Review Amorphis – Borderland

AMORPHIS veröffentlichen ihr 16. Album. Routine also? Ganz und gar nicht: Nach drei Alben, die sie mit Produzent Jens Bogren gemacht haben, haben die Finnen diesmal mit Jacob Hansen zusammengearbeitet. Das könnte eine Randnotiz sein, eignet sich in diesem Fall aber als Aufhänger für ein ganzes Review, wenn man mit der Arbeitsweise beider Produzenten vertraut ist beziehungsweise auf die Zwischentöne hört, wenn AMORPHIS (und andere Bands) über die Zusammenarbeit mit dem einen oder anderen berichten.

Tatsächlich könnten Bogren und Hansen kaum unterschiedlichere Produzenten-Typen sein: Während zweiterer sich schlicht als stiller Begleiter der Aufnahmen begreift, lebt ersterer die Funktion des Produzenten voll aus und mischt nicht nur ab, sondern sich auch ein – er begreift sich dabei als Teil der Band. Für eine Band, die nicht genau weiß, wo sie hin will, der es an Routine oder Inspiration mangelt, mag Bogren damit die bessere Wahl sein. Und tatsächlich war Bogren nach den zunehmend uninspirierten Alben „The Beginning Of Times“ (2011) und „Circle“ (2013) wohl genau der richtige Mann für AMORPHIS. Die Richtung, die AMORPHIS in den drei gemeinsamen Alben nahmen, war nicht jede:r Fans Ding – zumindest aber muss man AMORPHIS eine Weiterentwicklung attestieren, ohne die sich die Band vermutlich totgelaufen hätte.

Zurück in der Spur, haben AMORPHIS nun also genug Selbstvertrauen getankt, auf die Führung von Jens Bogren zu verzichten – und musizieren wie von der Leine gelassen: Welche Songs am Ende auf dem Album landen sollten, musste zwar um des Bandfriedens willen Jacob Hansen entscheiden. Die Songs selbst aber wurden der Band zufolge ziemlich genau so aufgenommen, wie sie im Proberaum entstanden waren – und das ist auch gut so. Beim Material für die vorangegangenen Alben mag es anders gewesen sein, diese Stücke jedoch hätten auch keinerlei Eingriff eines Produzenten mehr bedurft.

Ob bei „Bones“, einer fetten Downtempo-Nummer mit wuchtigen Growls, aber auch catchy Klargesang und ausladenden Soli, oder beim groovigen „Dancing Shadow“, das an den „Queen Of Time“-Hit „The Bee“ denken lässt (allerdings mit Disko-Beat): Schon beim ersten Hören zeigt sich die kreative Freiheit von AMORPHIS. Davon profitiert „Borderland“ aber nicht nur durch solche Ausreißer, sondern gerade auch bei den bandtypischen Songs: Wo sich bei AMORPHIS fast immer auch Filler eingeschlichen hatten, weiß auf „Borderland“ wirklich jede der zehn Nummern durch irgendein Detail zu begeistern – und das Album in der Summe durch die vielleicht größte stilistische Bandbreite, die man bei AMORPHIS je auf einem Album gehört hat.

Bei aller Experimentierfreude bleiben AMORPHIS aber natürlich unüberhörbar AMORPHIS: „Light And Shadow“ etwa, das den Albumcharakter von allen Songs am besten auf den Punkt bringt, erinnert an AMORPHIS zu „Skyforger“-Zeiten – und doch klingt das Stück erfreulich unverbraucht. „Ich wollte kraftvolle Songs mit starken Melodien und viel Raum für den Gesang und jedes Instrument, um sich auszutoben“, erklärt Santeri sein Ziel als Songwriter (mehr dazu im Bericht zur Listening-Session) – und genau das hört man jedem der Songs an. Piano und geschwungene Leadgitarren, herrliche Melodien und Klargesang treffen etwa in „Fog To Fog“, aber auch „The Strange“ auf kraftvolles Drumming, schiebende Riffs und immer wieder den pathetischen Effekt der Rückung, also der unvermittelten Verschiebung des tonalen Zentrums um die Tonika: Gerade dieses Stilmittel mag bisweilen etwas ausgelutscht klingen – oder eben, positiv ausgedrückt: bewährt.

Die erste Assoziation zu „Borderland“ ist „Spielfreude“: Hört man diese Songs zum ersten Mal, sieht man vor dem inneren Auge direkt die Euphorie in den Gesichtern der Musiker bei der Arbeit an diesen Songs – beim Spielen der Riffs, Soli, Refrains, Bridges und mehr. Dass AMORPHIS sich das eine oder andere Experiment trauen, bereichert „Borderland“ ungemein – entscheidender aber ist, dass die Finnen Altbewährtes neu gedacht haben: AMORPHIS klingen auf „Borderland“ unverkennbar – und doch mal melodischer, mal wuchtiger, vor allem aber insgesamt packender als zuletzt.

