Review Changeling – Changeling

Tom Geldschläger – ein Name, der für einen vielseitigen musikalischen Werdegang steht. Als ehemaliger Gitarrist bei Obscura steht er hinter Namen wie Fountainhead und NYN. Live trat der Berliner unter anderem mit Belphegor auf und auch als Gastmusiker hat er schon mit Hannes Grossmann und anderen Künstlern zusammengearbeitet. Nun könnte man denken (abgesehen davon, dass die Liste seiner Aktivitäten hier nur angezählt wurde), dass der Multiinstrumentalist und Produzent damit ja wohl genug auf dem Kerbholz hat. Oder? Oder??

CHANGELING heißt das neue Wunschkind, für das Tom Geldschläger verantwortlich zeichnet. Das Kern-Line-up dieses neuen Projekts führt Namen wie Mike Heller (u. A. Fear Factory), Arran McSporran (u. A. Vipassi) und Morean (u. A. Alkaloid). Wer nicht ganz unkundig ist, wird ahnen können, worauf es hinausläuft, wenn sich derart versierte wie extrovertierte Musiker zusammentun. Unter einer immensen Zahl von Gästen präsentieren CHANGELING mit ihrem gleichnamigen Debüt progressiven Death Metal der ganz wilden Gangart.

Die Platte startet mit „Introject“, einem kurzen Eröffnungsinstrumental, das ohne Umschweife erklärt, was einen die nächsten 60 Minuten erwartet. Dem schließt sich mit „Instant Results“ ein Titel an, der zu Beginn mit seinem entrückt-progressiven Riffing ein wenig an Jinjer erinnert. Spätestens aber nach dem Einsatz des Gesangs – in der Hauptsache umgesetzt durch Ex-Dark-Fortress-Schreihals Morean – werden (logischerweise) auch Erinnerungen an Alkaloid geweckt. Eine Nummer, die die Messlatte in Sachen technischer Anspruch durch komplexe Lead-Gitarren, ausgefeiltes Drumming und vielschichtigen Gesang derart hoch legt, mit einem lieblosen Fade-out enden zu lassen, sorgt dann aber doch für etwas Verwunderung.

„Falling In Circles“ weiß dann bei aller Progressivität doch mit sehr schmissigen Riffs zu glänzen und bietet gar eine Art roten Faden, der mit den mal hinter-, mal vordergründigen Solo-Leads gut kontrastiert. Moreans markante Stimme, die unglaubliche Range, die dieser Mann abdeckt, passt einfach perfekt zu CHANGELING. Bereits bei diesem Song lässt sich das besonders herausheben.

Geldschläger macht es einem absolut nicht leicht, einen Zugang zu seinem Wirken zu erreichen. So gibt es viele durchaus spannende Momente, wie beispielsweise den groovenden Refrain (?) und die erhabenen Chöre eines „World? What World?“, die tatsächlich ein wenig an Devin Townsend erinnern. Sehr oft ist es aber die schiere Vielfalt und dabei Willkürlichkeit der Riffs, Drums und allgemein der Musik, die auf die Dauer sehr fordert – ja fast zu überfordern droht. Da freut man sich fast über den kurzen, kammerspielartigen Zwischentitel „Metanoia“ auf den dann, gemessen am bisherigen Maßstab, mit „Changeling“ ein fast schon walzend-treibender Track folgt. Und verdammt, macht das Spaß, wenn man einem Song einfach unangestrengt folgen kann. Seien es die fetten Grooves, die variablen Drums oder schlicht die stimmigen Percussions, die sich mit passend klarem Gesang verbinden – das Wechselbalg hat Freude.

CHANGELING sind absolut nichts für nebenbei. Die Bandbreite an Einflüssen ist schlicht und ergreifend phänomenal. Es scheint absolut keine Grenzen bei der Umsetzung der musikalischen Agenda zu geben. Symbolisch dafür steht der 16-minütige Brocken „Anathema“, der mit seiner fast musical-artigen Theatralik, getragenen Streichern und diversen Arten gesanglicher Ausgestaltung gegenüber höchst technischem Death Metal Gegensätzlichkeiten kaum bewusster ausloten könnte. Somit ist dieser Song der größte Triumph auf „Changeling“ und gleichsam das subjektive Verhängnis.

Natürlich – jedweder Begriff progressiver Musik findet sich an den Rändern oder fernab der geltenden Normen des Songwritings. Devin Townsend, Ne Obliviscaris, Rush und Opeth (unter anderem) haben unter dieser Maßgabe echte Großtaten hervorgebracht. Diese Künstler bewegen sich auf dem schmalen Grat maximaler Verschrobenheit und dem Minimum an Zugänglichkeit. CHANGELING versuchen demselben Weg zu folgen und haben mit ihrem Erstlingswerk in allen Belangen ein neues Ausrufezeichen gesetzt. Bei aller Klasse und Komplexität, bei allem oxford’schen Anspruch fehlt dennoch über die gesamte Länge des Albums ein roter Faden. Momente, an denen Ne Obliviscaris oder Opeth noch die Kurve hin zur Nachvollziehbarkeit gekriegt hätten. „Changeling“ ist wie „Bilateral“ von Leprous mit Death-Metal-Schlagseite, es ist wie Devin Townsend in schwer verdaulich. Ein Album also, dem bei all seiner Kunst und dem extrovertierten Charakter die Fähigkeit abhandenkommt, komplexe Dinge auch einfach(er) ausdrücken zu können.

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Wertung: 7 / 10

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