Review Ólafur Arnalds – Eulogy for Evolution

Fragil, nahezu vereinsamt, schlängelt sich die musikalische Grabrede auf die Evolution durch ein unsichtbares Labyrinth, durchdringt dessen Wände und bleibt nur schwer greifbar und begreifbar. Die Liedtitel erscheinen wie schemenhafte Teile eines Schatten, die sich in ihrer Einfachheit dem aussagekräftigen Albumtitel auch auf textualer Ebene unterordnen möchten. Deren Töne werden einzig und allein mit Hilfe eines kalt im Raum stehenden Klaviers, sparsam eingesetzter Schlagzeugbeats und in einer Umarmung wärmenden Streichern erzeugt. Es scheint anfangs fast so als müsse das neugeborene akustische Kind Vertrauen in die Welt erlangen. Dieser Prozess erfolgt schleichend, aber dennoch jederzeit wahrnehmbar auf einem in seiner Einfachheit radikalen und in seiner Brillianz nur schwer zu übertreffenden Weg.

Trotzdem. Was Ólafur Arnalds kreiert, sind keine musikalisch projezierten, verknoteten Gehirnwindungen eines abgehobenen Intellektuellen, sondern in erster Linie hochgradig emotionale, berührende Klänge. Sie bleiben kaum greifbar, aber hinterlassen dennoch einen bestimmten, positiven Effekt beim Hörer, der in den minimalistischen Arrangements immer wieder Neues entdecken kann. Vollkommen öffnet sich das Werk dem Rezipienten allerdings nicht. Es bleibt bei kurzen cinematoskopischen Passagen wie zur Mitte von „1440“ oder einem kontinuierlichen Anwachsen beim Stück „3055“. Letzteres war vor allem bei den Auftritten im Sommer 2008 in Erlangen und Dresden ein absolutes Highlight für mich. Dort war es auch das charismatische, natürliche Auftreten Ólafurs und dessen Streicherquartetts, das den Stücken ihre, trotz allen Minimalismus, anhaftende Schwere nahm und diesen beinahe eine sommerliche Leichtigkeit verlieh.

Denn auch in Island scheint die Sonne. Um den Punkt der Herkunft kommt man nur schwer herum, aber was hat er zu bedeuten? Relativieren großartige Künstler wie Sigur Rós, Björk, Amiina und múm die Leistung eines Ólafur Arnalds, weil dort experimentelle, brilliante Musik geodeterminiert ist und nur abgeernet werden muss? Oder ist „Eulogy for Evolution“ viel eher eine weitere, neue Facette der quantitativ kleinen, aber qualitativ sehr großen isländischen Musikszene? Ich tendiere, freilich ganz subjektiv, zu Letzterem.

Ólafur Arnalds erschafft mit seinem Album „Eulogy For Evolution“ eine Synthese von Wärme und Kälte. Minimalistische Neoklassik verschmilzt mit „Indie-Ästhetik“, falls es so etwas gibt. Dass Ólafur nebenbei noch Drummer bei zwei Metalcorebands war und gerade einmal 21 Jahre alt ist, wird so fast zur Nebensache. Das Album ist jedenfalls keine und daher jedem ans Herz zu legen, der für derartige Klänge aufgeschlossen ist.

Wertung: 9 / 10

Geschrieben am 6. April 2013 von Metal1.info

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