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Amorphis – „Borderland“ Listening Session

Wertung: 9 / 10

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11 Kommentare zu “Amorphis – Borderland

  1. Das Album finde ich ehrlichgesagt leider eher langweilig. Es ist zu gleichförmig. Ein Song klingt wie der andere. Es fehlt an Härte und so richtig eingängigen Melodien, die einen nicht mehr loslassen. Under the Red Cloud oder Queen of time sind das komplette Gegenteil. Und auch das eher schwächere Halo ist deutlich fesselnder.

    1. Hm. Das kann ich ehrlich gesagt aus verschiedenen Gründen nicht nachvollziehen. Ja, die Songs klingen „wie aus einem Guss“ – aber das ist bei Amorphis (und nicht nur bei denen) eigentlich schon immer so gewesen. Allerdings unterscheidet sich beispielsweise „Bones“ doch stark von „Fog To Fog“? Und sorry, aber „The Strange“ ist ja wohl die eingängigste Melodie, die Amorphis seit „House Of Sleep“ geschrieben haben? :D

  2. Puh, also nach 4 Durchläufen werd ich immer noch nicht so warm mit dem Teil. Amorphis waren lange nicht mehr, vielleicht noch nie, so mutlos im Songwriting. Jeder einzelne Song hat genau den gleichen Aufbau (Intro, Verse, Chorus, Verse, Chorus, Bridge/Solo, Chorus), die Melodien und Harmonien sind, selbst für Amorphis-Verhältnisse, dieses Mal echt schon grenzwertig kitschig und vorhersehbar und einige Nummern sind komplett vergessenswertes Fillermaterial. Ich hab direkt danach die Halo noch mal angeschmissen und obwohl das auch nicht gerade mein liebstes Amorphis-Album ist, steckt allein in den ersten 3 Songs mehr Mut, musikalische Experimentierfreude und Spannung als im gesamten „Borderland“. Heißt nicht, dass es ein schlechtes Album ist, man kann „Borderland“ schon gut hören, klingt alles nett. Aber richtig begeistert hat mich kein einziger Song und warum sich Amorphis immer weiter wieder zurück in ihre Komfortzone zurückziehen, aus der sie zuletzt so toll ausgebrochen sind, erscheint mir auch nicht nachvollziehbar (außer aus Sicht der Verkaufszahlen, ein Borderland ist natürlich wesentlich gefälliger komponiert als etwa ein Halo).
    Schade, dass Amorphis nicht den Weg ihres Meisterwerks Queen of Time weiterverfolgt haben, sondern lieber wieder den Amorphis-by-the-Number-Ansatz verfolgen.

    1. Was die Komfortzone angeht: Vielleicht Hat Bogren sie da auch einfach (für ihren Geschmack) zu weit rausgeholt. Es heißt schließlich nicht grundlos Komfortzone – weil man sich da wohlfühlt. Ich finde, das muss man einer Band schon zugestehen, dass sie Lust hat, die Musik zu machen, die sie tendenziell generell machen. In diesem Rahmen kann ich aber das „mutlos“ wirklich nicht verstehen: Ja, es ist nicht (mehr) proggy oder unerwartbar, aber – schön? Ob das dann wiederum kitschig ist, steht auf einem anderen Blatt. Aber wer sich an Kitsch stört, dürfte mit einer mehrzahl der Amorphis-Alben seit Tomi Sänger ist wenig Freude haben. Ich glaube, von der Band immer proggigere Sachen zu erwarten, ist einfach die falsche Erwartungshaltung an diese Band.

      1. Naja, Bogren hat ihnen ja keine Pistole auf die Brust gesetzt und gezwungen, jetzt progressivere Musik zu schreiben. Da muss ja schon auch eine Motivation dahinter gewesen sein. Ich kann es halt aus musikalischer Sicht nicht nachvollziehen, wenn Musiker, die viel anspruchsvollere Musik erschaffen können, sich freiwillig runterbanalisieren. Das mag jetzt hier nicht so drastisch sein wie bspw. bei Blackjazz-Shining vs. Pop-Rock-Shining, aber irgendwo macht mich das schon immer misstrauisch. Mehr als monetäre Gründe finde ich für sowas nicht.
        Und ich finde es für Bands schon wichtig, sich aus der Komfortzone zu bewegen, wenn man jetzt nicht die AC/DC des eigenen Genres werden möchte. Muss ja nicht gleich eine 180°-Wende sein, aber sowas wie QoT oder Halo war halt ein Grad an neuen Songwriting-Elementen, der sehr gut gepasst hat und sich in der Entwicklung stimmig angefühlt hat. Ich würde selber als Musiker halt nicht wieder zu etwas zurückkehren wollen, wo ich schon mal war, aber offensichtlich denken Amorphis da anders als ich. Ich kann halt nur aus Sicht eines Hörers und Fans sagen, dass mir QoT und Halo stilistisch und qualitativ deutlich mehr zugesagt haben. Amorphis werden schon ihre Gründe für die Rückkehr zu simpleren, geradlinigeren Songs haben. Dann muss ich als Hörer halt hoffen, dass sie irgendwann mal wieder was cooles wie QoT machen oder mich mit den alten Sachen begnügen. Der Backkatalog ist ja lang genug, auch wenn ich zugegebenermaßen am Ende meistens eh nur Skyforger und QoT regelmäßig höre. Die restlichen Tomi-Alben sind schon auch nett, aber haben mir auf Albumlänge meistens zu viele Filler vs. zu wenige Hits. Das is so ne klassische Band, für die ich mir eine Playlist zusammenstellen müsste, obwohl ich sowas nicht mag. Und alles vor Tomi taugt mir leider gar nicht.

