Review Celtic Frost – Morbid Tales

Für die Öffentlichkeit überraschend erfolgte 2008 die Trennung Tom Gabriel Fischers von CELTIC FROST aufgrund der berüchtigten persönlichen Differenzen – also der Ausstieg jener Person, die als einzige während aller aktiven Phasen der Band durchgehend Mitglied gewesen war. Angesichts dieser zentralen Rolle Fischers weit weniger überraschend kam es dann einige Monate später – der Sänger, Gitarrist und Songwriter hatte bereits Triptykon gegründet – zur endgültigen offiziellen Auflösung der visionären Schweizer Combo. Zwei Jahre zuvor hatte die Band mit ihrem Reunion-Album „Monotheist“ ein Meisterstück abgeliefert, das ihr finales Studiowerk bleiben sollte.

Am anderen Ende dieses Veröffentlichungsspektrums steht die erste EP „Morbid Tales“, die im November 1984 das Licht der Welt erblickte – nur ein halbes Jahr nach der Auflösung der Vorgängergruppe Hellhammer und der unmittelbar darauffolgenden Gründung von CELTIC FROST. Die Release-Geschichte dieses ersten Studio-Outputs ist indes weniger übersichtlich als die des letzten.

Denn während „Morbid Tales“ in Europa als EP mit sechs Songs veröffentlicht wurde, erschien die Platte in den USA mit acht Songs als LP. Deshalb gilt je nach Betrachtungsweise „Morbid Tales“ oder „To Mega Therion“ als Full-Length-Debüt von CELTIC FROST. Bei den zwei zusätzlichen Tracks auf der US-Version handelt es sich um „Dethroned Emperor“ und „Morbid Tales“. Diese waren trotz titelstiftendem Namen des letzteren Stücks kurioserweise nicht auf der europäischen EP-Version enthalten, wurden jedoch während derselben Sessions wie die anderen sechs Songs aufgenommen. Beide Tracks findet man zudem nicht nur auf einem Sampler von CELTIC FROSTs damaligem Label Noise Records namens „Metal Attack Vol. 1“ (1985), sondern auch auf der zweiten EP „Emperor’s Return“ aus demselben Jahr. Ebenjene enthält insgesamt fünf Lieder: Neben den zwei bereits erwähnten sind das die drei Stücke „Circle Of The Tyrants“, „Visual Aggression“ und „Suicidal Winds“.

Heute gibt es etliche unterschiedliche CD-Versionen von „Morbid Tales“. Die gängigste Tracklist ist jedoch die der neu gemasterten und von der Band autorisierten 1999er Version: die amerikanische LP-Variante, erweitert um die drei eben genannten Stücke und das Intro „Human“ (dies war zuvor nur auf der europäischen Variante, integriert in den Opener „Into The Crypts Of Rays“, enthalten) – oder schlicht: die europäische EP „Morbid Tales“ und die nachfolgende EP „Emperor’s Return“ vereint auf einem Tonträger. Viele Veröffentlichungen mit dem Titel „Morbid Tales“ kann man also eher als Compilation denn als Album ansehen. Als Grundlage für diese Rezension dient die gängige Zwei-EP-Tracklist, die auf eine albumkompatible Spielzeit von 50 Minuten kommt.

Diese wird mit besagtem Intro „Human“ von einem grausigen, langgezogenen Schrei über mehrere Tonspuren eingeleitet, gegen den der Albumstart von The Exploiteds „Fuck The System“ wie pubertäres Gequengel wirkt. Es folgt der großartige eigentliche Opener „Into The Crypts Of Rays“ mit vorwärts preschenden Gitarren, Martin Eric Ains wummerndem Bass und Tom Warriors gebellten Vocals. Bereits hier sind die Breaks und Tempowechsel, mit denen CELTIC FROST ihre Songs so unterhaltsam gestalteten, gut zu beobachten: Die Nummer über den französischen Heerführer, Marschall und Serienmörder Gilles de Rais stürmt zunächst im Uptempo los, um dann über rockiges Midtempo in einen zähen Doom-Part überzugehen, ehe für das chaotisch sägende Gitarrensolo die Geschwindigkeit wieder angezogen wird.

