Geist: Studiotagebuch Teil 5

Tag 5 – 19.12.2008

Ich fühle mich ein wenig wie nach einer an Deck durchwachten Nacht, bei eisigen Stürmen und nur bekleidet mit einem Acapulco-Hemd. Aus Rücksicht auf die Kredibilität meiner Bandmitglieder kann ich selbstverständlich nicht in Details gehen, möchte aber dezent anklingen lassen, dass diese Nacht ohne Schlaf etwas mit der Nasenscheidewand des gestern Abend eingetroffenen Herren Larva B. Caneer zu tun haben könnte. Glücklicherweise muss heute er selbst ran, nicht ich. Wir haben genau acht Stunden Zeit, um alle seine Leadgitarren und die Rhythmusgitarren in „Durch lichtlose Tiefen“ aufzunehmen.

Mit dem brennenden Ehrgeiz eines in den späten 80ern geprägten Metalmusikers, der noch analoge Bandmaschinen und die Hölle der damaligen Schnitttechnik kennt, geht Herr Caneer ans Werk. Dass der Mann seine Gitarre beherrscht und das Album am liebsten am Stück einspielen will, rettet uns heute rein zeitlich den Allerwertesten. Vor der Mittagspause, die außergewöhnlich barbarisch geprägt ist – Schweinshaxen und Rippchen -, ist aber schon ein großer Teil der Leadgitarren erledigt. Es läuft fabelhaft gut.

Markus Stock, der die Stücke noch nicht in ihrer kompletten Harmonik kennt, bemerkt, dass jedes Lied durch die zweite Gitarre enorm an Reiz gewinnt. Ich denke, da hat er nicht Unrecht. Als mein persönlicher Gewinner geht aus dem heutigen Tag „Durch lichtlose Tiefen“ hervor, das mittlerweile ein ambivalentes Monstrum aus einer sterilen, disziplinierten Kühle und der schwelgerischen, organischen, triolischen Wärme des Mittneunziger Black Metals ist. Ich kann es kaum erwarten, bis der Song seine Keyboards und vor allem den Gesang erhält.

Auch die anderen vier Stücke werden mit jeder weiteren „Schicht“ tiefgehender. Die Leadgitarre in „Unter toten Kapitänen“ reißt mich hin und her zwischen hoffnungsloser Elegie und positiver Rührung, und die wunderbaren Feedbacks in einem der ruhigsten Parts des Songs zwingen mich immer wieder dazu, die Augen zu schließen und einfach zu genießen. Ähnlich verhält es sich mit „Helike“, dem die Leadgitarren jetzt seinen diffusen, submarinen Mollanstrich verleihen.

Als wir uns am Abend mit den wirklich viel versprechenden Roughmixes auf den Weg ins heimatliche Bielefeld machen, ist es schon lange dunkel. Es ist wärmer geworden, der Schnee auf der Rhön war zwischenzeitlich getaut und tropft jetzt von allen Dächern. Ein ganz leichter, nicht ins Bild passender Frühlingshauch irritiert mich. In den Höhenlagen, die wir durchfahren, hat es in der Nacht wieder geschneit. Wenn man sich nur in den richtigen Regionen bewegt, ist es immer kalt, und der Schnee ist ein ständiger Begleiter. Wenn wir im Januar hierhin zurückkehren werden, um den Gesang und die Keyboards aufzunehmen und das Album abzuschließen, wird auch der Schnee noch hier sein.


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Geschrieben am von Metal1.info

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