Review How To Destroy Angels – Welcome Oblivion

  • Label: Columbia
  • Veröffentlicht: 2013
  • Spielart: Electronic

Im Fall von Trent Reznor von überbordender Kreativität zu sprechen, ist wohl nicht übertrieben: Neben seinem Hauptprojekt Nine Inch Nails, welches er Anfang 2013 nach einer längeren Pause wieder ins Leben gerufen hat, und diversen Soundtrack-Projekten gemeinsam mit Atticus Ross (wobei „The Social Network“ mit einem Oscar und einem Golden Globe ausgezeichnet wurden) rief er vor einigen Jahren das Projekt HOW TO DESTROY ANGELS ins Leben. Nach zwei EPs ist es nun soweit und Reznor veröffentlicht gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Mariqueen Maandig und seinen Brüdern im Geiste Atticus Ross und Rob Sheridan das Debütalbum „Welcome Oblivion“. Die Parallelen, die zwischen dessen Cover und Gaspe Noës filmischen Tour-de-Force-Ritt „Enter The Void“ bestehen, sind nur schwer von der Hand zu weisen, ebenso wie die bewusstseinserweiternde Stimmung, die das als Fernsehbildschirm verzerrte, Spektralfarben und Silhouette vermengende Artwork verspricht: HOW TO DESTROY ANGELS legen mit „Welcome Oblivion“ einen zähfließenden, gleichsam eiskalten und pulsierend heißen, elektronisch wummernden Trip in die eigene Psyche vor, der alle rockigen Elemente der früheren Tage kompromisslos streicht.

Bereits der Einstieg in Form des Intros „The Wake-Up“ präsentiert die Mischung zwischen vollem, warmen Bass und kühlen, an Industrial erinnernde Synthies und trockene Snaredrums, welche HOW TO DESTROY ANGELS auf diesem Album perfektionieren. Gemeinsam mit einem tiefen Pluckern lagern sich immer mehr Sounds übereinander, in der Tiefe erklingt irgendwo eine verzerrte, weibliche Stimme, bis sich in „Keep It Together“ knarzende Bässe und verschwurbelte Beats allmählich nach vorne pressen und von Mariqueen Maandigs unterkühlter, gehauchter Stimme überlagert werden. Der Vergleich zu Bands wie Portishead oder Massive Attack kommt hier sehr schnell in den Sinn, vor allem was die Atmosphäre und die schleppenden, drückenden Beats betrifft, die immer wieder durch einzelne Gitarrentöne aus der Ferne unterstützt werden. Trent Reznors nervöser, düsterer Gesang, der über die gesamte Spiellänge des Albums immer wieder wie aus dem Nichts auftaucht, ergänzt die beunruhigende Stimmung perfekt.

Kühle Computersounds zerschneiden die maroden Klangflächen, statisches Rauschen und Glitches reißen Löcher in die ohnehin bereits zerschossenen Beats, Synthies verhaken sich ineinander und Mariqueen Maandig klingt immer wieder wie Beth Gibbons, ohne ganz an deren zerbrechliche und beinahe schmerzhafte Sehnsucht heranzureichen. In „Ice Age“ ertönen schließlich schräge und schiefe Folkanleihen, die beinahe an The Notwist erinnern, während der Gesang hier erstmals einladend und nicht abweisend klingt. Plötzlich wird klar, dass HOW TO DESTROY ANGELS sich auf „Welcome Oblivion“ von klaren Popstrukturen leiten lassen – auch wenn sie musikalisch immer wieder nahezu groteske Abweichungen bevorzugen. Besonders verdeutlichen dies „Too Late, All Gone“ und „How Long?“, in welchen klassische Wave-Elemente durch vertrackte Beats gebrochen werden, oder wenn im zerfaserten „Strings And Attractors“ unter einer kühlen Glitch-Oberfläche ein schier umwerfender Popappeal auftaucht, der besonders in der herzerweichenden Gesangsmelodie im Refrain in den Vordergrund tritt. „Recursive Self-Improvement“ geht, ebenso wie das darauf folgende „The Loop Closes“, beinahe in Richtung Minimaltechno/House, da hier das Tempo etwas angezogen wird und die Strukturen sich in einen nahezu tanzbaren Beat verwandeln. Der Abschlusstrack ist dann allerdings wieder langsamer, und mit seinen gehauchten Gesangsfetzen beinahe das, was am Besten mit dem englischen Wort „eerie“ beschrieben werden kann.

Wer auf „Welcome Oblivion“ auf Ausbrüche oder Lautstärke wartet, wird dies umsonst tun: HOW TO DESTROY ANGELS bauen in ihren zwischen vier und sieben Minuten langen Songs auf monotone Wiederholungen, die in ihrer hypnotischen Wirkung allerdings nie langweilig werden, sondern den Hörer vollständig einsaugen. Dementsprechend wirkt das Hörerlebnis dieses umwerfenden Albums wie eine drogeninduzierte Erfahrung eines Clubabends, nachdem nahezu alle gegangen sind. Laserlichter durchschneiden den Nebeln in allen Spektren des Regenbogens, alles verläuft wie in Zeitlupe und es fühlt sich an, als würde der eigene Körper in einer geleeartigen Masse feststecken. Der komplette Verlust des Selbst in sich selbst.

Wertung: 9 / 10

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