Review Emerson, Lake & Palmer – Brain Salad Surgery

Von allen mehr oder weniger obskuren Progressive-Rock-Bands, die Anfang der Siebziger Erfolge feierten, waren EMERSON, LAKE & PALMER (kurz: ELP) vielleicht die bemerkenswerteste. Die von Keith Emerson (The Nice) und Greg Lake (King Crimson) gegründete Supergroup feierte in kürzester Zeit Erfolge, welche in diesem Sektor beispiellos waren und die sich schlussendlich wohl nur durch die innere Zerstrittenheit und die haarsträubende Gigantomanie der Band nicht mehr einstellten – die Touren in Kanada und den USA 1977 und 1978 bestritt man zum Teil mit 75 handverlesenen Orchestermusikern, eine Investition, die der Band etwa drei Millionen Dollar an Verlusten bescherte.
Dennoch: Diese Band füllte einst Hallen und Stadien. Aber eben mit Musik, die sich damals wie heute beim besten Willen nicht als angepasst bezeichnen lässt. „Brain Salad Surgery“ bringt vielleicht am treffendsten auf den Punkt, was ELP ausmachte, doch das musikgeschichtliche Phänomen des riesigen Erfolgs der Band und dieses Albums wird dadurch nur rätselhafter.

Gerade verglichen mit der groben Heavy-Metal-Schnittmenge, die man als Leser zurecht auf dieser Seite erwarten dürfte, fällt der Erstkontakt mit ELP wahrscheinlich doch eher irritierend aus: Gitarren gibt es auf diesem Album annähernd gar keine, stattdessen dominieren grelle, ausgeflippte Synthesizer- und Orgelsounds das Klangbild. Majestätisch bis pathetisch wirkt das im getragenen „Jerusalem“, schon in „Toccata“ wird man aber nicht nur einmal die Stirn runzeln müssen. Hierbei handelt es sich um eine (wie immer bei ELP sehr eigenwillige) Klassik-Adaption eines Satzes eines Klavierkonzertes von Alberto Ginastera – nichts für schwache Nerven. Hier kreischen die Tasteninstrumente an allen Ecken und Enden, von einprägsamen Melodien fehlt zumeist jede Spur und das Schlagzeug verstärkt diesen stressigen Eindruck durch hektische Rhythmen weiter. Geht es dann doch mal etwas melodiöser zu, bekommt man es immer noch mit aggressiv drängenden Riffs bei schnarrendem Bass zu tun, die auch keine Zeit zum Durchatmen lassen und ohnehin bald wieder von scheinbar unzusammenhängendem Sirenen-Geschwurbel abgelöst wird. Weit vom Drogenalbtraum ist die Gesamtstimmung dieser Nummer nicht mehr entfernt und man fragt sich doch, wie so ein Song nicht ein totaler kommerzieller Killer für ein Album sein konnte, ist die hier gebotene Musik doch selbst nach heutigen Maßstäben über alle Maßen extrem und avantgardistisch. Auch als Liebhaber des Experiments kapituliert man vor so einem Song, der in seinen verständlichsten Momenten an eine verspulte Version des Star Wars-Soundtracks erinnert.
Gemäßigter geht es da in „Still… You Turn Me On“ zu, einer typischen Rock-Ballade, in der man dann doch mal ein wenig Gitarrengezupfe zu hören bekommt. Trotz gefährlicher Nähe zum Kitsch kann Greg Lake hier doch demonstrieren, warum er in diesen Jahren ein gefragter Sänger war: Weniger der tatsächliche Stimmumfang als die helle Klangfarbe mit ihrer getragenen, leicht klagenden Note war es wohl, die den Mann zu einem der prägenden Frontmänner des Progressive Rock machte.
„Benny The Bouncer“ wirkt nach dem vorangegangenen Schmachtfetzen wiederum äußerst skurril: Was zur Hölle hat ein einfältig klingender Honkey-Tonk-Song mit comichaftem Text auf einem Album neben einer Hymne wie „Jerusalem“ und dem verqueren „Toccata“ zu suchen?

Nicht so wichtig, stellt man mit Beginn von „Karn Evil 9“ fest. Nicht nur, weil dieser Song mit seinen knapp 30 (von insgesamt 45 Minuten) mit Abstand den größten Teil des Albums ausmacht, sondern weil er auch zeigt, weswegen die Musik ELPs trotz aller Absurdität groß ist: In drei mehr oder minder unzusammenhängende „Impressions“ aufgeteilt, gibt es hier wirklich spektakuläres Songmaterial, gerade „1st Impression“ überzeugt mit beschwingter, energetischer Instrumentierung, die sich immer wieder zu einem Leitthema aufschaukelt, dessen euphorischer, überschwänglicher Charakter den Song auch heute noch zu einem der großen Momente zumindest der Siebziger macht – Positiv, charmant und stilvoll. Schon wieder etwas abgedrehter wirken die anderen beiden Impressions, der dramatische bis kriegerische Charakter lässt aber auch sie plausibler wirken als vieles andere auf dieser Platte. Hier spielen die Instrumente genial zusammen und Greg Lake kann sich auch als Sänger effektvoll in Szene setzen.

