Review Ne Obliviscaris – Portal Of I

Trommelwirbel. Rasende Gitarrenwände, ich fühle mich, als würde ich in einem wahnwitzigen Tempo eine Eiswüste durchkämmen, mich durch Schneestürme und beißende Kälte kämpfen. Und dann: Lagerfeuerromantik. Gönnt mir einen Moment Ruhe, ich besinne mich, schärfe meine Sinne, nur um ein paar Sekunden später wieder in einen Klangraum der wilden Raserei gedrängt zu werden. Später: Jazziges Zwischenspiel, ruhe mich aus, trinke ein Glas. Die Flamenco-Gitarre tanzt am späten Abend noch zum unheimlich atmosphärischen Spiel der Violine, leichte Töne und doch so schwermütig. Es ist die wahrscheinlich dichteste musikalische Reise, die ich dieses Jahr angetreten habe. Und ich trete sie Tag für Tag erneut an.

Genrepuristen, aufgeschlossene Progger und all diejenigen, die auf der ständigen Suche nach dem ultimativ anderen Sound sind, haben, genau wie ich, eine gefühlte Ewigkeit auf diese Offenbarung warten müssen. Das Debut von NE OBLIVISCARIS ist dabei jede Sekunde Wartezeit wert: „Portal Of I“ ist der musikalische Wahnsinn, eine Achterbahnfahrt der Gefühle, gekleidet in ein unheimlich abwechslungsreiches und nur schwer kategorisierbares Soundgewand. Der Promozettel spricht von „Intense Progressive Extreme Metal“ und verdammt nochmal, da hat er ja so was von recht. Black Metal wird von jazzigen Einsprengseln durchbrochen, unheimlich fetter Melodic Death Metal schüttelt zu reinem Progressive Metal die Mähne, und dann werden plötzlich noch komplett stilfremde Töne wie der bereits erwähnte Flamenco angeschlagen. Black Metal und Death Metal bilden bei den Songs, die meist die 10-Minuten-Marke knacken jedoch stets die Grundlage: Tolle Growls, gekonntes Gekeife und angenehmer Klargesang, derbe Riffs (hört euch nur mal den großartigen Eröffnungsriff zu „Xenoflux“ an), ein oft durchgetretenes Gaspedal und ein hörbar technisch perfektes Können an jedem Instrument. Dazu kommt die sehr oft virtuos fiedelnde Violine, die dem ganzen einen noch individuelleren Touch verpasst. Was Tim Charles auf seinem Instrument zaubert ist der reine Wahnsinn, „And Plague Flowers The Kaleidoscope“ ist da das beste Beispiel – anhören und im musikalischen Zauber versinken, die Atmosphäre spüren und aufsaugen, und das bei jedem einzelne Ton. Großartig.

Das verrückte bei „Portal Of I“ ist schlicht und ergreifend die Tatsache, dass trotz des bunt gemischten Genrechaos nichts, nein, kein einziger Ton verkünstelt, aufgesetzt oder gar unpassend wirkt. NE OBLIVISCARIS liefern eine derart homogene, in sich schlüssige und perfekt abgestimmte Leistung ab, dass es eine wahre Freude ist. Das mag an der großartigen und oft eingesetzten Violine liegen, vielleicht auch am perfekt abgemischten Sound (Jens Bogren saß beim Mix und Mastering hinter den Reglern), vielleicht auch an der spürbaren Spielfreude. Vielleicht auch ein bisschen von allem – Fakt ist, NE OBLIVISCARIS haben die Seele der Musik eingefangen und verstanden, was Musik bedeutet. Kein festgefahrenes Schubladendenken. Keine festen Songstrukturen. Nur Musik in ihrer reinsten Form.

Ich spare mir große Worte: Die volle Punktzahl ist angebracht. Begebt euch auf die musikalische Reise, auf eine Reise in emotionale Höhen und Tiefen, entdeckt Wunderschönes, entdeckt Welten aus Eis und Feuer, entdeckt Nachdenkliches, entdeckt Großartiges. Entdeckt „Portal Of I“, den klaren Anwärter für mein persönliches Album des Jahres. Ihr werdet es nicht bereuen.

Wertung: 10 / 10

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