Konzertbericht: Ton Steine Scherben w/ Impotenz

08.07.2017 Augsburg, Helmut-Haller-Platz

TON STEINE SCHERBEN sind eine geschichtsträchtige deutsche Rockgruppe, nicht nur wegen ihres legendären Ex-Frontmannes Rio Reiser oder ihrer sozialkritischen Texten. Vielmehr wurde die Gruppe zu einem musikalischen Sprachrohr des linksalternativen Spektrums. Im Jahr 2012 vereinte sich die Band nach 27 Jahren Unterbrechung aufs Neue. Seitdem präsentieren Bassist Kai Sichtermann und Perkussionist Funky K. Götzner ihr Musikprogramm mit Sänger Gymmick auch im akustischen Gewand. An diesem Abend beim Augsburger „Sommer am Kiez“ stellte das Trio unter Beweis, wie erstaunlich gut diese Herangehensweise den Songs steht und ihre Message damit unterstreicht, aber vor allem glücklicherweise weiter in die Welt hinausgetragen wird.

 


Als Support dürfen vorerst IMPOTENZ ihre Musik auf das Publikum, noch in überschaubarer Zahl anwesend, einwirken lassen. Ähnlich dem Hauptact des Abends haben sie ihre Hochzeit in den 80er-Jahren erlebt, ehe sie sich 2007 wieder zusammengefunden haben. Ihre Musik ist eine Mischung aus (Porno-)Punk, Street Rock und New Wave. Rotzig feuern sie ihre Titel zwischen Sozialkritik und der versauten Ader des Quartetts ins Rund. Tatsächlich ist an vorderster Front einige Bewegung ersichtlich, die vor allem bei „Ich küsse deine Urne“, „Liebe macht blöd“ oder „Arme Hunde“ zu beobachten ist. Zu „Geruchsprobe“ fordert Frontmann Arno Löb dreckige Unterhosen – sein Wunsch bleibt allerdings unerfüllt. Nach dem abschließenden „Nutten an die Macht“, das sich gegen Politiker und Waffenhändler richtet, verlässt Bassist Matthias Ubert die Bühne, da er seinem Engagement auf der Freilichtbühne und der dort aufgeführten Rocky Horror Picture Show nachzukommen hat.


Er wird zugleich an selber Stelle vom Bassisten von Die Pädagogen des guten Geschmacks ersetzt, der sein Lieblingslied „My Heart Will Go On“ gerne live präsentieren würde. Daraus wird aber nichts, schließlich kommen nochmal „Geruchsprobe“ und „Nutten an die Macht“ zum Einsatz. Für ein paar dreckige Socken und ein benutztes Taschentuch verlost die Band eine aufblasbare Liebesgefährtin sowie einen Luxus-Freudenspender für die Damenwelt. Erstere kommt auch zugleich als Accessoire zum Einsatz, mit dem Sänger Arno seine Kollegen beglücken möchte. Das selbsternannte Ziel, hier alles in Schutt und Asche zu legen, ist IMPOTENZ zwar nicht gelungen, dennoch ein solider Auftritt mit gelungener Mischung aus Klamauk und ehrlicher Kritik.
TON STEINE SCHERBEN beginnen ihr Set nach einer relativ kurzen Umbaupause und ohne große Worte. Die Instrumentierung ist mit Gitarre, Bass, Cajon und Keyboard relativ spärlich, das Publikum mittlerweile zahlreich versammelt. Die Spielfreude von Sänger Gymmick springt zugleich auf die Zuschauer über und sie singen ab dem ersten Song „Ich sitz an Land“ lautstark mit. „Mein Name ist Mensch“ und „Wir sind geboren um frei zu sein“ steigern die Stimmung bereits sehr früh deutlich, bevor das Doppel aus „Macht kaputt was euch kaputt macht“ und „Einheitsfrontlied“ zu lautstarken „Hoch die internationale Solidarität!“-Rufen führt. Aus ihrer linksorientierten musikalischen Vergangenheit machen die Musiker keinen Hehl, eher genießen sie es, dass auch heute noch Leute ihren Idealen zu folgen scheinen. So folgen auf „Der Turm stürzt ein“ die deutsche Version des David-Bowie-Klassikers „Heroes“, das kraftvolle „Zauberland“ und das dadaistische „Sumpf Schlock“.  Ab diesem Punkt steuert das Konzert in schnellem Schritt auf seine zahlreichen Höhepunkten zu. Die musikbegeisterten Fans saugen jede Note sehr dankbar in sich auf, egal ob leichte Romantik versprüht wird („Halt dich an deiner Liebe fest“) oder rauere Töne angeschlagen werden („Sklavenhändler“, „Menschenfresser“). Bereits bilden sich erste kleinere Pogo-Einheiten, die sich energetisch vor der Bühne bewegen.


