Review Coldplay – A Rush Of Blood To The Head

Mit ihrem Debütalbum „Parachutes“ gelang es den sympathischen Briten, mehr als nur Aufsehen in der alternativen Szene zu erregen. Die Platte wurde innerhalb der Szene dermaßen gelobt und weiterempfohlen, dass nach kurzer Zeit zumindest jeder schonmal etwas von dem Namen COLDPLAY gehört hat. Die Marketingmaschinerie der Plattenfirma läuft demzufolge auf Hochtouren. Noch vor der Veröffentlichung des „wichtigen zweiten Albums“ gibt es Artikel in allen nur halbwegs alternativ ausgerichteten Musikmagazinen, Webzines und Musiksendungen im TV, die sich nur mit der einen Frage beschäftigen: „Können COLDPLAY das Niveau ihres Erstlings halten?“ Seltsamerweise scheinen sie die Antwort längst zu wissen: „A Rush Of Blood To The Head“ wird überall verehrt, geliebt und als der „ganz große Streich“ bezeichnet. COLDPLAY kommen aus dem Nichts und sind sozusagen über Nacht zur größten englischen Band neben U2 und Oasis mutiert. Und das, ohne auch nur irgendetwas anderes getan zu haben, als ein Album einzuspielen. Erste Single und damit Appetitmacher auf das Album ist „In My Place“.

Aber auch musikalisch hat sich bei der Band um Chris Martin einiges getan. Die Lagerfeueratmosphäre und Intimität von „Parachutes“ ist auf dem Nachfolger nur noch vereinzelt anzutreffen. Ohne Zweifel leiden die Jungs in ihrem Songs auch hier hervorragend, allerdings fehlt ihnen dieser hoffnungslose Unterton, die analoge Natürlichkeit und Authentizität des Vorgängers. Man hat schlicht und einfach die Herangehensweise etwas verändert. Ich will den Jungs keineswegs vorwerfen, mit dem hier vorliegenden Album ein Werk für den Mainstream-Markt abgeliefert zu haben, denn dafür ist die Musik zu vielschichtig, tiefgehend und ehrlich. Dennoch wird man sicherlich im Hinterkopf gehabt haben, den einmal erworbenen Ruf zu bestätigen bzw. auszubauen. Dass dies eine schwere Gradwanderung sein kann, wird die Band wohl bestätigen können. Denn mit „A Rush Of Blood To The Head“ haben die vier Herren den nahezu unmöglichen Versuch unternommen, ein Album abzuliefern, dass sowohl die tief in der Indie- und Alternative-Szene verwurzelten Fans, als auch das Mainstream-Pop und Rock-Publikum anspricht. Schluss also mit den kleinen, nur auf der Akustischen vorgetragenen Songwriter-Perlen, COLDPLAY sind auf der Suche nach dem perfekten Pop-Album! Da werden auch schonmal beherzt ein paar Lagen Streicher ausgepackt, um den Hörer mit Pathos und Herzschmerz einzulullen. Auch die Rhythmusfraktion agiert nun wesentlich akzentuierter. Drummer Will Champion streichelt sein Schlagzeug nicht mehr, sondern rotzt größtenteils einfache Stilfiguren hin, während Bassist Guy Berryman nicht mehr atmosphärische Tupfer schafft, sondern für ordentlich Groove sorgt. Aber Gott sei Dank gibt es da ja immer noch die Stimme von Chris Martin und die Gitarrenlicks von Jon Buckland, die nach wie vor zu verzaubern wissen und mitreißender nicht sein könnten. Im Vergleich zum Erstling sind die Songs schlicht ausproduzierter, epischer und ausladender, oftmals aber auch einfach rockiger, was der Scheibe einen sehr frischen und hoffnungsvollen Charakter verpasst.

