Review Alfie Ryner – Brain Surgery

(Progressive Jazz / Avantgarde) Ein Jazz-Review auf einer Metal-Seite? Aber sicher doch! Der Jazz nämlich scheint dieser Tage in der Metal-Szene beliebter zu sein denn je. Davon zeugen die norwegischen Blackjazzer von Shining genauso wie die letzten Solowerke Ihsahns oder die Tatsache, dass ein hörbar vom Jazz beeinflusstes Werk wie Steven Wilsons „The Raven That Refused To Sing“ in diversen Metal-Magazinen mit Wertungen nahe der Höchstnote über den grünen Klee gelobt wird. Gerade für Freunde genannter Interpreten und Alben, denen ihre Portion Jazz auch mit etwas weniger metallischer Würze schmeckt, könnte die insgesamt dritte Platte der französischen Formation ALFIE RYNER durchaus interessant sein.

Gegründet 2006 im schönen Toulouse, hat es sich das Quintett zur Aufgabe gemacht die Geschichte des fiktiven Trompeters ALFIE RYNER zu erzählen, der als legendenumranktes Jazz-Genie sein Unwesen treibt und über dessen Identität nur gemunkelt werden kann.  Inwiefern und ob dieses Konzept sich in den nur sporadisch eingesetzten Lyrics niederschlägt, vermag man leider nur zu beurteilen, wenn man des Französischen mächtig ist. Doch der textliche Aspekt spielt hier sowieso nur eine untergeordnete Rolle. Auch die Musik für sich allein hat, sofern man denn etwas mit dem Genre anfangen kann, einiges zu bieten: „Brain Surgery“ verfügt über eine recht ausgewogene Mischung aus harten und zarten, aus entspannten und aufbrausenden Parts. Mal steht gefühlt mehr der Jazz und mal der Rock im Vordergrund. Bereits der Opener „Raging Chicken“ ist einer der treibenderen Tracks, groovt locker nach vorne weg und weckt in seinen besten Momenten Erinnerungen an King Crimson auf „In The Court Of The Crimson King“ oder die rockigeren Stücke von Klaus Doldingers Passport. In „Douanier“ oder „No Hay Mas“ flirtet die Gruppe in Sachen Riffing beinahe mit dem Härtegrad der eingangs erwähnten Shining, wobei gemäßigtere, aber nicht minder überzeugende Tracks wie „Hypnose“ oder „Gradation“ eher an Miles Davis‘ Jazz-Rock-Referenzwerk „Bitches Brew“ denken lassen.

Im Großen und Ganzen ist ALFIE RYNER mit „Brain Surgery“ ein gutes bis sehr gutes Album gelungen, das zwar mit Metal an sich eher wenig am Hut hat, aufgrund seiner harten Passagen und seiner bisweilen verstörend aggressiven Improvisations-Parts jedoch auch dem einen oder anderen scheuklappenfreien Fan avantgardistischer Metal-Klänge zusagen dürfte. Ein einziger, kleiner Wermutstropfen allerdings bleibt: Hier und da wünscht man sich etwas mehr Eigenständigkeit von ALFIE RYNER, denn die Großen des Jazz scheinen oft allzu deutlich durch. Andererseits dürfte es im Jazz mittlerweile ähnlich schwierig geworden sein, wirklich Innovatives zu erschaffen, wie in den meistens Metal-Genres.

Wertung: 7.5 / 10

Publiziert am von Nico Schwappacher

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