Nach Gymmicks Solo-Song „Wenn du schön wohnst“, den er zum Thema Obdachlosigkeit geschrieben hat, kommt der Abend zum Siedepunkt und den großen Nummern aus den Songschmieden TON STEINE SCHERBEN bzw. Rio Reiser. „Mensch Meier“, „Keine Macht für Niemand“ und „Jenseits von Eden“ bilden ein furioses Dreiergespann, ehe die Band erstmals die Bühne verlässt. Doch den lauten Zugaberufen können auch Kay, Funky und Gymmick nicht lange standhalten. So werden die ersten Zugaben mit „Alles Lüge“, „König von Deutschland“ und dem legendären „Rauch-Haus-Song“ bestritten. Das Publikum ist zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht bedient und möchte mehr hören, zum zweiten Mal gellen die Zugaberufe durch das Rund. Der Konzertabend wird schlussendlich mit „Der Traum ist aus“ und „Junimond“ zu einem versöhnlichen und passenden Ende geführt. Der gebührende Applaus, der auch weit nach Konzertende scheinbar nicht weniger wird, ist noch lange zu hören.

  1. Ich sitz an Land
  2. Blinder Passagier
  3. Land in Sicht
  4. Mein Name ist Mensch
  5. Heut‘ Nacht
  6. Wir sind geboren um frei zu sein
  7. Mole Hill Rockers
  8. Macht kaputt was euch kaputt macht
  9. Einheitsfrontlied
  10. Der Turm stürzt ein
  11. Helden
  12. Gefahr
  13. Zauberland
  14. Sumpf Schlock
  15. Halt dich an deiner Liebe fest
  16. Sklavenhändler
  17. Schritt für Schritt ins Paradies
  18. Menschenfresser
  19. Die letzte Schlacht gewinnen wir
  20. Wenn du schön wohnst
  21. Straße
  22. Mensch Meier
  23. Keine Macht für Niemand
  24. Jenseits von Eden
  25. Alles Lüge
  26. König von Deutschland
  27. Rauch-Haus-Song
  28. Der Traum ist aus
  29. Junimond


Mit IMPOTENZ konnte eine Augsburger Kultband für den Eröffnungsslot gewonnen werden. Obwohl ihre Songs teilweise etwas platt und stumpf wirken, konnte sie die Menge entsprechend anheizen und lieferte mit ihrer Mischung aus Sex und Polit-Punk einen ordentlichen Job ab. TON STEINE SCHERBEN setzten auf ihre Stärken der klaren Aussagen und damit auch heute ein Zeichen für eine bessere Welt, in der es sich für alle lohnt zu leben. Neben dem wunderbaren Fakt, dass Rio Reisers Vermächtnis auch heute noch weitergetragen wird, haben sie ein technisch einwandfreies und glücklicherweise ausuferndes Akustik-Set abgeliefert, das mit fast allen großen Hits aufwarten konnte. Diese Musiker sind noch lange nicht müde. Ein rundum zufriedenstellender Abend also, der viel Gehaltvolles bieten konnte.

Publiziert am von Christian Denner

Fotos von: Christian Denner

Ein Kommentar zu “Ton Steine Scherben w/ Impotenz

  1. Da merkt man bei jedem Wort, der Christian war bei den Konzerten von Impotenz und Ton Scherben dabei. Auch eine Fotos sind super. Solche Berichte informieren die Leser hervorragend.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert