Review Carlos Cipa – All Your Life You Walk

  • Label: Denovali
  • Veröffentlicht: 2014
  • Spielart: Entmetallisiert, Neoklassik

Es gibt Momente, die eine bestimmte Art von Musik schlichtweg einfordern. Wenn zum Beispiel der Herbst allmählich in den Winter übergeht, der erste Schnee fällt und man mit melancholischen Gedanken im Licht seiner Schreibtischlampe sitzt und eine Tasse heißen Kakao neben sich abgestellt hat, gibt es wohl kaum etwas Besseres, als sich vollständig von ruhigen Klaviermelodien einhüllen zu lassen. Und auch wenn Künstler wie Reval, Debussy oder Steve Reich in solchen Momenten sicherlich nie falsch sind, gibt es in der gegenwärtigen Klassikszene mit Künstlern wie Ólafur Arnalds, Nils Frahm oder eben CARLOS CIPA valide Alternativen. Der Münchner Multiinstrumentalist und Student moderner klassischer Musik CARLOS CIPA veröffentlicht mit „All Your Life You Walk“ sein zweites Album und liefert mit seinen anrührenden Pianomelodien im Zusammenspiel mit modernen und elektronischen Elementen einen instrumentalen Soundtrack für die dunkle Jahreszeit, der besonders als Ganzes funktioniert und sich nur schwer auf einzelne Stücke reduzieren lässt.

Statisches Rauschen eröffnet „All Your Life You Walk“, nur um schließlich langsam den Weg für einzelne Klaviertöne freizumachen, die im wunderschönen „And Gently Drops The Rain“ munden, welches seinem Namen alle Ehre macht: Perlende Melodieläufe, melancholische Grundstimmung und der berühmte Film vor dem inneren Auge ziehen einen schnell in eine ganz eigene Welt. Dieses Prinzip wendet CARLOS CIPA auf „All Your Life You Walk“ immer wieder an, so zum Beispiel auch in „For They Had Things To Say“ oder „Nowhere To Be Found“, welche man wohl als Highlights bezeichnen könnte. Das fast zehnminütige „Hang On To Your Lights“ bezieht auch rhythmische und perkussive Elemente, ebenso wie Ambientanklänge mit ein, bevor das Lied nahezu plötzlich mit in einer sphärischen, an Drone erinnernde Fläche übergeht und „Secret Longing“ mit zart gespielten, hohen Tönen und leichtem Knacken aus dem Inneren des Klaviers einsetzt. Leider verzettelt sich die Nummer gen Ende zu sehr in ihren Ambientelementen, welche das Piano selbst fast in den Hintergrund drücken, wie es auch in „Step Out Of Time“ der Fall ist. Diese Symbiose gelingt im dramatischen Aufbau von „A Broken Light For Every Heart“ mit seinen düsteren, bassigen Elementen wesentlich stimmiger.
Neben diesen elektronischen Elementen verzichtet CARLOS CIPA im Gegensatz zu Künstlern wie Didier Squiban CARLOS CIPA auf jazzige Elemente und beschränkt sich stilistisch auf seinen eigenen Zugang zum Genre der (modernen) Klassik und erinnert dabei oft an die klavierbasierten Momente des großartigen Yann Tiersen (was besonders im sehr spielerischen „Today And It’s Gone deutlich wird). Strukturell setzt CARLOS CIPA neben dem bereits erwähnten Einstieg auf Fragmente, von denen er sechs Stück auf „All Your Life You Walk“ verteilt, welche mit perkussiven Elementen, Geräuschen aus dem Inneren des Klaviers oder auch Glockenspiel aufwarten. Diese Fragmente sind gleichzeitig ein Einschnitt sowie eine Verbindung der einzelnen Stücke, da sie hinsichtlich der Stimmung häufig elegant in das nächste Stück überleiten, stilistisch aber deutlich experimenteller sind. Mit einem statischen Rauschen am Ende von „Fragment #6“ schließt sich schließlich nach einer knappen Stunde der musikalische Kreis.

Zwar funktionieren die ergänzenden elektronischen Elemente an manchen Stellen des Albums, am Besten ist CARLOS CIPA aber immer dann, wenn er sich ganz auf sein Stamminstrument in Form des Klaviers beschränkt. Seine Melodieführungen wissen in ihrer Melancholie stets zu bewegen, auch wenn die Songs selbst gelegentlich ein wenig zu lang geraten und nicht durchgehend begeistern können. Diese Schwächen einzelner Nummern werden durch den beeindruckenden Albumfluss zu großen Teilen aufgefangen. Dass „All Your Life You Walk“ trotz seiner stimmigen Komposition nicht über die gesamte, doch recht lange Spielzeit zu begeistern weiß und die elektronischen Elemente an manchen Stellen noch ein wenig fremd wirken, ändert nichts an der Tatsache, dass CARLOS CIPA mit seinem zweiten Album ein richtig gutes Stück Musik gelungen ist.

https://soundcloud.com/denovali/carlos-cipa-and-gently-drops-the-rain

Wertung: 8 / 10

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