Review Heinrich von Handzahm – Was treibt dich an

  • Label: Handsome Dan
  • Veröffentlicht: 2013
  • Spielart: Entmetallisiert, Singer/Songwriter

Die Frage nach dem individuellen Antrieb stellt HEINRICH VON HANDZAHM nicht als erster – und bestimmt auch nicht als letzter. Umso eigenwilliger erscheint der Mensch hinter der Musikrichtung, die er inzwischen selbst Storypop nennt. Sein Pseudonym verleitet zum Schmunzeln, erinnert es verdächtig an semitalentierte Barden auf schlecht besuchten Mittelaltermärkten. Doch wer „Was treibt dich an“ einlegt, wird schnell bemerken, dass hinter dem ehemaligen Karrieremenschen mehr steckt als nur ein vermeintlich fehlendes Fragezeichen im Albentitel. Irgendwo zwischen Reinhard Mey, Philipp Poisel und Jack Johnson erzählt Handzahm seine Geschichten über das Leben und die Liebe – mit einfühlsamer Stimme. einem ausgeprägten Gespür für Melodien und faszinierender Eingängigkeit.

„Indianer“ ist dabei der eher massentaugliche Einstieg in ein Werk, welches durch seine Vielschichtigkeit glänzt. Meistens bemerkt man, dass neben HvH rund zehn weitere Musiker am Werke sind, davon allein drei verschiedene Schlagzeuger. Dass das bunte Potpourri trotz dieser Musikervielfalt so homogen klingt wie es soll, ist der Verdienst der Produzenten Franz Plasa (Echt, Selig, Udo Lindenberg) und Frank Ramond.
Umgeben von Gitarren, Saiteninstrumenten und vielem mehr konfrontiert HEINRICH VON HANDZAHM seine Hörerschaft nicht nur im Albentitel mit essentiellen Grundsatzfragen. So thematisiert „Doppelleben“ zentral die These, ob der Mensch mit all seinen Affären neben Familie und Beruf doppelt lebt oder ein „Doppelleben“ führt. Wenn seine Stimme dabei nicht gerade in Singer-Songwritergefilden mäandert, bedient Handzahm sich an kurzen Blechbläserpassagen, um für den notwendigen Schwung zu sorgen, wie zum Beispiel in „I-C-H-Syndrom“. Dabei attestiert er den Menschen  – inklusive seines lyrischen Ichs – eine ausgeprägte Egoismusmutation, ohne diese zu verdammen. Textthematisch gelungen gerät der Song mit Ohrwurmfaktor zu den schnelleren Vorzeigestücken des gesamten Albums.

Davor und danach finden sich unter anderem eine Hymne an die durchschnittlichste Stadt Deutschlands, Hannover. Zu hässlich für München, zu arm für Hamburg, zu männlich für Wien, … – Handzahm scheut keinen Vergleich. Wie ernst es ihm damit ist, liegt im eigenen Ermessensspielraum. Einzig beim Thema „Burn Out“ wird die musikalische Grundstimmung ernster, ebenso wie bei der möglichen Erkenntnis, dass Affären kein Happy-End haben. An dieser Stelle baut „Was treibt dich an“ etwas ab. So fehlt hier das besondere Etwas bzw. die Nüchternheit der Erkenntnis wurde bei „Affairen haben kein Happy End“ musikalisch eben genau so umgesetzt. Dafür begeistert das einfühlsame „Du bist viel zu laut“ nebst Video ebenso wie die Suche einer etwas verlebten Dame nach „Mr. Right“ und der kollektive Nostalgietrip in „Retro“. Besonders die etwas älteren Generationen dürften sich zwischen Bonanzarad, Flashdance sowie Ed von Schleck wiedererkennen und auch musikalisch wohlfühlen.  HEINRICH VON HANDZAHM vertont eine gelungene Hommage an die guten alten Zeiten, ohne in sein zu wollen. Das ist nicht hip im Sinne von Hipster, sondern musikalisch fundiert und hochwertig. Wer Massenware sucht, ist hier falsch. Alle anderen, die bis dahin Gefallen an „Was treibt dich an“ gefunden haben, werden schließlich auch am sperrig-betitelten „Auf den Milchschaumplantagen Berlins“ ihre Freude haben.

Dieses Album überrascht zunächst – und begeistert anschließend. Selten klang eine Stimme gefühlvoller und Melodiearrangements eingängiger. So geht „Was treibt dich an“ bequem ins Ohr, ohne aufdringlich zu sein. Manchen wird diese musikalische Fahrt durch die Gedanken- und Gefühlswelt des selbst auserkorenen Nachfahren von Wolfgang Amadeus Mozart und Rainer Maria Rilke zu seicht sein, doch alle anderen sollten – nein, müssen – hier ein Ohr riskieren. HEINRICH VON HANDZAHM ist einer jener Liedermacher, die wirklich noch Lieder machen: Thematisch flexibel, mit ausgeprägter individueller Note und ausgesprochen kreativ.

Wertung: 8.5 / 10

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