Konzertbericht: Ulver

2010-08-16 Hamburg, Kampnagel

Auf das Konzert der Norweger von ULVER im Jahre 2010 zu gehen, dafür sprachen mehrere Gründe. Einerseits sind die Ex-Black Metaller eine ziemliche Rarität, spielten sie doch fünfzehn Jahre lang gar nicht live und seit 2009 nur zu sehr ausgewählten Anlässen. Zudem ist die Spielstätte in schlappen fünf Minuten Fußweg zu erreichen, und als es auch noch sehr unkompliziert zwei Gästelistenplätze gab, stand diesem Event absolut nichts mehr im Wege.
Nun muss man sich als Metalfan und -journalist natürlich darüber im Klaren sein, dass seit der metallischen Schaffensphase der „Wölfe“ viele Jahre vergangen sind – seit 2001 spätestens, als Bandkopf Kristoffer Rygg alias Trickster G. alias Garm in einem Interview verkündete, er hasse Black Metal. Auch sickerte im Vorfeld schon ziemlich deutlich durch, dass es keine Songs aus den glorreichen ersten drei Alben zu hören geben werde. Ungeachtet dessen finden sich an diesem Augustabend auf Kampnagel – ein Veranstaltungszentrum, was seit der Schließung der alten Fabrik tatsächlich so ziemlich gar nichts mit Stahlklängen zu tun hat – ein deutlicher Haufen metallischer „Ewiggestriger“ ein, die gewiss niemals ohne die Platten „Bergtatt“ bis „Nattens Madrigal“ zu ULVER gefunden hätten.
Doch lassen wir die „Jugendsünden“ der Band beiseite und richten unsere Aufmerksamkeit auf die aktuelle Form der Wölfe. Erst pünktlich um 21 Uhr öffnen sich die Tore der eigentlichen Konzerthalle, wo wir uns auf Sitzplätzen niederlassen. Der Saal ist etwa zu drei Vierteln gefüllt, als wenig später die Band die stockdunkle Bühne betritt – ein Sänger mit Pauke, ein Keyboarder mit Gitarre, ein Schlagzeuger und drei Männer an verschiedenen elektronischen Geräten und Laptops. Langsam fangen „Geräusche“ an, während auf der Leinwand im Hintergrund eine Sonne aufgeht. ULVER sind offensichtlich als Gesamtkunstwerk aus Ton und Bild zu verstehen, das wird im Verlaufe des Konzerts jedem klar.
Zunächst bleibt es relativ ruhig, es handelt sich offenbar um „All The Love“, ein Stück der aktuellen „Shadows Of The Sun“. Doch die Norweger können auch anders, wenngleich man natürlich noch ein gutes Stück vom Metal entfernt bleibt. Immer wieder werden die atmosphärisch dichten, aber langsamen und schwermütigen Ambient-Tracks durch hektisch-rhythmische und drückende Songs wie „In The Red“ von der „Blood Inside“ unterbrochen. Dass es auch im Gesamtkonzept keine Kuschelstunde werden soll, machen Filmbilder von Gewalt, Selbstmord, aber auch Leni-Riefenstahl-artigen Sportszenen, Geburten oder bloß von jagenden Tieren oder einer in einem Federkleid tanzenden Frau deutlich. Der Sinn erschließt sich nicht immer. Unterstützt wird das Bühnenbild von mitunter sehr grellen Lichtsäulen, meist in blau und rot, sonst sind die visuellen Effekte sehr zurückgefahren, die Band selbst tritt kaum in den Vordergrund und begnügt sich mit Rauchen (was dem Publikum selbstverständlich nicht gestattet ist).
Ein ganz gewaltiger Fauxpas der Wölfe offenbart sich recht früh. Denn die bereits von anderen Auftritten im Ausland bekannten Einspielungen von Bildmaterial aus Konzentrationslagern wird ausgeblendet, stattdessen stehen folgende Worte an der Leinwand: „WWII footage censored. Considering and conserning the historical ground on which we stand. Ulver Hamburg August 16. 2010“. Nur ein kurzer Ausschnitt am Ende zeigt, was man hätte sehen sollen. Die Selbstzensur sorgt für Kopfschütteln, schließlich sollen Trickster G. & Co. keinen Vortrag über den Völkermord an den Armeniern in Ankara halten. In Deutschland hingegen – das sollte auch nach Norwegen gedrungen sein – ist die Geschichte aufgearbeitet, daher sollte man keinen mehr mit solchen Kunstformen ernsthaft vor den Kopf stoßen. Ein fauler Kompromiss in der eigentlich kompromisslosen Kunst.
Nach jedem Stück gibt es mäßigen Applaus und ein kurzes „Thank you“ von Trickster G., das ist alles an Interaktion. Das Ende des Auftritts kommt pünktlich um halb 11, Zugaben wurden schon von vorneherein ausgeschlossen. Nur jetzt wird noch ein Bandmitglied, das Geburtstag hat, vom Bandkopf beweihräuchert – das hätte man sich auch gleich sparen können, schon wieder Inkonsequenz.
ULVER hinterlassen viele Besucher ratlos. Klar, die meisten hätten „Garms“ dicke Wollmütze dafür gegessen, wenn es ein Stück der ersten drei Platten gegeben hätte, doch erwarten konnte das niemand. Aber auch die stimmungsvollen Nummern des jüngeren Schaffens überzeugen „live“ nicht recht – sofern man von „live“ bei so viel Elektronik und Konserve überhaupt sprechen kann. Ein Erlebnis ist eine solche Veranstaltung zwar schon auf seine Weise, aber dem beinahe mystischen Ruf, den ULVER genießt, wird die Band, die sich an diesem Abend so bemüht künstlerisch und verkopft präsentiert, nicht gerecht.

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