Review Amiina – Kurr

Die vier Damen, die man auf dem Cover des irgendwie kindlich wirkenden Digipacks sieht und strickender Weise hinter einem Tisch sitzen, heißen Sólrún, María, Edda und Hildur. Spätestens der Name der Band, die sie bilden, dürfte bei einigen bereits für große Freude sorgen: AMIINA. Richtig – eben jene Damen haben die Ausnahmeband Sigur Rós bereits auf vielen ihrer Konzerte begleitet und dort als Streicherquartett unterstützt. Zuletzt war man auch als eigenständige Band in deren Vorprogramm zu sehen und war bereits ohne die „großen Brüder“ auf Tournee. Anlass hierfür war das Album „Kurr“, das der EP „Animamina“ und der Single „Seoul“ nun endlich folgte. „Kurr“, so die Band, stehe für das Geräusch von Vögeln Genauer gesagt das der Vögel auf Island. Nimmt mich bitte jemand mit?

Spätestens mit dem Durchbruch von Björk, Sigur Rós und múm dürfte sich auf der Welt herumgesprochen haben, dass Island eine scheinbar unerschöpfliche Quelle von überaus ambitionierten, mit nichten alltäglichen Bands ist, die allesamt ihren ganz eigenen Weg gehen. So auch AMIINA, auch wenn hier vielleicht ein wenig Skepsis vorherrscht, da alle vier die tónlistarskólinn í reykjavík besucht haben, also Musik studierten. Ich bin der Meinung, dass sich Musik nicht in Schemen pressen lässt, man das ganze einfach nicht wirklich wie eine Wissenschaft studieren kann und danach trotzdem noch kreativ ist. Der eigene freie Geist etwas wirklich Neuartiges zu schaffen, sie von allem loszulösen und aus sich selbst zu schöpfen, also das, was wahre Genies ausmacht eben, geht somit verloren. Aber würde ein normaler Musikstudent in ein altes zum Studio umfunktioniertes Schwimmbad gehen um seine eigenen Ideen zu verwirklichen?

Betrachtet man das Cover länger ohne die CD einzulegen überkommt einem zuerst trotzdem immer mehr eine eigentlich vollkommen unbegründete Angst es würde sich hier um etwas ganz alltägliches, womöglich altbackenes machen. Die vier Mädels wirken zwar vielleicht so alles andere als modern, jedoch das auf eine so liebenswerte Weise, dass man sie gern haben muss. Sie stricken, wie man es von alten Omas gewohnt ist und strahlen trotzdem etwas so wunderbar Kindliches aus. Also doch eher ein sehr gutes Gefühl , das sich ab den ersten Tönen bestätigt. Kammermusik? Keinesfalls. Streichermusik? Allerhöchstens ein guter Grundstock für die Vielfalt an Ideen und Instrumenten, die auf „Kurr“ verwendet werden. Außer Streichern wird nämlich fast alles gespielt was dafür vorgesehen wurde oder eben auch nicht, denn vor Sägen und Rotweingläsern wird ebenfalls nicht halt gemacht. Zudem setzt man Verfremdungs- und ein wenig Sampletechnik mit dem Computer ein, der objektiv so garnicht ins Bild passen will, sich aber dezent und zu jeder Zeit angebracht „verhält“. Eine Besetzung im herkömmlichen Sinn gibt es übrigens auch nicht – wozu auch?

Die Musik von AMIINA strahlt wie ein Kind, das friedlich schlummert, obwohl es an sich fast melancholisch zugeht. Wie schafft man es diese Grundstimmung so zu verpacken, dass sie nicht nur fernab davon ist den Hörer zu bedrücken, sondern ihn mit jedem einzelnen Ton, jeder Schallwelle immer mehr sanft einhüllt? Die Leichtigkeit mit der „Kurr“ in fast schon meditative Sphären abdriftet ist schier unglaublich. Das ist die Musik, die Träume produziert und von denen vor allem die besonders schönen. Der Vergleich mit Sigur Rós zwingt sich trotzdem auf, da eine so enge Zusammenarbeit über die Jahre hinweg schon Spuren hinterlässt. Diese Spuren sind genau richtig dosiert, machen das ganze irgendwie vertraut, obwohl man den ganz eigenen Stil gefunden hat, der wesentlich bedächtiger, gedämpfter und weniger orchestral ist.

„Rugla“ erscheint wie ein kleines, tanzendes musikalisches Elfchen in einem wundervollen Märchen, das trotz Moll-Tonart und aller Melancholie, einfach hinreißend ist. Auf eine bewundernswerte Weise ist es positiv und vor allem lebensbejahend, was durch den gegen Ende hin ausnahmsweise verwendeten sanften, kükenhaften Gesang nur verstärkt wird. Man merkt, dass die Damen ihr Handwerk perfekt verstehen und gleichzeitig sich aber in ihrer Kreativität nicht bremsen lassen. „Kurr“ wirkt trotz der vielen, höchst verschiedenen Ideen wie eine absolut in sich geschlossene Einheit. Kein Effekt, kein traumhaftes Klavierspiel, wie bei es bei „Seoul“ der Fall ist, wirkt übermäßig gewollt, sondern vollkommen natürlich. Wie ein Baum der natürlich gewachsen ist, ohne dass er von Menschenhand gestutzt wurde.
Vor allem aber wirkt die Musik ehrlich, nicht zuletzt auf Grund der warmen und sympathischen Ausstrahlung des Quartetts. Wer sie in Interviews oder auf der zuletzt erschienenen Sigur Rós – DVD „Heima“ gesehen und gehört hat, der dürfte mir hier ohne zu überlegen zustimmen. Es ist ein Wohltat wie kindlich, authentisch und lieb AMIINA klingen, dass man nicht davon ablassen möchte. Nicht zuletzt „Sexfaldur“, der vielleicht schönste Titel auf einer herausragenden Platte, bestätigt das. Man fühlt sich geborgen, wohl behütet und möchte am liebsten gar nicht mehr aufhören zuzuhören.

„Kurr“ ist keine der Platten, die man nur nebenbei hört und das obwohl sie ausschließlich die leisen Töne anschlägt. Vielmehr will man jeden einzelnen Ton in sich aufsaugen, seelische Wunden heilen lassen oder einfach nur genießen – so herrlich positiv ist es. Wahrscheinlich sind sich AMIINA ihrer Wirkung auf die Menschen gar nicht so sehr bewusst und machen sich auch keine großen Gedanken darum, was ihrer Musik sogar gut tut. Sie machen einfach ihre eigenen Lieder, sind frei, experimentieren ganz für sich und machen mich und sicher noch viele andere einfach nur sehr glücklich. Takk!

Keine Wertung

Geschrieben am 6. April 2013 von Metal1.info

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