        1. Was Bogren angeht, wäre ich mir fast nicht so sicher (siehe Interview) 😉 ansonsten … ja. Ist halt Geschmacksache – ich persönlich finde, sie sind da, wo sie mit diesem Album stehen, besser gut aufgehoben: Das ist, was ich als Fan der frühen Tomi-Alben hören will. Und dass sie eher die Typen für Kitsch als für Prog sind, sieht man ja an den Soloprojekten, ob Silver Lake oder Björkö.

  3. Das Album ist gut, keine Frage. Für mich klingt es aber auch recht formelhaft mittlerweile. Es hört sich wie eigentlich jedes Amorphis Album der letzten Jahre an. Für mein Empfinden ist da weder viel experimentelles zu entdecken, noch sticht da irgendetwas besonders heraus. Das macht das Ganze natürlich zu keinem schlechten Album – ich glaube auch dass die Herrschaften gar nicht imstande sind ein schlechtes Album zu machen, aber etwas fehlt mir trotzdem.

    1. Wie jedes der letzten Jahre würde ich nicht sagen, eher wieder wie die Anfang der 2000er. Grundsätzlich neu klingt es natürlich nicht. Aber ich würde sagen: Wer etwas grundsätzlich neues hören will, sollte sich an junge, unverbrauchte Bands halten, und nicht an die Großen – da gibt es ja traditionell nur SEHR selten noch große Innovationssprünge. Und wenn, ist es auch wieder niemandem recht … :D Ich finde, die Band hat sich hier sehr schön auf ihre Kernkompetenz zurückbesonnen.

      1. Ja da hast du schon recht.
        Nachdem ich das Album die letzten Tage noch intensiver angehört habe, muss ich mich auch selbst etwas revidieren. Das ist schon ein ziemliches tolles Stück Musik geworden. Was mich sehr freudig stimmt, weil „Halo“ bei mir bis heute nicht wirklich gezündet hat. Zu sperrig und (für meine Ohren) unangenehm klingende Gesangslinien (der Refrain vom Titeltrack z.b.)… das habe ich bei „Borderland“ gar nicht. Es fühlt sich irgendwie angenehm und warm, von Anfang bis Ende sehr stimmig an. Und erwähnenswert finde ich auch die beiden Bonus Tracks auf dem Digipak. Da finde ich besonders „War Band“ richtig klasse. 😊

  4. Joutsen ist sicherlich einer der herausragendsten Metal-Sänger aktuell. Alleine aufgrund seiner überzeugenden Bandbreite. Aber ohne „Tales from the Thousand Lakes“ und „Elegy“ würde die Band nicht so klingen – und so erfolgreich sein – wie sie es ist. Und selbst die experimentelle Phase (Tuonela, Am Universum) hat einige Perlen zu bieten. Das einzig schwache Album – meiner Meinung nach – ist am Ende „Far From The Sun“. Aber nur dadurch konnte dann „Eclipse“ umso heller leuchten.

  5. Mit dem Einstieg von von Joutsen 2005 beginnt für mich Amorphis. Auch und vor allem live ist der Kerl erhaben, irre! Doch kamen zunächst so suchende Alben heraus, Eclipse, Silent Waters, Skyforger, The Beginning of Times… Mit Circle und Under the Red Cloud festigt sich dann das Amorphis-Gesicht und mit Queen of Time schwimmen sich die Herren endlich frei. Halo war für mich zuerst ein Rückschritt und irgendwie fade, ist aber ein totaler Grower, wenn man das Album öfter hört. Ich kann mir also Stand jetzt nicht vorstellen, was „packender als zuletzt“ sein kann. Auch experimentieren gehört für mich seit Queen zum Amorphis-Vokabular. Auf jeden Fall ansteckendes Review und supergute Band :)

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