Wer nun mit einem ähnlich einschmeichelndem Opener wie „Don’t Panic“ auch auf dem neusten Oveure gerechnet hat, wird erstmal die Luft anhalten: „Politik“ beginnt mit aus der Ferne herannahenden Streichern und rotzt dann mit einem ziemlich kräftigen Crescendo los, Schlagzeug, Gitarre und Piano spielen unisono und wechseln zwischen nur zwei Tönen. Nach nur 25 Sekunden ist der Spuk vorbei, Ruhe kehrt ein, ein sanft streichelndes Piano setzt wieder ein und Chris Martin besingt uns ganz sinnlich. Zum Refrain kehrt der Anfangspart zurück, es entwickelt sich ein faszinierendes Wechselspiel zwischen laut und leise, zwischen Strophe und Refrain. Hier wird mit einfachen Mitteln und den im Hintergrund agierenden Streicher sehr viel Atmosphäre aufgebaut. Nach gut 3 Minuten übernimmt das Piano für das erste „Grande Finale“ des Albums: Die Streicher schwellen an, das Piano umwebt einen mit Tönen, die einem Sonnenaufgang gleichen, Jon Buckland zaubert ganz bewusst leise Tönchen, nur um die Stimmung zu unterstützen, dann kommt man in einem wiedermal stürmischen Crescendo zum Ende, das einen bei geschlossenen Augen absolut wegschwimmen lässt. So schön und bewegend kann Musik sein. „You give me love over this…“ singt Chris Martin da, und wieder sind wir im Strudel der Gefühlswelt. Ohne Frage COLDPLAY, doch mit einem solchen Breitwandsound, wie man sie sich eigentlich gar nicht vorstellen kann, wenn man nur das Debüt kennt.

Mit „In My Place“ folgt sogleich die erste Single. Ein einfach schöner Popsong, wieder mit diesen ergreifenden Gitarrenlinien, die hier, wie auf dem Großteil der Platte, sehr klar rüberkommen. Stimmung und Atmosphäre sind definitiv an den Gassenhauer „Yellow“ angelehnt, insgesamt ist der Song jedoch wesentlich mainstreamiger und einfacher strukturiert. Dennoch überzeugt er durch gelungene Melodiebögen und die fantastische Bridge. „Yeah, how long must she wait for you?“. Definitiv ein Hit in jeder Indie-Disco! Mit „God Put A Smile Upon Your Face“ erwartet uns eine Nummer, die zu Beginn lediglich auf einfache Akustikgitarren und Chris Martins Stimme setzt, später setzen dann Schlagzeug, Bass und Gitarre ein. Jon Buckland hält sich wie immer zunächst zurück und bläst erst zum Refrain hin zum mittelschweren Rockangriff, während Guy Berryman am Bass eine sehr sexy Figur spielt. Der Song macht einfach Laune, klingt allerdings ein klein wenig naiv und fies, was wohl vorallem an Chris Interpretation des Textes liegt. Dies war die vierte und damit letzte Single aus dem Album. „The Scientist“ ist dann das absolute Musterbeispiel für eine Alternative-Ballade und ist auch als Single durchaus erfolgreich gelaufen. Einfache, aber tolle Pianoakkorde begleiten Chris zu Beginn: „Come up to meet you, tell you I’m sorry, you don’t know how lovely you are“ – „I had to find you, tell you I need you, tell you I set you apart“ – „Nobody said it was easy, it’s such a shame for us to part, nobody said it was easy, no one ever said it would be so hard, oh take me back to the start“. Inzwischen sind eine Akustikgitarre und ein Schlagzeug hinzugekommen. „Tell me you love me, come back and hold me“. Musikalisch passiert während den fünf Minuten eigentlich nur sehr wenig. Es ist nur der Gesang und Melodie, die hier immer wieder fesselt. Ein paar Gitarrenakkorde unterlegen zum Ende Chris emotionale „Ahh…uhh“-Eskapaden, und es wirkt überhaupt nicht peinlich.

Und auf zur nächsten Single: „Clocks“ ist wohl das Lied, was den meisten Leuten von dieser Platte nennen würden, wenn man sie nach COLDPLAY fragen würde. In Radio, TV und Diskos fast totgespielt, verdient es jede einzelne Rotation. Der einfache Schlagzeugrhythmus mit dieser schön verspielten Pianomelodie und den atmosphärischen, fast schon spacigen Hintergrundklängen ist einfach groß- und einzigartig. Die Bridge des Songs ist einer der zahlreichen ganz großen COLDPLAY-Momente, danach ist man echt den Tränen nahe. „Ohh, nothing else compares…“. Der Song ist übrigens auch nach seinem Erscheinen in etlichen TV-Werbungen benutzt oder kopiert worden. Das „musikalische Thema des Jahres 2002“ geht ohne Zweifel an „Clocks“. Ein Song, der in der Diskografie von Coldplay einen Ehrenplatz inne hat, später von ihnen selbst sogar kopiert wurde und zudem auch noch kommerziell voll eingeschlagen ist.

