Review Exodus – Bonded By Blood

  • Label: Torrid
  • Veröffentlicht: 1985
  • Spielart: Thrash Metal

Nach dem überraschenden, vorzeitigen Tod von Paul Baloff, Originalsänger von EXODUS, im Jahr 2002 erzählte Metallica-Gitarrist Kirk Hammett, Mitglied der Bay-Area-Thrasher vom Gründungsjahr 1979 bis 1983, Anekdoten aus seiner Zeit mit Baloff in der Band. In einem blutsbrüderschaftlichen Ritual, wie man es sonst wohl bloß aus schlecht gealterten Indianerfilmen kennt, schnitten sich die beiden gemeinsam mit Drummer Tom Hunting und Gitarrist Gary Holt die Hände auf, hielten sie aneinander – und waren fortan „Bonded By Blood“. Aus ebenjener alkoholgeschwängerten, zeremoniellen Vermischung von Blut entstand ein Song und schließlich der Albumtitel des Debüts. Brüderschaft hin oder her, Hammett verließ ironischerweise die Band und wanderte zu Hetfield & Co. ab, um letztendlich – nach zwei Gitarren-Eintagsfliegen im Line-up – von Rick Hunolt ersetzt zu werden. Mit Bassist Rob McKillop, der der Gruppe seit 1983 angehörte, nahmen EXODUS im Juli 1984 innerhalb von drei Wochen ihre erste Full-Length-Platte auf – nach Holts Aussage größtenteils live im Studio und ohne ausgeprägtes Interesse an technischen Einzelheiten. Als Ergebnis klingt „Bonded By Blood“ herrlich roh, ohne dabei jedoch auf tighte Gitarren- und Drumarbeit zu verzichten und auf heutige Ohren übermäßig altbacken zu wirken.

Auf der einen Seite waren die neun Songs der Scheibe schon lange vorm Gang ins Studio geschrieben worden. Zudem wurde das Album bereits Monate vor der offiziellen Veröffentlichung über die Tape-Trading-Szene verbreitet, weil Hunolt laut Holt auf einem Konzert eine Kassette mit den Aufnahmen verloren hatte, und erregte so auf ungewollte Weise beträchtliches Aufsehen im Underground. Auf der anderen Seite verzögerte sich der Release deutlich: EXODUS wollten die Scheibe „A Lesson In Violence“ nennen und mit einem Cover-Artwork voller Leichenteile ausstatten. Vor allem von Letzterem war wiederum die Plattenfirma nicht begeistert. „Bonded By Blood“ erschien schließlich mit dem Motiv der Siamesischen Zwillinge Ende April 1985 via Torrid Records – ganze neun Monate nach den Aufnahmen.

Bis heute dürfen sich Band und Thrash-Fans daher fragen, wie sich der Lauf der Dinge in der Bay Area für die Combo wohl entwickelt hätte, wenn der Longplayer rascher erschienen wäre. Denn Slayer und Metallica (die ja eigentlich aus Los Angeles stammten) hatten zwar schon 1983 ihre Debüt-Alben veröffentlicht, doch galten EXODUS ursprünglich als die Könige der lokalen, sich rasch weiterentwickelnden Szene in und um San Francisco – und „Bonded By Blood“ ist ein knallharter Beweis dafür.

Rabiate Uptempo-Stürmer wie der eröffnende Titeltrack, die Bandhymne „Exodus“ oder das finale „Strike Of The Beast“ gelten auch heute noch ebenso als gnadenlose Nackenbrecher wie „A Lesson In Violence“ mit seinem attackierenden Riffing oder „Metal Command“ mit seinen treibenden Leadgitarren und Doublebass-Unterstützung. Demgegenüber stehen Stücke wie „And Then There Were None“, das trotz mehrerer Geschwindigkeitswechsel und fulminantem Solo-Finale unterm Strich im rockigen Midtempo zuhause ist, oder „Piranha“, ein stampfender Headbanger mit rasantem Ein- und Ausstieg. Abgerundet wird die Tracklist mit den variabelsten Songs: zum einen „No Love“, der neben einem Akustikgitarren-Intro groovend-schleppende Heaviness bietet, um nach dem zweiten Refrain auf die Tube zu drücken; zum anderen „Deliver Us To Evil“, der Mid- und Uptempo in Strophe und Refrain alterniert und als riffgewaltigstes, mit über sieben Minuten längstes Stück der Platte über einen ausgiebigen Instrumental-Part mit wahrer Solo-Orgie verfügt.

Für Eingängigkeit sorgen EXODUS neben einprägsamen Riffs und wiedererkennbaren Refrains – häufig unterstützt durch genretypische Gang-Shouts – vor allem mit der klassischen Songstruktur, die aus mindestens zwei Strophe-Refrain-Durchgängen und einer anschließenden Bridge besteht. Letztere nutzt der Fünfer ausnahmslos für Instrumental-Passagen mit Gitarrensolo-Duellen zwischen Holt und Hunolt, wie es ihnen Judas Priest vorgemacht und Slayer gleichgetan haben. Nicht unerwähnt bleiben darf natürlich der absolut irre Gesang von Baloff, der die Texte wie ein besessener Wahnsinniger herausschreit und seinem damaligen Ruf als heißblütiger Thrash-Frontmann voll gerecht wird. Die stumpfen, gewaltverherrlichenden Lyrics (etwa „Bloody corpse makes me feel great / Painkiller in my life / Cut bare flesh to the bone / Use a rusty knife“), wie sie später von Gruppen wie Cannibal Corpse mit sehr viel Liebe zum Detail perfektioniert wurden, sind dabei Geschmackssache: für die einen einfach nur albern oder gar abstoßend, für die anderen Kult und fundamentaler Bestandteil solch extremer Musik.

Ein im Thrash Metal häufig gehörter Begriff ist bekanntlich jener der „Big Four“ – also Metallica, Slayer, Megadeth und Anthrax. Dieser Terminus, der nicht erst existiert, seit diese Bands sich 2010 zum ersten Mal die Bühne teilten, verweist alle anderen wichtigen Combos automatisch in die zweite Reihe. Dass EXODUS jedoch in der ersten Liga spielen, beweisen sie wieder seit ihrem 2004er Reunion-Album „Tempo Of The Damned“ – und legten mit „Bonded By Blood“ den Grundstein für diesen Status. „Bonded By Blood“ mag nicht so berühmt wie „Kill ’Em All“ sein, ist aber definitiv als mindestens ebenso einflussreich zu betrachten – ein Eckpfeiler der Thrash-Metal-Geschichte, der sogar eine Gruppe der neueren Generation zu ihrem Namen inspirierte.

Wertung: 9 / 10

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