Ähnlich gestrickt sind „Visions Of Mortality“, „Morbid Tales“ und „Nocturnal Fear“. Ersterer beginnt schleppend-heavy, um sich dann wieder über Midtempo zur Songmitte in einen Speed-Thrasher zu verwandeln, in dem sich Warrior und der Session-Drummer, Bandfreund Stephen Priestly, mit dissonanten Soli und Doublebass-Teppichen ein wildes Duell liefern. Letzterer startet mit Vollgas, um dann nach einer Minute den Fuß vom Pedal zu nehmen und nach einer weiteren einen total irren Break zu liefern. Warrior lacht über das Intro-Riff und liefert eine Kaskade seiner kultigen „Ugh!“-Death-Grunts. Der Titeltrack hingegen alterniert zwischen Doublebass-Speed-Parts und flottem Midtempo, in dem Warrior die berühmte Frage „Are you morbid?“ stellt.

Demgegenüber stehen die groovenden Doom-Monster „Dethroned Emperor“ mit seinem tonnenschweren Refrain inklusive kultig-falsch ausgesprochenem Empéror und „Procreation (Of The Wicked)“ mit seinem klagenden Bending-Riff und den dämonischen Vocals am Ende. „Return To The Eve“ steigt nicht ganz in den Geschwindigkeitsbereich zähflüssiger Lava hinab, bietet dafür aber lässiges Midtempo und zum ersten und einzigen Mal auf dieser Platte eine Frauenstimme am Mikrofon. Darüber hinaus wartet „Morbid Tales“ noch mit dem Horror-Interlude „Danse Macabre“ auf. Das hat über die Jahrzehnte hinweg – ähnlich wie etwa „Tanz der Teufel“ – sicherlich an Grusel verloren und Komik hinzugewonnen, vermag mit seiner Kakophonie aus verstörenden Schnaufgeräuschen, manischem „Lalala“-Gesang und unheimlichen Percussions jedoch nach wie vor eine schaurige Atmosphäre zu erzeugen.

Den Abschluss der vorliegenden Albumversion bilden die restlichen drei Tracks der „Emperor’s-Return“-EP. Die Songs, die während eines anderen Studioaufenthalts aufgenommen wurden, schlagen stilistisch in dieselbe Kerbe wie die vorigen Stücke. Vor allem „Visual Aggression“ ist mit seinem rastlosen Riffing und den erbarmungslosen Drums eine Proto-Black-Thrash-Nummer, wie sie im Lehrbuch steht. Im Hinblick auf den Sound heben sie sich aber deutlich vom Rest des Albums ab, klingen gar dumpf und atmen ein wenig den Geist von Hellhammer. In besserer Qualität findet man diese Songs im Bonus-Part des 2017er Re-Release von „To Mega Therion“ (1985), das zusammen mit Neuauflagen von „Morbid Tales“, „Into The Pandemonium“ (1987) und „Vanity/Nemesis“ (1990) auf den Markt kam. Zwar missbilligte Tom Gabriel Fischer diese Reissues letzten Endes aus geschäftlichen Gründen, doch entstanden sie unter seiner Aufsicht und Mitarbeit. Zudem wurden sie von Triptykon-Bandkollege V. Santura auf exzellente Weise neu gemastert.

„Morbid Tales“, das in der hier besprochenen Version mit den Tracks der zweiten EP die CELTIC-FROST-Songs des ersten Bandjahres enthält, bietet neben Songtexten über altägyptische Könige, den Cthulhu-Mythos sowie sumerische und babylonische Gottheiten musikalisch und stilistisch vor allem eine bedeutende Metal-Geschichtsstunde. Es ist eine der Platten, die die Grundlage für die aufkommenden Subgenres des Death, Black und Thrash Metals lieferte. „Morbid Tales“ stellt die ersten Studiolebenszeichen von CELTIC FROST dar und ist dabei doch so viel mehr als eine erste Duftmarke. Wer nachvollziehen möchte, woher etwa Obituary die Inspiration zu ihrem Gitarrensound und ihren frühen Werken genommen haben oder wovon Darkthrone auf Klassikern wie „Transilvanian Hunger“ und „Panzerfaust“ beeinflusst wurden, bekommt die Erkenntnis auf dieser Platte serviert – und darüber hinaus noch viel, viel mehr.

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Wertung: 8.5 / 10

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