Die zweite Hälfte der Platte wird von dem schrägen und verqueren „Daylight“ eingeleitet, das vorallem durch seinen holperigen Rhytmus im Strophenteil auffällt. Die aufgebaute Spannung entlädt sich in dem wieder mal verträumt-schönen Refrain. „When the sun shines, on this heart of mine, when I realize, who I couldn’t live without, come and hold me now…“. Man sieht wirklich die Sonne aufgehen! Hier arbeitet die Band wieder gekonnt mit einer recht unharmonischen Strophe, die sich einfach in Wärme auflöst, sobald wir dem Refrain näherkommen! Das psychedelische Ende mit der immer wieder wiederholten Textzeile „Slowly breaking through the daylight…“ und der recht wilden Instrumentalbegleitung lässt das Lied fast panisch enden. „Green Eyes“ ist dann eine Art Rückfall in die „Parachutes“-Zeit. Hier setzt man wieder auf diese Lagerfeueratmosphäre, auf diese Intimität. Allerdings addiert man hier eine bisher unbekannte Country-Ecke zum Sound. „I come here to talk, I hope you understand“ – „Green Eyes, the spotlight shines upon you, and how could anybody deny you“ – „And honey you should know, that I could never go on without you“. Ein kleines, feines Liebesliedchen. Nicht mehr, nicht weniger. Mit dem Song „Warning Sign“ war die Band nach dem Release nur noch bedingt zufrieden. Für sie ist es ein Lückenfüller, für mich einer der besten Tracks des Albums. Abwechslungsreich, mitreißend, schön. Die Songstruktur ist alles andere als linear und gewöhnlich. „Come on in, if I’ve got to tell you what a state I’m in, I’ve got to tell you that I started looking for a warning sign.“ – „Well, the truth is, that I miss you, yeah the truth is, that I miss you so.“ Nach gut 4 Minuten reduziert man nur auf Chris und sein Piano: „So I crawl back into your open arms“. Hm, ich glaub es ist mal wieder Zeit festzustellen, dass die Welt einfach schön ist! Dafür ist das nachfolgende „A Whisper“ für mich am ehesten der Lückenfüller des Albums. Eine vierminütige, recht uninspirierte und hingeschrammelte Nummer, die wohl durch ihr psychedelisches Soundgewand hervorstechen soll. Das tut sie auch. Nur ist der Song dahinter leider eher bescheiden.

Dafür beenden Chris Martin & Co. die Platte mit zwei absoluten Hammersongs. Der Titeltrack zeigt einmal mehr, dass es durchaus möglich ist, emotional derbst ansprechende und lyrische Musik absolut unkitschig rüberzubringen. Dass der Song erst nach fast sechs Minuten ins Ziel einfährt, bekommt man überhaupt nicht mit. Spannender und intelligenter kann man gute Popmusik eigentlich nicht schreiben. Der majestätische Refrain gehört ebenfalls zu dem Highlights des Coldplay-Katalogs. „Honey, all the movements have started to fade, see me crumble and fall on my face and I know the mistakes that I’ve made, see it all disappear without trace.” Dieser Song erinnert mich übrigens einmal mehr an die schönsten emotionalen Verbrechen von Porcupine Tree, ähnlich wie „Spies“ auf dem Vorgängeralbum. Mit „Amsterdam“ verabschieden sich COLDPLAY mit einer äußerst stimmungsvollen Halbballade, die anfänglich nur durch das leibhaftige Piano lebt und atmet. Come on, oh my star is fading, and I see no chance of release, I know, I’m dead on the surface, but I am screaming underneath”. Der Refrain lässt uns so langsam wieder ins wirkliche Leben zurück: “But time, is on your side, it’s on your side, now, not pushing you down, and all around, it’s no cause for concern”. Ein kurzes Aufbäumen noch, ein wieder so herzlich-warmes, launemachendes Crescendo, und dann ist es vorbei.

Wir haben wieder mal 54 Minuten mit unseren liebsten Seelenverwandten verbracht. Und obwohl dieses Mal einiges anders ist als noch auf „Parachutes“, muss man „A Rush Of Blood To The Head“ einfach liebhaben. Es ist immer noch COLDPLAY. Songs wie „In My Place“, „The Scientist“ und „Clocks“ sind einfach einige der besten Singles der letzten Jahre. Klammern wir das etwas merkwürdige „A Whisper“ einmal aus, so versammeln sich hier immernoch so viele Pop-Meilensteine, das man um einen Kauf einfach nicht herum kommt. Fest steht, dass Coldplay ihr Ziel tatsächlich erreicht haben. Das Album ist in beiden oben erwähnten Lagern gleich gut angekommen und hat sich wie geschnitten Brot verkauft. Ob man nun „Parachutes“ oder „A Rush“ vorzieht, sei einmal jedem selbst überlassen. Haben muss man sowieso beide.

Und glaubt mir: Während ihr dieses Album hört, wird sicherlich mehr Blut in den Kopf gepumpt als bei körperlicher Normalfunktion. Viel, viel mehr!

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