Auf „Brain Salad Surgery“ hat man also fünf grundsätzlich verschiedene Songs, die sich einer qualitativen Einstufung weitgehend entziehen. Ob das nun an der eher skizzenhaften Ausarbeitung („Jerusalem“, „Benny The Bouncer“), der Sperrigkeit („Toccata“) oder der Länge („Karn Evil 9“) liegt, die ganze Herangehensweise an die Musik ist hier so ungewöhnlich, dass es doch schwerfällt, sich vorzustellen, dass 1973 Zehntausende in die Plattenläden stürmten, um solch ein Monstrum von Album zu erwerben und es dann tagein tagaus anzuhören. Und irgendwie ist es doch passiert.

Was das alles für einen im Heavy Metal verwurzelten Hörer bedeutet, ist schwer zu beurteilen. Ich persönlich habe es geschafft, mich für ELP zu begeistern und inzwischen halte ich deren Alben für extrem lebendige Energiebündel, aber dafür musste ich doch ganz anders an die Musik herangehen, als ich an ein Metal-Album herangehe, wo ich ja weitgehend weiß, was kommt. „Brain Salad Surgery“ würde ich Hörern empfehlen, die das Gefühl haben, ihre Genres totgehört zu haben und sich nach einer neuen Hörerfahrung sehnen – denn diese bietet dieses Album auf jeden Fall. Entweder man wird von der seltsamen Faszination gepackt, die man kaum wirklich erklären kann, oder man versichert sich zumindest nachhaltig, dass es Musik gibt, mit der man definitiv nichts anfangen kann. Am bedenkenlosesten sollten wohl Leute zugreifen, die sich einfach nur mal darüber informieren wollen, wie skurril und extrem Musik in Zeiten Led Zeppelins und Deep Purples sein durfte und dabei trotzdem erfolgreich sein konnte. Den angenehmeren Einstieg findet man im ELP-Kosmos aber wohl mit „Trilogy“.

Keine Wertung

Publiziert am von Marius Mutz

2 Kommentare zu “Emerson, Lake & Palmer – Brain Salad Surgery

  1. Ich kann diese hanebüchenen Einschätzungen meiner Vorgänger über Emerson, Lake & Palmer nicht nachvollziehen. Das sind Musiker, deren Musik noch als Kunst durchgeht – nicht so wie die dauergeföhnten Helden like Radio 21 – deren Ziel es war und ist, soviel Mädchen wie möglich flach zulegen. – Bei diesem Geschrei klingeln einem die Ohren – bei ELP nicht!

  2. Das spannende bei ELP war wohl, dass man trotz aller Sperrigkeit und der zeitgleichen Verschrobenheit nie genau wusste, ob nicht doch ein Hit aus dem Ärmel geschüttelt wird. Lucky Man auf dem Debut ist genau so ein Stück, eingängig, wunderschöner Refrain und am Ende wird das ganze doch wieder mit einem ultrafies klingendem Synthesizer zerhackt. Die Gigantomanie gerade dieses Albums ist sicher nicht jedermanns Sache. Abwechslung hat das Album aber ohne Ende und gerade besagte Toccata wirkt am Ende für mich als absolut herausragend. Was da an Synthesizer und Soundeffekten aufgefahren wird, ist wirklich maßlos und umso erstaunlicher, dass wir gerade mal 1973 schreiben. So haben ELP wohl bei den ganzen klassischen britischen Prog Bands den größten musikalischen Einfluss in Sachen Synthesizer und Co gehabt. Verschrobener und unberechenbarer waren da wohl nur King Crimson, deren Platten man aber die vielen Besetzungswechsel definitv anhört.
    ELP waren immer nur die drei Herren (Nicht auszudenken, wenn Hendrix, der ja das H zum möglichen HELP dargestellt hätte, das Ganze noch erlebt hätte), die sich in eine immer schrillere Richtung entwickelten bis hin zum völlig aufgeblasenen und damit schon schwer nachvollziehbaren Works-Album. Brain Salad Surgery ist damit der große Höhepunkt der Band und trotz allen Wahnsinns wohl noch eines der zugänglicheren Alben. Tarkus hatte eben das Titelstück (was ja auch schon gute 20 Minuten lang war), Trilogy die netteren Gesangsmelodien und das Debut war noch eher eine Einzel- als eine Bandleistung, bei Brain Salad Surgery überzeugt gerade mit Karn Evil 9 die komplette Band und hat damit ein unsterbliches Werk geschaffen, welches natürlich wohl auch dank Gigers Cover Weltruhm einfuhr.
    Definitiv ein Album, was man nachvollziehen lernen und im zeitlichen Kontext sehen muss.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert