darf sich über eine erfreulich andere Herangehensweise an ein Konzert freuen: Nicht die Band oder irgendeine Form von Stageacting steht im Vordergrund, sondern die Leinwand – 90% der präsentierten Musik wird von (Ausschnitten aus) eigens produzierten Kurzfilmen begleitet. Hierbei kann man auch etwas über Wilsons Texte lernen, die sich dem Album-Hörer zunächst etwas trivial präsentieren mögen, die aber, wie es scheint, die visuelle Komponente immer gleich mitdenken: Wenn Wilson einen Text über eine traurige Mutter geschrieben hat („Routine“), dann ist der entsprechende Song mit einer Knetanimation einer traurigen Mutter unterlegt. Wenn es um einen Uhrmacher geht, der mit schwindender Sehkraft arbeitet, dann ist auf der Leinwand ein Uhrmacher mit verschwollenen, milchigen Augen zu sehen. Das macht die Sache nicht zwingend komplexer, atmosphärisch bedeutet die visuelle Komponente aber durchaus Zugewinn. Die Symbiose gerät auch insofern vorteilhaft, als der Zuhörschauer seine Aufmerksamkeit gezwungenermaßen aufteilt und somit weder merkt, dass die Musik nicht immer über alle Maßen spannend ist (was ihm auf den Alben durchaus zu denken gegeben hatte), noch, dass auch die Filme für sich nicht samt und sonders Kleinkunstwerke sind.
Entsprechend zwiespältig sind die Eindrücke, wenn das visuelle Beiwerk dann doch einmal fehlt: Zum Teil, ja, zum Teil beherrscht STEVEN WILSON das große Kino schon ziemlich gut – bei großartigem Sound genial komponierte Bass-/Gitarren-/Keyboard-Soli kredenzen, das können er und die Band. Was sie auch können, ist Marco Minnemann, dem man, zugegebenermaßen, die kompletten zwei Stunden Spielzeit lauschen könnte, ohne dass es langweilig würde. Wilson und Band haben das ganze Art-/Prog-Rock-Programm durchaus auf dem Kasten und weiß es bisweilen opulent in Szene zu setzen. Bisweilen heißt: im besten Fall. Im schlechtesten Fall scheitert die Band aber an zweierlei. Zum einen daran, dass Wilson mit seiner musikalischen Prägung selten hinter dem Berg hält und an allen Ecken und Enden Versatzstücke aus knapp 50 Jahren Progressive Rock aufscheinen, die sich manchmal wie ein Best-of-Cover-Medley anfühlen. Zum anderen daran, dass diese Versatzstücke nicht immer überzeugend zu eigenständigen Songs kombiniert werden, sondern oftmals auch einfach unmotiviert nebeneinander stehen.
Alles in allem weiß man manchmal nicht so recht, woran man ist mit STEVEN WILSON, ob man hier wirklich ein schöpferisches Genie vor sich hat oder nicht doch eher „nur“ einen Musiker, der zwar begabt ist, dem das letzte Quäntchen Emotion, Eigenständigkeit und Inspiration aber fehlt, mit dem er wirklich konstant begeistern würde. Die Show bleibt dennoch alles in allem unterhaltsam, sind die beschriebenen Mängel, wenn man nicht so genau auf sie achtet, doch eher nur Marginalien. Und mit der Leinwand kann man sich ja trefflich ablenken.

steven-wilson-hand-cannot-eraseAbgesehen von allen Überlegungen zum Gesamtprodukt STEVEN WILSON ist das Konzept für diesen Abend durchaus stimmig: Die Setlist deckt neben dem Schwerpunkt „Hand. Cannot. Erase“ selbstverständlich auch das Erfolgsalbum „The Raven That Refused To Sing“ ab und nimmt mit auf eine Reise in die Vergangenheit des Briten: Neben „Harmony Korine“ vom ersten Solo-Album „Insurgentes“ gibt es mit „Lazarus“ und „Sleep Together“ gleich zwei Porcupine-Tree-Nummern. Gelungen ist die Eingliederung der älteren Songs in den Spannungsbogen des aktuellen Albums, dessen Climax aufrechterhalten wird, ohne dass tatsächlich alle Nummern zum Zuge kommen. Zudem ist der Sound, wie das für einen Fanatiker wie Wilson zu erwarten ist, exzellent, und die Band ist glänzend aufgelegt, wie insbesondere Nick Beggs an Bass und Gesang ständig unter Beweis stellt. Man munkelt gar, Beggs habe die ausdrucksstärkere Stimme als Wilson selbst.

Das Publikum bekommt also, was es möchte und spendiert Applaus sowohl zwischen als auch, wie von Wilson selbst angeregt, während der Songs.

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Wer STEVEN WILSON schon auf Platte für die Reinkarnation des Prog-Gottes hält, wird an diesem Abend definitiv glücklich und zahlt die gesalzenen Sitzplatzpreise um 60€ gerne. Doch auch wer der Musik etwas distanzierter gegenübersteht, wird gut unterhalten und geht nach zwei Stunden Spielzeit jedenfalls Prog- und Artrock-gesättigt nach Hause. Ob die Alte Kongresshalle musikalisch an diesem Donnerstag wirklich zum gelobten Land wurde, bleibt da zweitrangig.

Einzelfoto Steven Wilson von Lasse Hoile

Publiziert am von Marius Mutz

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